In der Förderung von natürlichen Geburtsprozessen liegen mehr Chancen für Eltern, Kinder und die Entwicklung der Gesellschaft, als man annehmen möchte.von Willi Maurer, erschienen in Ausgabe #13/2012
Mit wachen Sinnen lag ich in einem Gästezimmer des modernen Geburtshauses, das die Hebamme Dorothee Heidorn 1985 eröffnet hatte. Es muss wohl gegen vier Uhr gewesen sein, als in den Nebenräumen Schritte zu vernehmen waren. Bald darauf setzte ein Gesang ein, die Laute A-O-U-M klangen wie ein Mantra durch die Räume. Ich wunderte mich, dass die bereits zum vorabendlichen Vortrag angereisten Teilnehmer meines Seminars um diese Zeit so aktiv beisammen waren. Dieses sollte ein ganz spezielles Seminar werden, das auf Wunsch von politisch aktiven Menschen zustandegekommen war. Sie wollten durch Gefühls- und Körperarbeit an sich selbst erfahren, wie primär prägende Erfahrungen aus Schwangerschaft, Geburt und den ersten Lebensmomenten in unserem Alltag und bei der Realisierung von Projektvorhaben konkret Wirkung entfalten. Die Hausherrin hatte im Verlauf meines Vortrags erwähnt, dass die Öffnung des Muttermunds der des Munds entspreche, und dass sie deswegen manchmal mit der Gebärenden die öffnenden Silben A-O-U-M singe. Voraussetzung für einen natürlichen Geburtsvorgang sei nämlich, jegliche Kontrolle loslassen zu dürfen. Dabei könne Unerwartetes geschehen. Nicht immer sei es Gesang, manchmal komme es auch zu heftigen Wutausbrüchen oder zum lautstarken Ausdruck von Schmerzempfindungen. Sie gab dazu gleich ein Beispiel, das manche Zuhörer erschrocken aufhorchen ließ. Es sei dieser ungehemmte Energiefluss, der die Schleusen zu öffnen vermöge und die natürliche Geburt erleichtere. Die Reaktion des Publikums ließ mich ein wenig schmunzeln, denn es würde sich im Seminar zeigen, dass solch ungeahnte Gefühle auch in den Seminarteilnehmern und -teilnehmerinnen angelegt sind.
Zellen erinnern sich Wohlig mitschwingend zum A-O-U-M-Gesang im Nebenzimmer, realisierte ich, dass dort eine wirkliche Geburt im Gange war, denn nun mischte sich für kurze Momente das Weinen eines Babys in den Gesang. Dann war schließlich absolute Stille. Voller Freude genoss ich es, einer Geburt so nahe gewesen zu sein. Als um acht Uhr das Seminar begann, war das Paar mit ihrem Kind bereits nach Hause unterwegs. Das Haus vibrierte förmlich vor Schwingungen, die zur Ankunft des »inneren Kindes« in unserem Seminar einluden. In der Gefühls- und Körperarbeit dürfen die in Krisen- und Stresssituationen angerührten Empfindungen und Impulse – unter Einhaltung bestimmter Regeln – in voller Intensität Ausdruck finden. Dabei kann das Zellgedächtnis derart aktiviert werden, dass der Körper mit Symptomen reagiert und die lange verdrängten Erinnerungsschichten zugänglich werden. In über dreißigjähriger Erfahrung mit dieser Arbeit habe ich Einblick in zahlreiche Lebensgeschichten erhalten und fand dabei immer wieder bestätigt: Im Wiedererleben zeigt sich, wie Umwelteinflüsse und die Befindlichkeit von Mutter und Vater in den Zellen des heranwachsenden Embryos Wirkung entfalten können. Jede Zelle erinnert sich schon ab dem Moment der Zeugung und dem Sein im Mutterleib an prägende Vorkommnisse, die eine Öffnung für Wachstum oder eine verschließende Schutzhaltung bewirken können. Im Stammhirn trägt dies zur Bildung von Synapsen bei, die zerebrale »Trampelpfade« bilden, auf die der Mensch in Notsituationen haltsuchend zurückgreift. So übernimmt bei Stress und Angst das Stammhirn die Kontrolle und setzt sich über alle rationalen Vorsätze und positiven Gedanken hinweg, die im Neokortex (der lediglich rund 5 Prozent des Gehirns umfasst) verankert sind. Gibt es Möglichkeiten, solche Trampelpfade, die manchmal einen sabotierenden Einfluss auf unser Lebensglück ausüben, aufzulösen und durch neue, sinnvolle Pfade zu ersetzen?
