Solidarische Landwirtschaft auf dem Weg zur Schenkökonomie.
von Jan-Hendrik Cropp, erschienen in Ausgabe #13/2012
Wir waren fünf Gärtnerinnen und Gärtner auf der Suche nach neuen Formen, unsere Arbeit und die Menschen, für die wir Gemüse anbauten, zu verknüpfen. Ein halber Hektar Ackerland stand uns im nordhessischen Witzenhausen-Freudenthal als Experimentierfeld für solidarische Landwirtschaft zur Verfügung. Im Gespräch mit Menschen aus der Region entstand eine verbindliche Gemeinschaft: 60 »Begärtnerte«, wir als Kollektiv von Gärtnerinnen und Gärtnern und das Land, auf dem nun von April bis November Gemüse für alle Beteiligten wachsen sollte. Die Gemeinschaft fand ihre Spielregeln auf der Grundlage der jeweiligen Bedürfnisse: Wann und in welchem Maß wir in diesem Projekt gärtnernd tätig sein wollten, wurde von jedem einzelnen selbstverantwortlich flexibel festgelegt. Den Teil unserer finanziellen Bedürfnisse – landläufig »Lohn« genannt – bestimmten wir weitgehend unabhängig von der Zeit, in der wir tätig waren. Zusammen mit den laufenden Betriebskosten (ohne Investitionen) ergaben sich daraus die Gesamtkosten einer Jahresproduktion, das »Budget«, das gebraucht wurde, um das Projekt zu realisieren. Die Begärtnerten boten dann anonym auf den Zeitraum der Produktion einen monatlichen finanziellen Beitrag, der ihren individuellen Möglichkeiten entsprach und in der Summe das Budget deckte. Von null Euro aufwärts war alles möglich. Der von den Einzelnen zugesagte Betrag wurde auf einer Vereinbarung festgehalten, so dass Verbindlichkeit entstand. Auch weitere Spielregeln über die Entscheidungsfindung, zu Ausstiegsgründen oder Kriterien, an denen die Zusammenarbeit scheitern würde, wie auch zur gemeinsamen Übernahme von Verantwortung und Risiko waren Teil der Vereinbarung. Damit wir den Anbau planen konnten, befragten wir die Begärtnerten zu Beginn nach ihrem Bedarf an Gemüse für das kommende Jahr. Alle waren zur Mitarbeit eingeladen, besonders zu Erntezeiten und beim Einmachen. Selbstverständlich stand auch das Mithelfen jedem Einzelnen frei, war aber ausdrücklich erwünscht. Was geerntet wurde, stellten wir in dafür eingerichteten Depots allen Beteiligten frei zur Verfügung. Bemerkenswert war hierbei: Dies führte nicht dazu, dass Menschen zuviel nahmen; das Gegenteil war der Fall: Wir mussten dazu ermutigen, kräftig zuzulangen. Aus Angst, andere könnten zu wenig bekommen, hielten sich die Unterstützerinnen und Unterstützer zurück. Da erzähle mir noch einer, der Mensch sei nun mal von Natur aus gierig … Durch dieses Experiment hofften wir, kapitalistische Prinzipien in unserem Verhältnis zueinander zu transformieren: → freiwilliges Beitragen und Schenken statt Tausch, Wert, Ware; → niemand muss, alle können nach ihren Fähigkeiten (finanziell und praktisch) beitragen; → wir stellen keine Produkte her, für die erst noch ein Bedürfnis geweckt werden müsste; → die Produkte haben keinen Tausch- bzw. Geldwert; damit werden Dinge nicht abstrakt mit einem Wert gleichgesetzt wie im Kapitalismus, in dessen Logik alles, was einen Euro kostet, gleich viel, und alles, was nichts kostet, nichts »wert« ist; → Geld entfällt als primäre Wertschätzung; wir können mit neuen Formen der Wertschätzung experimentieren: durch Worte, Gesten und vor allem gegenseitige Verantwortung. Wir glaubten: Tätigkeit wird zu Arbeit und Arbeit zur Last, wenn unsere Produkte auf dem Markt einen Wert erzielen müssen oder wir primär für einen Lohn arbeiten. In unserem Projekt wollten wir beides nicht: Wir liefern keine normierten Waren, und unsere finanziellen Bedürfnisse werden von vornherein abgedeckt. Wir können somit Anbauweise und Arbeitsabläufe frei bestimmen. Probleme versuchen wir durch kollektive Ansätze zu lösen. Und selbstverständlich gab es Schwierigkeiten. Knapp elf Monate nach Beginn des Projekts versuchten wir rückblickend eine Analyse der Problemfelder, die ich im Folgenden wiedergebe.
