TitelthemaStadtgärten in New York
In den ärmeren Vierteln der Metropole leisten urbane Gärten einen elementaren Beitrag zur gesunden Ernährung der Bevölkerung.von Johanna Treblin, erschienen in Ausgabe #16/2012Das Gesicht ist hochrot, die Stirn glänzt. Die volle Schubkarre steht vor Seth Fisher und möchte weggefahren werden, aber er stützt sich auf seine Schaufel, wischt sich mit dem Rücken seines Gartenhandschuhs die Haare von den Brillengläsern und winkt ab. Pause.
»Ich liebe diese Arbeit, ich bin nur einfach nicht in der richtigen Verfassung dafür«, sagt Fisher. Er ist schmal gebaut und ein wenig bleich. Fisher ist Student und kommt aus Staten Island, dem südlichsten Stadtviertel New Yorks. Dort ist er bei der Occupy-Bewegung aktiv. Für heute hat die New York City Community Garden Coalition gemeinsam mit Occupy Wallstreet zur »Unkonferenz« aufgerufen. In der gesamten Stadt bieten sie in Gemeinschaftsgärten Workshops zu Umwelt- und Nahrungsmittelgerechtigkeit an.
Die gemeinnützige Organisation East New York Farms nutzt die Unkonferenz, um einen neuen Garten einzurichten. In mehreren Haufen liegt im vorderen Teil des Gartens Komposterde, die zehn Helfer in Schubkarren schippen und in eines der 20 zusammengezimmerten ein mal zwei Meter großen Hochbeete kippen. »Die Erde ist nicht optimal, aber kostenlos«, sagt David Vigil, Farm-Manager der Organisation. Den Kompost hat er gratis vom städtischen Gesundheitsamt abgeholt.
Kostenlos ist auch das Land, auf dem die Farm angelegt wird. Es gehört der Stadt. Die Fläche von der Größe zweier Einfamilienhäuschen liegt in East New York, einer Nachbarschaft mit rund 90 000 Einwohnern weit im Osten des Bezirks Brooklyn. Laut Zensus von 2010 ist mehr als die Hälfte der hiesigen Bevölkerung schwarz, ein gutes Drittel ist lateinamerikanischen Ursprungs und nur 3,4 Prozent sind weiß. Mehr als die Hälfte der Haushalte verdient zwischen 15 000 und 75 000 Dollar im Jahr, ein Drittel liegt noch darunter. Zum Vergleich: In der Brooklyner Nachbarschaft Park Slope, die wegen der vielen Kinderwagen und der Akademikerdichte als »Prenzlauer Berg New Yorks« gilt, verdienen fast 50 Prozent der Bevölkerung 50 000 bis 150 000 Dollar im Jahr, die andere Hälfte liegt darunter.
Die neue Farm ist die dritte der Non-Profit-Organisation East New York Farms. Insgesamt gibt es hier in der Gegend rund 40 Gemeinschaftsgärten – eine ungewöhnlich hohe Dichte. Als David Vigil und seine Kollegen im Jahr 2000 ihre erste Farm hier anlegten, folgten sie einem Trend, den die Nachbarn angestoßen hatten. Vigil selbst wohnt in Cobble Hill, einem von Weißen dominierten Stadtteil von Brooklyn nahe dem East River. Er organisiert die Hauptfarm von East New York Farms. Dort betreut er die Freiwilligen und sorgt dafür, dass das Obst und Gemüse bewässert wird – wenn es mal nicht regnet in New York.
»Ich will, dass alle Menschen Zugang zu gutem Essen zu erschwinglichen Preisen erhalten«, sagt Vigil. Viele ärmere Gegenden der Stadt sind sogenannte Nahrungsmittelwüsten: Im Umkreis von rund einer Meile gibt es dort keine Supermärkte, oder sie führen Produkte von minderwertiger Qualität. Dem US-Landwirtschaftsministerium zufolge betrifft das mehr als 650 000 New Yorker – rund acht Prozent der Bevölkerung. Deshalb baut Vigil mit Bewohnern des Viertels Bio-Obst und -Gemüse an, das zum Teil auf dem selbstgegründeten Ökomarkt verkauft wird. Die verantwortlichen Gärtner kommen alle aus der Nähe, die Freiwilligen aus der ganzen Stadt. Seth Fisher macht hier auf dem Weg zu einem Freund einen Zwischenhalt. Er kippt eine der Schubkarren gegen einen Erdhügel und klettert auf den Kompost. Dann schaufelt er die Erde in die Schubkarre, ein bisschen wie ein Hund, der in der Erde wühlt. Ruckzuck ist sie gefüllt. »Ich mag nicht kräftig sein, bin aber clever«, kommentiert er seine Aktion.
Mehr als 400 Gemeinschaftsgärten sind über die Stadt verstreut, allerdings waren es in den 90er Jahren schon einmal deutlich mehr. Doch in letzter Zeit entstanden wieder viele neue, besonders in ärmeren Vierteln. Die gemeinnützige Organisation »596 Acres« beispielsweise hat fast 600 Flächen vor allem in Brooklyn ausfindig gemacht, die zur Zeit nicht oder nur unzureichend genutzt werden. Eine Karte im Internet zeigt die Standorte an, Nachbarn sind aufgerufen, sich die Plätze anzueignen und Gärten daraus zu machen.