Heilsame Erschütterung Der Gehirnforscher Gerald Hüther fand heraus, dass das Kind mit einer bereits im Mutterleib ausgebildeten Gehirnmatrix zur Welt kommt, die im zukünftigen Leben Wirkung ausüben wird. Diese Matrix könne sich jedoch bei starker emotionaler Erschütterung, wie das in Lebenskrisen oder bei Konflikten in Liebesbeziehungen geschehe, aufweichen. Hierbei werde Neuorientierung und Wachstum möglich. Genau diese Art von Erschütterung und anschließender Neuorientierung beobachte ich in der Gefühls- und Körperarbeit und auch bei Eltern und Neugeborenen, die nach einer natürlichen Geburt – während den Momenten des ungestörten »Imprintings« – ihre eventuell vorhandenen Traumatisierungen auszuheilen vermögen. Mit Imprinting meine ich den immens wichtigen, da prägenden und Bindung herstellenden ersten Körperkontakt zwischen Mutter und Kind direkt nach dem Geburtsvorgang. Dazu eine Geschichte, die mich bereits im Jahr 1977 erahnen ließ, welch großes Heilungspotenzial das Imprinting beinhalten kann. Ich war damals Mitglied einer Gruppe von zukünftigen Therapeutinnen und Therapeuten, die sich während eines Jahres regelmäßig über längere Zeiträume, manchmal zehn Tage und Nächte, im selben Raum aufhielten. Wir wollten die Herkunft der unser Verhalten steuernden Anlagen erforschen. Den durch das enge Zusammensein gegebenen Bewegungsimpulsen folgend, entstanden Momente der Nähe, der sexuellen Anziehung, der Freude, und auch des sich-ausgeschlossen-Fühlens. In Konfliktsituationen war es möglich, den angerührten Gefühlen ungehemmt Ausdruck zu geben. Dabei begleiteten wir einander wechselseitig mit uns bekannten Methoden aus der humanistischen Psychologie. Im Verlauf eines liebevollen, auch sexuell berührenden Kuschelkontakts geriet eine Frau in panische Angstzustände und begann, sich an mir festzukrallen und sich zugleich von mir abzustoßen, ohne mich indes loszulassen. So begann sich ein offensichtlich lebensbedrohender Kampf abzuspielen wie bei einer Geburt, und doch auf verwirrende Weise anders geartet. (Spätere Nachforschungen ergaben, dass sie in Steißlage unter extrem schwierigen Bedingungen zur Welt gekommen war). Der Kampf endete nach etwa einer Stunde in totaler Erschöpfung. Ohne Lebenszeichen lag die Frau vor mir auf dem Boden. Doch dann konnte ich auf ihren Lippen feine Vibrationen wahrnehmen, und ich hielt behutsam einen Finger hin. Sie reagierte sogleich mit heftigen Saugreflexen, kroch dann Kontakt suchend an meinen Körper und begann an einer Hautfalte meines Oberkörpers gierig zu saugen. Ich war äußerst aufgewühlt und spürte einen immensen Schub an mütterlichen Gefühlen, die mich zu beschützender Hingabe geleiteten.
Der innere Mangel hat eine Ursache Erst viele Jahre später wurde mir bewusst, dass dabei in mir, einem Mann, eine Ausschüttung des Hormons Oxytozin, des Hormons der Liebe, das bei einer gebärenden Frau die Mutterinstinkte zu wecken vermag, stattgefunden hatte. Doch was dann geschah, war noch eindrucksvoller: Inmitten meines hingebungsvollen »Mutterseins« wurde ich von einem immensen Schmerz überwältigt. Gemäß unserem Setting gab ich mich dem Fluss dieses Schmerzes hin und fand mich regredierend innerhalb weniger Augenblicke als Neugeborenes wieder, das nach einer schweren, für die Mutter fast tödlich endenden Geburt ins Nebenzimmer abgelegt worden war. Doch anstelle der damaligen Todesangst geschah mir jetzt eine völlig neue Erfahrung. Die Frau, die eben noch als saugendes Baby an meinem Körper lag, nahm offenbar das Zittern meiner inzwischen verstummten Lippen wahr, und nun war sie es, die mich liebevoll an ihren Körper nahm. Später sagte sie mir: »Weißt du, es war mir nur deshalb möglich, so spontan die Mutterrolle für dich einzunehmen, weil ich vorher von dir die seit meiner Geburt vermisste Zuwendung erhalten hatte und sich dadurch das gewohnte Gefühl des inneren Mangels auflösen konnte. Nun begreife ich, warum ich bisher das Schreien von bedürftigen Babys gehasst habe. Doch nach dieser Erfahrung ist dieser Hass verschwunden, und ich verspüre Lust, selber ein Kind zu bekommen.