Der Wirkstoff Clomazone macht den Irrsinn der Agrochemie deutlich.von Johannes Heimrath, erschienen in Ausgabe #12/2012
Dass etwas nicht stimmt mit den Industrieäckern, sticht ins Auge: Da drängen sich Maulwurfshaufen im Garten und auf der Straßenböschung. Und auf dem kahlen 400-Hektar-Schlag nebenan? Kein einziges Hügelchen – nix zu fressen. Alte Wasserlachen faulen auf dem verdichteten Substrat namens Ackerboden, die Krume weht im Wind davon – schlimm. Bedrückend der Anblick rostrot verfärbter, totgespritzter Weiten, die den Ungeist herzloser Ausbeutung aussenden, im Süden weniger deutlich, im Norden nicht zu übersehen. »Gute fachliche Praxis« nennt sich das, und der guten fachlichen Praxis sind auch die Spritzenfahrer gefolgt, die heuer zum zehnten Mal hintereinander für flächendeckendes Erbleichen nicht nur der Pflanzen im Umkreis von Rapsfeldern gesorgt haben. Im Süden weniger, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein deutlicher, in Mecklenburg-Vorpommern nicht zu übersehen und wieder mal aktenkundig. Von Clomazone ist die Rede. Eines aus den rund 32 000 Tonnen Giften, die in Deutschland jährlich die Mittel zum Leben benebeln, die uns die Marketingmaschine der Agroindustrie als »Genuss aus deutschen Landen« aufschwätzt. Clomazone unterbindet die Chlorophyllsynthese, die uns den Sauerstoff zum Atmen schenkt. Winzigste Spuren des Gifts genügen, um keimende Kräuter zu ersticken. Der hohe Dampfdruck des Gifts lässt es unabhängig vom Wind durch 300, 400 Meter breite Forststreifen wabern. Dort färbt es Springkraut-, Brombeer- und Holunderblätter weiß und macht dann im Folientunnel des Biogärtners den Salat unverkäuflich. Bis der darauf kommt, dass es nicht Bormangel im Beet ist, sondern die gute fachliche Praxis des Agrarbetriebs hinterm Wald … Zur selben Zeit bemerken Mütter an ihren Kindern auffälliges Husten, Hautausschlag, die Großmütter im Dorf jammern über Atembeschwerden, eine asthmakranke Frau braucht medikamentöse Hilfe, ein Herzkranker muss zum Arzt, gut im Saft stehende Mannsbilder kriegen Kopfweh, im Mund schmeckt es metallisch, die Mandeln schmerzen. Ich weiß, wovon ich schreibe.
Gelb leuchtet das Gold … 2001 war das Jahr des ersten Clomazone-Skandals. Der Stoff vergiftete Gärten und Biogemüse in Gebieten mit großflächigem Rapsanbau. Den Bewohnern eines kleinen, unbeugsamen Dorfs am Rand der Ostsee fiel der Zusammenhang auf, als sie ihr Bio-Melissenfeld zur Tee-Ernte erbleicht statt sattgrün vorfanden. Die Anzeige des existenzbedrohenden Schadens hatte wütendes Mobbing seitens der von der Agroindustrie Abhängigen zur Folge. Wir haben es überlebt. Fünfzehn Häuser, rundherum Äcker mit dem Humusgehalt von Wüstenboden, 400 Hektar Raps, im Vorauflauf mit dem clomazonehaltigen Giftmix »Brasan« von Syngenta besprüht, damit die Rauke nicht hochkommt. Der Raps ist eine Hackfrucht, und im Ökolandbau wird auch gehackt. Auf dem Industrieacker aber verheddert sich die Rauke im Schneidwerk der Mähdrescher, die, dreifach gestaffelt, die Riesenfläche rasieren, so schnell schaust du nicht. Und wenn von denen einer stehenbleibt, weil das drahtige Kraut die rasende Ernte behindert, dann kostet das Geld, und nur ums Geld geht es beim Raps. 3,24 Millionen Tonnen wandern ins Ölgeschäft, 3,96 Millionen Tonnen Schrot schnappt sich die Futtermittelindustrie. Die Hälfte des Öls geht ins »Bio«-Dieselgeschäft, wo