Energieriesen sollten keine Stromnetze betreiben.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #15/2012
Als am 13. Juni in Berlin der Umweltausschuss tagt, sagt der Vorsitzende, ein CDU-Politiker: »Zum Status quo der Netze sind Vertreter von Vattenfall und der Berliner Gaswerke AG geladen, zur Zukunft der Netze der Berliner Energietisch und die BürgerEnergie Berlin.«
Der Berliner Energietisch plädiert für eine Rekommunalisierung der Netze, und die neu gegründete Genossenschaft BürgerEnergie Berlin eG möchte die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt animieren, das Netz zu kaufen. Einer der Mitbegründer der Genossenschaft ist der Dolmetscher und Übersetzer Steffen Walter. Er beteiligte sich zum ersten Mal an einem so groß angelegten Projekt. »Es war ein längerer Prozess bei mir, vom Privaten ins Öffentliche zu gehen«, erzählt Steffen. »Als ich mich 2003 nach einer Zeit der Festanstellung selbständig gemacht habe, ging es noch darum, meiner Frau und der Welt zu beweisen, dass ich es kann. Als wir 2009 eine Solaranlage auf unserem Haus installierten, fing ich an, mich intensiv mit allen Fragen zu erneuerbaren Energien zu beschäftigen, und schaute über den ›Tellerrand‹ hinaus.« Vor allem begeisterte sich Steffen 2009 für die Initiative »Energie in Bürgerhand«, die sich in Freiburg gründete, als der Stromkonzern e.on seine Tochterfirma Thüga AG, die an über 90 Stadtwerken beteiligt war, aus kartellrechtlichen Gründen verkaufen musste. Nach dem Vorbild der »Schönauer Stromrebellen« entstand eine Genossenschaft, die sich für den Kauf der Thüga bewarb. »Die Nachricht, dass es diese Initiative gibt, verbreitete sich nach kurzer Zeit bundesweit über die Netzwerke von Campact. Das hat enorm schnell Fahrt aufgenommen.« Steffen beflügelt die Dynamik, er fährt nach Freiburg und lernt die Initiativgruppe kennen. Leider scheitert der Plan an komplizierten Verhandlungen mit den Stadtwerken, wo es zu viele Vorbehalte gegenüber dem Bürgerprojekt gibt. Steffen beeindruckt, dass die Initiative weitermacht – nach wie vor mit dem erklärten Ziel, die Atomkonzerne aus ihren Beteiligungen an Stadtwerken herauszudrängen. Das wurde zwar bisher nicht erreicht, doch die Initiative diente gewissermaßen als »Initialzündung«.
Berliner Stromrebellen Als eine solche Möglichkeit in Berlin am Horizont erscheint, kochen zwei Frauen, Luise Neumann-Cosel und Arwen Colell, ein Jahr lang die Idee aus, die schließlich zur Gründung der BürgerEnergie Berlin eG führte. Inzwischen hatte Steffen Walter eine Weiterbildung als Projektentwickler für Energiegenossenschaften absolviert und schließt sich der Gruppe an. Auch beim Berliner Energietisch, der einen Gesetzentwurf zur Rekommunalisierung des Stromnetzes durchsetzen will, ist er eine Weile dabei. »Eine Zeitlang hofften wir, dass sich beide Kräfte, die Idee der Genossenschaft und die Idee der Rekommunalisierung, verbinden könnten. Aber die Strategien waren bei beiden Initiativen zu unterschiedlich«, klärt Steffen über den Zusammenhang auf. Hier prallen wieder einmal die Pole aufeinander: Markt oder Staat? Die einen sorgen sich, dass es auch bei einer Bürgergenossenschaft um Rendite gehen wird und die Aktion nur etwas für gut situierte Leute sein könnte, statt dass grundsätzlich über ein »Menschenrecht auf Stromversorgung« diskutiert wird. Die anderen haben keine Lust auf einen rein politischen Weg, sie wollen schneller handlungsfähig werden. Steffen möchte beide Lösungswege zusammendenken, beide Bereiche brauchen neue Spielregeln. Die Spannung zwischen Detaildiskussionen für gangbare Lösungen im Hier und Jetzt und fernen Utopien für die Zukunft auszuhalten, ist nicht leicht. »Zwischendrin kommt die Angst vor der Größe. Als Perfektionist hatte ich früher oft Angst, neue Schritte zu gehen, weil ich dachte, ich kann es nicht, bin nicht gut genug. Da war die Angst, sich mit einer größenwahnsinnigen Idee zu zeigen«, überlegt Steffen. »Aber es gibt so etwas wie gesunden Größenwahn. Mit einer weit gesteckten Vision kann ich das Potenzial dieser Stadt heute ganz anders spüren. Dieses unbefangene Urvertrauen in die Fähigkeit, sich etwas Großes vorzustellen – darum geht es.« Unbefangenheit ist eine zentrale Qualität des Spielens. Und sie ist ansteckend, zieht neue Mitspieler und Ideen an. »Was können wir außer Energie und Nahrung noch regional erzeugen?«, fragt sich Steffen in letzter Zeit immer wieder. Das ist die große Frage nach dem Weg in eine Postwachstumsökonomie.