« Diese Aussage zeigt subtil die Hintergründe, die sowohl im Umgang mit den Bedürfnissen der Neugeborenen als auch im Verhalten von Müttern und Vätern zu ihrem Baby, das ein Tragling ist, Wirkung ausüben. Ich verwende die Bezeichnung »Baby«, weil »Tragling« sich so holprig anhört und »Säugling« suggeriert, dass das Säugen das wichtigste Bedürfnis sei, während kaum bekannt ist, dass Hautkontakt und eine Tragezeit von einigen Monaten biologisch von noch größerer Wichtigkeit sein könnte. Wir sind im westlichen Kulturkreis von staatlich propagierten Erziehungskonzepten des vergangenen Jahrhunderts geprägt, die »guten Müttern« empfahlen, ihre Babys im Vierstundenrhythmus zu ernähren, sie früh abzustillen, sie nur zum Säubern aufzunehmen und sie weinen zu lassen, damit sie früh lernen, sich dem Willen der Erwachsenen unterzuordnen. Daraus gingen Generationen von Menschen hervor, die – infolge des nicht stattgefundenen Imprintings von ihrem Innersten abgespalten – ihre natürlichen Instinkte verloren haben. So geprägt, kommt es den Menschen oftmals unnatürlich vor, Babys am Körper zu tragen; auf das Weinen ihres Kindes, das vielleicht sein Bedürfnis nach Getragenwerden signalisiert, reagieren sie mit Unverständnis, Überforderung oder Ärger. Aufgrund meines beschriebenen Erlebnisses kristallisierte sich eine Hypothese heraus, die sich inzwischen durch viele Rückmeldungen zur Gewissheit verdichtet hat: Wenn Eltern im Zeitfenster des Imprintings ungestörten Hautkontakt zu ihrem neugeborenen Kind haben, kann Freude oder auch Schmerz angerührt werden. Schmerz dann, wenn die Eltern als Babys nach der eigenen Geburt von der Mutter getrennt und weggelegt wurden oder wenn sie geburtliche oder vorgeburtliche Traumatisierungen in sich tragen, die nun ins Bewusstsein aufsteigen. Das ist eine äußerst kostbare Gelegenheit, das eigene »innere Baby« zu integrieren und auf diese Weise bewusst und heil zu werden. Eine solche Heilung ermöglicht den Eltern, sensibel auf ihr Baby eingehen zu können und auf sein wichtigstes Bedürfnis – dem Getragenwerden – mit freudiger Zuwendung zu reagieren. Die postpartale Depression, für deren Ursache die Wissenschaft bis heute keine befriedigende Erklärung kennt, könnte eine Folge der Verunmöglichung des beschriebenen heilsamen Prozesses sein. Desgleichen zeigen sich auch beim Mann Folgeerscheinungen in Form einer Tendenz zu Eifersucht und Neid auf die Nähe zwischen Mutter und Kind – oft subtil verborgen hinter Vorschlägen wie »Richten wir dem Kind ein eigenes Zimmer ein, dann haben wir auch Zeit für uns«. Männer, die von ihrem inneren Baby abgespalten sind, versuchen tendenziell »Nähe« über Sexualität zu leben. Folgende Begebenheit zeigt, was ungestörtes Imprinting auszulösen vermag. Zufällig traf ich ein jugendliches Paar wieder, das ein Jahr zuvor einen meiner Vortragsabende besucht hatte. Freudestrahlend schob die Frau das Tuch über ihrer Brust zur Seite, wodurch das Köpfchen eines etwa drei Monate alten Kindes sichtbar wurde. Ganz begeistert erzählten die beiden: »Es war genauso, wie du gesagt hast: Wir haben beide eine ganze Woche lang geweint!« Nun doch etwas erstaunt, antwortete ich, doch nur von Momenten des Weinens gesprochen zu haben. »Nein, nein, bei uns war das die ganze Woche.« Beim Hautkontakt mit dem Baby, berichtet die Mutter, sei sie von einem zunächst unerklärlichen Schmerz überwältigt worden, dann seien Erinnerungen aufgestiegen, wie sie die ersten Tage nach ihrer Geburt alleine im Brutkasten verbringen musste. Ihr Mann habe sie dabei liebevoll in den Armen gehalten. Der junge Vater erzählte, auch er habe nach seiner Geburt im Brutkasten gelegen. So waren sich diese beiden jungen Menschen – wohlgemerkt ohne jegliche Therapieerfahrung – eine Woche lang wechselseitig »gute Mutter«, während sie sich dem inneren Reinigungsprozess hingaben und ihre inneren Babys integrierten. Genauso wie das neu angekommene, wollten auch diese eigenen inneren Babys getragen sein.