Der verinnerlichte Kapitalismus Menschen und Tätigkeiten durch Geld zu vergleichen und gleichzusetzen, scheinen wir tief verinnerlicht zu haben. Wir individuell Gärtnernde vergleichen weiterhin, wieviel Zeit wir in das Projekt »investieren«. Wir bekommen ein schlechtes Gewissen, weil wir »zu wenig« tun, oder werden grummelig, weil wir »zu viel« machen. Schnell kommt es zu Situationen, in denen wir uns für unsere Bedürfnisse – die ja so sind, wie sie sind – rechtfertigen wollen oder denken, dass wir es müssten. Oft ist es aber gar nicht die Gruppe, die diesen Druck erzeugt, sondern wir, die Einzelnen selbst. Eine Abhilfe für das Problem bieten scheinbar die konventionellen wirtschaftlichen Gepflogenheiten: Der Ruf nach einer Abstraktion der Zeit in greifbare »Arbeitsstunden« oder »Urlaubszeiten« wird laut. Und darauf aufbauend das Verlangen nach einem abstrakten Gerechtigkeitsbegriff. Statt zu sagen: »Es soll allen gut gehen mit dem, was und wieviel sie tun«, sagen wir schnell: »Alle sollen das gleiche Maß an Arbeit verrichten«. Doch kann sich bekanntlich eine Stunde an einem Tag anfühlen wie acht Stunden an einem anderen. Und: Wer Arbeitsstunden normieren will, ist auch schnell dabei, die ganze Tätigkeit zu normieren: Was zählt als Arbeitszeit? Welche Tätigkeit ist wichtig, welche nicht? Was, wenn eine Person schneller oder »effizienter« (was ist das?) arbeitet als die andere? Diese Fragen sowie das Erinnern an unsere Prämisse, dass es statt Gleichmacherei darum gehen sollte, dass sich alle Beteiligten wohlfühlen, führen diese Abstraktionsversuche schnell ad absurdum. In den ersten Monaten unseres Projekts ließ sich beobachten: Wenn – in einem schleichenden Prozess – Tätigkeit doch wieder zur abstrakten Arbeit wird, wird »der Rest der Zeit« schnell wieder zur »Freizeit«. Letzteres macht Spaß, das erstere »muss getan« werden. Sollte die aktuelle »Arbeits«-Situation tatsächlich unerträglich sein, könnte die Wiedereinführung der Kategorie Freizeit hilfreich sein, um zu sagen: Bis hierher und nicht weiter! Dazu braucht es aber wahrscheinlich die oben beschriebene Normierung von Zeit und Tätigkeit. Ich finde, eine Überwindung dieser Trennung von Arbeit und Freizeit sollte an unserem Hof dennoch immer das Ziel bleiben. Das freie Tätigsein förderte noch andere Differenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit zutage, zum Beispiel in Bezug auf Rollenverhalten und Emanzipation. Wenn das Gemüse ruft und wir alle Hände voll zu tun haben, stellt sich stereotypes Verhalten ein, und es bleibt wenig Zeit, unsere Privilegien zu reflektieren und uns gegenseitig Fähigkeiten beizubringen, vor deren Aneignung wir sonst Scheu hätten. Oder: Ich – ein männlich sozialisierter Gärtner – habe den ganzen Tag auf dem Acker verbracht, komme zurück in meine WG und ärgere mich darüber, dass gerade ich es bin, der um neun Uhr abends noch anfangen »muss«, zu kochen und zu spülen. – Als ob die anderen nichts zu tun gehabt hätten. Wir wollen die herkömmliche geschlechtliche Arbeitsteilung überwinden? Pustekuchen!
Lustprinzip und Verantwortung Das zweite Problemfeld betrifft die Verantwortung und Verbindlichkeit, die es in jedem Wirtschaftsmodell geben muss. Wir hatten 60 Menschen zugesagt, für sie Gemüse zu produzieren. Man darf hoffen, dass eine vernetzte, nicht-kapitalistische landwirtschaftliche Produktion Lücken in der Versorgung wie Ernteausfälle durch Risikostreuung, zum Beispiel durch verschiedene Anbaustandorte, überbrücken kann. Aber das gilt vermutlich nicht, wenn alle Produzierenden immer nur tun, was sie gerade wollen. Das Lustprinzip mag eine Leitlinie sein, doch ist Landnutzung vor allem die Kunst, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, und das erzeugt Druck. Wir mussten uns zum Beispiel durch eine beispiellose Trockenheit kämpfen: Die Pflanzen warten nicht darauf, bis jemand Lust hat, sie zu gießen. Sie vertrocknen einfach. Druck erzeugen wir allerdings auch durch uns selbst. Lohnenswert bleibt deshalb, darüber nachzudenken, welches Handeln wir gerade für unbedingt erforderlich halten und welches nicht. Wie weit wollen wir das Lustprinzip fallenlassen? Was passiert mit meiner Lust, wenn alles vertrocknet und es nichts mehr zu ernten gibt? Wie weit geht unsere Verantwortung für andere? Auch hier ist offensichtlich ein umfassender Lernprozess nötig.