Eine traditionsreiche Bewegung
Die ersten Gemeinschaftsgärten in New York wurden in den 70er Jahren in der Lower Eastside in Manhattan gegründet: Nach dem Liz Christy Garden gilt El Sol Brillante (»die strahlende Sonne«) als einer der Pioniere. Hier in der Gegend lebten zunächst viele Einwanderer aus Lateinamerika und der Ukraine. Die Immobilienpreise lagen im Keller, ganze Häuser wurden abgerissen oder brannten nieder. Neben den Ratten übernachteten Junkies in Hausruinen und ließen ihre Nadeln liegen.
Bewohner der 12. Straße überlegten damals gemeinsam, was sie mit einem verwahrlosten Grundstück anfangen könnten. »Es ging hauptsächlich darum, für mehr Sicherheit in der Gegend zu sorgen und die Gemeinschaft unter den Nachbarn zu stärken«, erzählt Joanne Morse vom Trust for Public Land, einer gemeinnützigen Organisation, die erheblich zum Erhalt der Gemeinschaftsgärten beigetragen hat und immer noch bei Neugründungen hilft.
Die Bodenqualität war damals kein großes Thema. Von den selbstgezogenen Tomaten bekamen einige Kinder Hautausschlag. »Wir hatten den Boden vorher nicht testen lassen. Dann kam heraus, dass die Tomaten erhöhte Bleiwerte hatten«, erzählt Mitgründerin Linda Cohen, die in den 70ern zu den Green Guerillas gehörte – der Gruppe, die Freiräume für sich und andere New Yorker eroberte und heute noch immer existiert.
Gärten statt Gentrifizierung
In den 80ern und 90ern erholte sich die Wirtschaft, neue Immobilien wurden hochgezogen, und plötzlich anvancierte die Lower Eastside zum neuen In-Viertel – die Mieten stiegen. Bürgermeister Rudolph Giuliani nutzte die Gelegenheit, um 1000 Brachflächen in den Händen der Stadt zu versteigern. Rund 100 davon waren Gärten. Es gab dramatische Vertreibungs-Szenen, Proteste und Prozesse, aber im Jahr 2000 konnten der Trust for Public Land und das New York Restoration Project die noch vorhandenen Grundstücke zu einem symbolischen Preis erwerben. Dies schützte jedoch nur die Gärten in der Versteigerungsmasse; viele weitere wurden damals aufgelöst und überbaut. Die Gärtner von El Sol Brillante haben einen der ersten »Land Trusts« gegründet und ihr Grundstück selbst gekauft. Damit kann es nichts anderes mehr werden als ein offener Garten.
In den Straßen um den Garten herum haben immer mehr Bars eröffnet, Studenten der New York University trinken hier Kaffee, Touristen Cappuccino, und am Wochenende trifft man sich in der Gegend zum Brunch. Der Schnellimbiss »Señor Pollo« verkauft Hühnchen, aus der Eastside Community Highschool treten zwei schwarze Mädchen hinaus. Die Gentrifizierung hat auch nach 25 Jahren nicht alle ehemaligen Bewohner vertrieben. Aber selbst bei den Hochhäusern zwei Blocks weiter im Osten hat sich einiges verändert: Ein Schild weist das Gelände als »Graffiti-freie Zone« aus.
Stadtgärtner und Kleinbauern
Die Tür zum Garten zwischen den Avenues A und B ist offen, eine Gärtnerin wirft Pflanzenreste auf den Kompost. An einem Tisch sitzt Nick Breeden in Jeans und ausgeleiertem T-Shirt vor den Resten eines Barbecues. »Um uns herum leben jetzt Millionäre«, sagt Breeden. Seit neun Jahren ist er Mitglied von El Sol Brillante. Ein großes Interesse an dem Garten hatten die neuen Nachbarn bisher nicht gezeigt, meint er. Die Bewohner eines Neubaus hat er im Verdacht, regelmäßig die Feuerwehr vorbeizuschicken, wenn im Garten gegrillt wird. Der Off-Broadway-Schauspieler Breeden und die anderen Gärtnerinnen und Gärtner wussten sich aber zu helfen: »Wir haben zusammengelegt und der nächsten Feuerwehrstation eine kleine Spende überreicht. Seitdem lassen sie uns in Ruhe.«
Urbane Landwirtschaft kann heute nur einen Bruchteil des Nahrungsmittelbearfs von New York bestreiten. Doch die Nachfrage nach regionalen Produkten steigt und wird bereits auf ein Viertel des Gesamtkonsums geschätzt. Einen großen Anteil haben daran die kleinen Bauern in der Umgebung. In den vergangenen Jahren sind auch viele direkte Kooperationen zwischen Höfen und Verbrauchern entstanden – Community Supported Agriculture. Doch das Angebot alleine reicht nicht, um die Nahrungsmittel auch bei den Bedürftigen ankommen zu lassen. Viele Gemeinschaftsgärten knüpfen die Vergabe der Beete daher an das Einkommen der Interessenten. Andere bieten Workshops zu gesunder Ernährung an oder kooperieren mit Schulen. Auch die Politik bewegt sich: Im Rahmen des »Farmers Market Nutrition«-Programms können Bedürftige günstig auf Biomärkten einkaufen. Mit dem »Food Works Blueprint« will New York außerdem dafür sorgen, dass »Essens-Dollar« der lokalen Wirtschaft zugutekommen. Ein Vorbild für Städte wie Berlin?
Johanna Treblin (31) ist Politikwissenschaftlerin, Umweltjournalistin und Autorin in Berlin und beschäftigt sich mit Stadtsoziologie.
Stadtgärtner in New York virtuell besuchen
www.eastnewyorkfarms.org
www.oasisnyc.net/garden/gardensearch.aspx
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