Das Trauma wird immer weitergegeben. Immer? Überall dort, wo der primäre Körperkontakt zwischen Mutter und Baby verhindert ist, wird in den Folgegenerationen ein sich reproduzierender Verlust der natürlichen Zuwendungs- und Trageinstinkte erkennbar. Im Tierreich, bei Schafen, ist dies sehr wohl erforscht. So ist bekannt, dass die Periduralanästhesie und der Kaiserschnitt bei gebärenden Mutterschafen einen Verlust des Pflegeinstinkts und sogar feindseliges Verhalten gegenüber dem frisch geworfenen Lämmchen zur Folge hat. Wenn dieses Lämmchen später selber Junge bekommt, verhält es sich als Mutter – auch ohne jegliche Medikalisierung der Geburt – ebenfalls feindselig zum neugeborenen Lämmchen. Dasselbe geschah den Äffchen, denen der Verhaltensforscher Harry Harlow anstelle der Mutter eine Drahtattrappe mit Milchflasche zur Verfügung stellte. Im Wissen um solche Zusammenhänge könnte man natürlich darüber verzweifeln, dass die politischen Weichenstellungen bezüglich Schwangerschaft, Geburt und Nachsorge immer mehr in Richtung Kontrolle, Medikalisierung und Industrialisierung weisen. Erwähnenswert sind an dieser Stelle die Forschungen des ehemaligen Chefarztes der Semmelweisklinik in Wien, Professor Alfred Rockenschaub, die anhand von über 50 000 Geburten zeigen, dass eine Kaiserschnittrate von nur einem Prozent als Resultat eines äußerst schonenden Vorgehens möglich ist. In den industrialisierten Staaten sind wir bei einem Durchschnitt von 33 Prozent angelangt, in einzelnen Gegenden Europas gar bei einer Rate von 60 Prozent. Es müsste uns alarmieren, wenn nun den freischaffenden Hebammen und den Geburtshäusern die Existenzgrundlage entzogen werden soll. Vielleicht ist es in unserer profitorientierten Welt notwendig, sich des Preises bewusst zu werden, den wir in Form von sozialem Unbehagen, geschädigtem Immunsystem sowie seelischem und körperlichem Leid bezahlen, solange wir im Teufelskreis der Traumatisierung hängen. Gelingt es uns aber, zur Eigenkompetenz zurückzufinden, wird die Welt sich zu ändern beginnen. Das im Imprinting liegende Heilpotenzial ermöglicht zukünftigen Eltern und der ganzen Gesellschaft, sich aus einem viele Generationen überdauernden Wiederholungskreis zu befreien. Wir alle haben es in der Hand, dazu beizutragen, dass dieser Prozess stattfinden kann.
Willi Maurer (66) lebt als teilweiser Selbstversorger im Tessin und begleitet seit dreißig Jahren Menschen in der von ihm entwickelten Gefühls- und Körperarbeit. Er ist Gründungsmitglied der Partei Integrale Politik Schweiz und Mitinitiator des Holon-Netzwerks. www.willi-maurer.ch
Wie man mit dem inneren und dem eigenen Baby in Beziehung kommt Willi Maurer: Der erste Augenblick des Lebens. Drachen Verlag, 2009 • Jean Liedloff: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück. Beck Verlag, 2009
Zum Aussterben verurteilt? Die Hebamme Lisa von Reiche schreibt über die aktuelle Bedrohung ihres Berufsstands.