seine Emissionen ein zwanzigfach höheres Krebsrisiko gegenüber fossilem Sprit darstellen, aus dem Rest werden Schmierstoffe und Margarine gemacht, und etwa ein Achtel geht ins Speiseölgeschäft, wo es der europäische Steuerzahler mit 2 Milliarden Euro jährlich subventioniert, damit es überhaupt verkauft werden kann. Der Anbau verbraucht mehr Energie, als die Ölfrucht am Ende liefert. Über ein Sechstel des Ackerlands in Deutschland dient der Rapsindustrie, in den letzten 15 Jahren hat sich die Anbaufläche verdoppelt. Die gelben Felder – eine Pracht! Raps raubt dem Boden dreimal soviel Nährstoffe wie Getreide. Nicht nur der Klimaheizer Lachgas steigt aus dem ausgezehrten Boden, wenn die Kohlpflanze zweimal mit Stickstoff gemästet wird, und davon braucht der Raps viel, dazu noch Phosphor, Magnesium, Kali und Schwefel – ohne permanentes Doping geht es nicht. Auch jede Menge Gift dampft vom Acker ab. Clomazone zum Beispiel soll zwei bis sechs Wochen nach Ausbringung über dem Acker ausgasen, um auch noch das letzte unerwünschte Hälmlein zu killen.
Gratulation zum Zehnjährigen! Jetzt schreiben wir 2011. Seit zehn Jahren beobachten wir die Vergiftung des Landes und die damit einhergehenden Gesundheitsbeschwerden. 2004 war das Schadensbild so stark wie 2001. Damals sagte ein Ministerialer aus Schwerin: »Wir wollen nicht, dass sich so etwas wiederholt. Ich würde es begrüßen, wenn das Produkt vom Markt verschwindet.« Erfolg? In diesem Herbst war alles schlimmer als zuvor. Eine neue Mixtur hat die Giftwirkung verstärkt. Diesmal sind auch die Bäume betroffen. Nachdem das Winterpostelein im Garten erbleicht ist, der Löwenzahn durchsichtige Blätter bekommen hat und die Rosen weiß geworden sind, erwischt es die Weiden, Forsythien, junge Apfelbäume, Sanddorn, Petersilie. Sogar lange Gräser werden weiß. Die Ahorne in der Allee, die Pappeln, die Linden haben Mühe, ihre Blätter dem Sonnenlauf folgen zu lassen; abends zeigen sie orientierunglos die hellen Blattunterseiten. Und Wochen, bevor das Herbstbunt einsetzt, wird das Laub grau, vertrocknet mit schmutzigbraun eingerollten Blatträndern. Das ist nur eine Geschichte von vielen möglichen. Es hätte auch die Geschichte der Bienen sein können, die im Krieg des Homo industrialis gegen seine Konkurrenten, die mit dem Raps ein Lebensrad bilden, folgenschwer chemisch geduscht werden. Seit 2003 ist der Rapsglanzkäfer gegen Pyrethroide resistent und wird nun mit dem Nervengift Methidathion am Leben gehindert und so fort. Eine Industrie, die laut UNO in jeder Minute 23 Hektar Wüste in der Welt produziert und am Verlust von drei Vierteln aller Pflanzensorten und Tierrassen, die der Homo agrestis kultiviert hat, schuld ist, sollte nicht »Landwirtschaft« genannt werden … Wie weiter? Piraten wählen? Wo ist hier die gute Botschaft? Im Fall Clomazone haben sich nun nach zehn Jahren die mecklenburg-vorpommerische Landesregierung, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und wohl auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) positioniert und prüfen, ob das Gift vom Markt genommen werden muss. »Das BVL hat darüber hinaus eine Ruhensanordnung verfügt. Dadurch ist die weitere Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, die den Wirkstoff Clomazone enthalten, bis zur endgültigen Klärung des Sachverhaltes nicht mehr möglich.