Abhängigkeit von Technik Das dritte Problemfeld betrifft eine Schnittstelle: Durch den Kauf moderner Technik greifen wir mit unserem landwirtschaftlichen Projekt auf die kapitalistische Gesellschaft und ihre Durchsetzungsmechanismen zurück. Auf der einen Seite wünsche ich mir arbeitserleichternde Landmaschinen statt Selbstausbeutung. Auf der anderen Seite wünscht sich wohl eine Bäuerin in einem chilenischen Bergbaugebiet, aus dem die für den Bau der Landmaschine benötigten Rohstoffe kommen, dass ich dem System, das ihre Lebensgrundlage zerstört, keinen Vorschub leiste, indem ich darauf basierende Waren kaufe. Solange wir die Maschinen nicht selbst produzieren können, bleibt nur, unsere landwirtschaftliche Produktion mit wenig technisierten Verfahren zu organisieren, oder diesen Widerspruch zu akzeptieren und bei der Anschaffung neuer Geräte auf Haltbarkeit, Reparabilität und Recycelbarkeit zu achten, sowie auf deren ökologische Verträglichkeit in Produktion und Nutzung. Die vermutlich entstehende Mehrarbeit in einem wenig technisierten System könnte auch, wenn gewollt, von der Konsumenten-Gemeinschaft übernommen werden. Ein weiterer Schritt läge darin, das Produktionssystem unabhängiger von Geld zu machen. Größere Investitionen in Infrastruktur sollten nur dann getätigt werden, wenn sie uns langfristig vor weiterem Geldbedarf bewahren, wie es zum Beispiel ausgeklügelte Handmaschinen tun, Ölpressen zur Kraftstoffgewinnung, Infrastruktur und Geräte zur eigenen Saatgutgewinnung etc. Oder aber wir integrieren andere Betriebe in das Netzwerk, die diese Möglichkeiten besitzen. Es ist leider unmöglich, das technische Niveau einer nicht-kapitalistischen landwirtschaftlichen Produktion abzusehen. Dafür müssten die Rohstoffe dieser Erde als globales Gemeingut eingerichtet werden. Dann erst könnte darüber verhandelt werden, ob überhaupt, wie und für welche Technik wir sie global verwenden wollen.
Das Problem der Konsumhaltung Genauso wie wir Gärtnerinnen und Gärtner noch Aspekte der »arbeits-wahnsinnigen« Gesellschaft verinnerlicht haben, so haben auch die Begärtnerten die konventionelle Konsumhaltung verinnerlicht. Gerade auch der freiwillige, monatliche finanzielle Beitrag kann diese Haltung verstärken. Während sich einige eine weitreichende Selbstorganisation als radikales Experiment wünschen, ist anderen die »alternative Gemüsebeschaffungsmaßnahme« revolutionär genug. Um Enttäuschungen durch diese Tendenz vorzubeugen, kann die Formulierung der gemeinsamen Vision wichtig sein. Auf dieser Grundlage können dann selbstbestimmte, aber verantwortliche Aufgaben durch die Begärtnerten übernommen werden. Wenn die Vision sogar eine Ausweitung der schenkökonomischen Prinzipien auf andere Lebensbereiche beinhaltet, steht eine Vernetzung mit anderen umsonst-ökonomischen Projekten an. Innerhalb des Projekts wäre es zudem denkbar, die Bedürfnisbefriedigung der Gärtner nicht durch Geld, sondern durch die Fähigkeiten der Gemeinschaft zu decken. So könnte etwa ein begärtnerter Arzt andere in der Gemeinschaft, vor allem aber die Gärtnerinnen, umsonst behandeln … Der Umgang der Begärtnerten miteinander warf auch Fragen zum Zugang zu den Erzeugnissen auf: Wer nimmt wieviel? Nehmen diejenigen am meisten, die als erste da waren? Auf jeden Fall hatten wir die Ungerechtigkeit aufgelöst, dass diejenigen am meisten bekommen, die am meisten bezahlen. Oder diejenigen, die die brauchbarsten Fähigkeiten einbringen. Letztlich geht es um die Entkoppelung von Geben und Nehmen. Welche Wege auch immer ausprobiert werden: Das finanzielle Budget des Projekts muss gedeckt werden. Und alle Beteiligten sollen glücklich sein. Das bedeutet wohl einen weiteren Aushandlungsprozess.
Kommende Herausforderungen Überzeugt vom Potenzial der Idee, erwarten wir, dass sich in Zukunft Fragen nach der Erweiterung des Projekts stellen. Wir könnten regional mehr Gemüse und auch andere Produkte nach diesem Modell organisieren. Hier sind Imkerinnen und Obstbauern bereits am Grübeln. Allerdings stellt sich die Frage der Organisierung neu, wenn immer mehr Menschen in einer Region Teil des Projekts werden. Wie können wir uns in Großgruppen methodisch organisieren? Ab wann müssen wir uns aufteilen? Wollen wir delegieren? Wenn die beschriebene Gegenseitigkeit weiter ausgedehnt werden soll, wird es komplizierter. Es stellen sich dann ganz neue Fragen der Organisation, der Bedarfserfassung, Logistik, Ausstattung und Finanzierung. Fragen also, die wohl am besten im Tun beantwortet werden können.
Jan-Hendrik Cropp (24) theoretisiert, ackert und erlernt gerade den Müßiggang wieder und fühlt sich oft zerrissen zwischen dem guten Leben, theoretischer Kritik, landwirtschaftlicher Praxis, sozialen Bewegungen und dem Aufbau schenkökonomischer Alltagsprojekte.