»Im Anfang war die Hebamme, und die Hebamme war beim Kind – und das Kind startete gut ins Leben.« Darüber spricht man vielleicht bald nur noch in der Vergangenheitsform: Immer mehr Hebammen müssen sich aus dem Herzstück ihrer Arbeit – der Geburtshilfe – zurückziehen. Damit ginge eine jahrhundertealte Tradition zugrunde, ein lebenserhaltendes Handwerk würde nicht mehr ausgeübt und weitergegeben. Warum droht dies? Zum 1. Juli 2010 stiegen die Berufshaftpflichtprämien schon um 50 Prozent auf bis zu 4 600 Euro proJahr, weitere 15 Prozent kommen im Juli 2012 dazu – betriebswirtschaftlich ist dieser Anstieg für unsere Berufsgruppe nicht mehr zu verkraften. Zugleich sehen Krankenkassen trotz neuester Studien, die belegen, dass Geburten in Geburtshäusern und zu Hause ebenso sicher sind wie in Kliniken, keinen Anlass, die Gebührensätze der Hebammen deutlich anzuheben. Hinzu kommt: Das besondere, schicksalhafte Ereignis der Geburt eines Kindes wird zunehmend unter haftungsrechtlichen und wirtschaftlichen Aspekten gesehen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen in diesem sensiblen Moment leider schon lange nicht mehr Mutter und Kind mit ihren Bedürfnissen nach menschlicher Zuwendung und Begleitung durch eine ihnen vertraute Hebamme. Nur so erklärt sich der Anstieg der Kaiserschnittrate auf über 30 Prozent, einem medizinischen Eingriff, der fahrlässig als unproblematisch dargestellt und propagiert wird. Schwangere Frauen bedürfen liebevoller Zuwendung. Sie brauchen Zeit, um ihren Körper und das Wesen, das in ihnen heranwächst, kennenzulernen und zu unterstützen. Hebammen haben hier schon immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden und über die Möglichkeiten und Grenzen von Geburtsorten aufgeklärt. Nur gestärkte, mündige Mütter können für sie richtige Entscheidungen treffen. Die Initiative Hebammen für Deutschland e. V., die ich im Frühjahr 2010 mitgegründet habe, möchte eine Plattform bieten, um der Forderung Ausdruck zu verleihen, dass diese fatale Entwicklung gestoppt werden muss. Hier kann die Gesellschaft zeigen, dass sie nicht willens ist, aufs Hebammenhandwerk zu verzichten. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die gesetzliche Familiengesundheitskasse Securvita, der die sinnvolle Unterstützung von Schwangeren offenbar ein Anliegen ist. Sie fördert Geburtshäuser und Hebammenhilfe, und so gilt es zu hoffen, dass weitere Kassen diesem Vorbild folgen. ◆
Vorbildliches Venezuela Auszüge aus einem in Venezuela 2007 verabschiedeten Gesetz, das Frauen ein Recht auf natürliche Geburt zusichert.
Die Nationalversammlung der venezolanischen Republik beschließt das folgende Grundgesetz über das Recht der Frauen auf ein gewaltfreies Leben:
[...] Kapitel III: Definition und Arten der Gewalt gegenüber Frauen [...] Artikel 13. Entbindungsbezogene Gewalt: Unter entbindungsbezogener Gewalt versteht man die Aneignung des Körpers und der Fortpflanzungsprozesse der Frauen durch Beschäftigte im Gesundheitswesen. Dies zeigt sich in einem entmenschlichenden Umgang, durch den Missbrauch der Medikalisierung und der Pathologisierung der natürlichen Prozesse, wodurch ein Verlust von Eigenständigkeit und der Fähigkeit, frei über Körper und Sexualität bestimmen zu können, entsteht, was sich wiederum negativ auf die Lebensqualität der Frauen auswirkt.
[...] Kapitel VI: Grundgesetz über das Recht der Frauen auf ein gewaltfreies Leben: [...] Artikel 51. Die wesentlichen Handlungen entbindungsbezogener Gewalt durch Beschäftigte im Gesundheitswesen sind folgende: 1.Notfallmaßnahmen bei der Entbindung nicht zur angebrachten Zeit und mit der erforderlichen Wirksamkeit durchzuführen. 2.Die Frauen zu zwingen, auf dem Rücken liegend […] zu entbinden, wenn die Möglichkeiten für eine vertikale Entbindung gegeben sind. 3.Die frühe Bindung zwischen Mutter und Kind direkt nach der Geburt ohne medizinische Notwendigkeit zu verhindern, indem ihr die Möglichkeit verweigert wird, das Kind zu halten oder ihm die Brust zu geben. 4.In den risikoarmen natürlichen Geburtsvorgang durch die Anwendung geburtsbeschleunigender Techniken einzugreifen, ohne die freiwillige, ausdrückliche und gut unterwiesene Zustimmung der Mutter. 5.Eine Entbindung per Kaiserschnitt zu praktizieren, obwohl die Voraussetzungen für eine natürliche Geburt gegeben sind und ohne dass die Frau freiwillig, ausdrücklich und gut unterwiesen zugestimmt hätte. In diesen Fällen wird das Gericht dem oder der Verantwortlichen eine Strafe zwischen 250 und 500 Steuereinheiten auferlegen und muss eine beglaubigte Abschrift des Strafurteils an das zuständige Berufsgremium weiterleiten, damit diese die vorgesehenen disziplinarischen Schritte einleiten. ◆