« So steht es in dem Brief, den wir vom BVL am 5. September 2011 zugemailt bekamen. – Doch schon zwei Tage später durfte »agrarheute.com« jubeln: »Der Pflanzenschutzmittelhersteller Syngenta hat daraufhin Widerspruch gegen den verordneten Anwendungsstopp der Mittel Colzor Trio und Brasan des BVL eingelegt. Nach Angaben des Unternehmens ruht derzeit die Ruhensanordnung, und die beiden Mittel dürfen weiterhin gehandelt, vertrieben und/oder angewendet werden.« Wie bitte? Die oberste Zulassungsbehörde sagt: Da ist eine Korrelation zwischen Gesundheitsbeschwerden und Giftspritzung, das wird seit zehn Jahren beobachtet, wir wollen das nochmal prüfen, deshalb: Stopp! Und die Industrie bekommt die Anordnung legal vom Tisch, indem sie sagt, solange nicht bewiesen ist, dass genau unser Mittel genau diese Beschwerden verursacht, werden wir das Gift weiterhin freisetzen!? Erinnert sich jemand an die Wäschereien? Tetrachlorkohlenstoff und Trichlorethan? An die Kühlschrankhersteller? FCKW? Inzwischen verboten, nicht wahr? Wie war das mit den Schreinereien, als abgebeizte Bauernmöbel hip wurden? Musste Trichlormethan nicht auch verschwinden? Auf unseren Feldern aber dürfen unverdrossen quadratkilometerweit 352 Herbizide, 259 Insektizide und 211 Fungizide ausgebracht werden, hochtoxisch, im Cocktail, Jahr für Jahr. Und wir wissen nur, welche Dosis Versuchsratten killt, haben aber weltweit keine einzige Studie zur niedrigdosierten Dauerexposition des Menschen im Toxinnebel?! Ja, wirklich! Dabei ist für viele andere Gifte bekannt, dass geringste Mengen, über einen längeren Zeitraum beispielsweise eingeatmet, schädlicher wirken, als wenn man größere Mengen davon beispielsweise trinkt.
Es muss etwas geschehen Was tun? Vorschläge: Begreifen, dass eine gesunde Kultur nicht auf vergiftetem Boden gedeihen kann. Sich schlau machen, beispielsweise auf www.landwende.de, dort unter »Archiv« nachlesen. Im nächsten Spätsommer Ackerränder und Gärten in der Nähe von frischer Rapseinsaat beobachten. Werden Pflanzen weiß, die Pflanzenschutzämter alarmieren. Gleiches tun bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die zeitgleich mit Giftspritzungen auftreten. Vom Arzt Beschwerden bestätigen lassen. Es satthaben und Wutbürger werden. Sich fit machen für die Post-Kollaps-Gesellschaft. Gärtnerbäuerin werden oder mit solchen, die es werden wollen, Solidargemeinschaften bilden. Jedenfalls: Die Stimme erheben und alle Hebel bewegen, die wir Bürgerinnen und Bürger in unserem Staat geschaffen haben, um Schaden für das Gemeinwohl abzuwenden. Im übrigen gibt es sowieso überhaupt kein Argument mehr für die Giftschleuderei. Die Schweisfurth-Stiftung hat es vor Jahren für Deutschland errechnet, und die Rodale-Studie (siehe Seite 17) führt es nun der ganzen Welt vor Augen: Der ökologische Landbau ist dem industriellen Landraubbau in jeder Hinsicht überlegen. Eine Welt ohne Ackergifte ist kein fernes Post-Kollaps-Szenario. Sie rechnet sich sogar im primitivsten Kapitalismus. Dass sie schon heute möglich und in Hinblick auf unsere Enkel dringendst geboten ist und dass das nährende Land als Gemeingut, als Commons, niemandes Eigentum sein kann, ist nur mein Ceterum censeo.
Noch gibt es erst wenig bürgerliche Empörung www.landwende.de www.extoxnet.orst.edu www.pan-germany.org www.abl-ev.de www.reclaimthefields.org www.testbiotech.org www.umweltinstitut.org www.desertifikation.de www.umweltbund.de