Permakultur

Spüren, was Pflanzen und Orte brauchen

Der berühmte »grüne Daumen« besteht vor allem aus sehr viel Intuition und Einfühlungsvermögen.von Ulrike Meißner, erschienen in Ausgabe #16/2012
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© Ulrike Meissner

Verbindung zum Ort aufzunehmen, mit allen Sinnen präsent zu sein und wahrzunehmen, ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung guter Gestaltungslösungen. Plätze oder Räume im städtischen Umfeld, die sich für die Nutzer stimmig anfühlen, wurden selten nur am Reißbrett entworfen. Auch Gärten entfalten erst dann ihr volles Potenzial, wenn ihre Gärtner – oder auch ihre Besucher – sich voll und ganz auf sie einlassen.

Das bestätigt auch Ulrike Keßler, passionierte Gärtnerin, Tischlerin, Sennerin, Hauswirtschafterin und Köchin aus dem Westerwald, die ihren »Garten Antana« auch für Besucher öffnet und anderen Gärtnern dabei hilft, in ihrem Garten anzukommen und für beide – für Garten und Mensch – passende Gestaltungs­lösungen zu finden.
Was braucht es, damit wir es in unserer schnelllebigen Zeit schaffen, im gegenwärtigen Moment anzukommen und präsent zu sein? Nach Ulrikes Erfahrung geschieht das, wenn wir still werden und für eine Weile den Kopf ausschalten. Schaffen wir es, die Bewertung nach »schön« und »hässlich«, »gut« und »böse« usw. wegzulassen, können wir ins Wahrnehmen und Fühlen gehen. Im Zustand des neutralen Beobachters wird beispielsweise der oft reflexhaft als Feind abgestempelte Kartoffelkäfer zu einem im Larvenstadium gelborangen Tier, das Kartoffelblätter frisst und das ausgewachsen mit seinen gelb-schwarzen Streifen dem Marienkäfer ähnelt.
Freilich braucht es Zeit und Ruhe, um das innere Gedanken-Hamsterrad, den »inneren Richter« auszuschalten. Dabei hilft es, ganz bewusst stehenzubleiben und verschiedene Orte aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beschreiben.
Zeit und Ruhe unterstützen den Gärtner dabei, die Antworten auf eigene Fragen zum Garten, zu dessen Gestaltung oder zu einzelnen Pflanzen zu finden. Da hilft es zum Beispiel, sich wie bei einer Familienaufstellung zu verbinden, sich stellvertretend für eine Pflanze oder einen bestimmten Ort aufzustellen. Über das Fühlen und das Beobachten dessen, was hier mit dem eigenen Körper geschieht, kann man herausfinden, was zu tun oder zu lassen gerade nötig ist.

Stille ist Gold
Natürlich muss Ulrike Keßler die Geschichte ihres Gartens erzählen: Ursprünglich auf der Suche nach Land für ein Gemeinschaftsprojekt mit mehreren Familien, entdeckte sie den Platz für ihren heutigen Garten vor mehr als zehn Jahren im Westerwald. Ulrike nahm die damalige Kuhweide als einen kraftvollen Platz wahr. Hier wollte sie ihren Traum verwirklichen: Einen Ort mit Heilpflanzen schaffen, der auch nach außen heilen kann. In den zurückliegenden zehn Jahren entwickelte sie hier auf relativ ungünstigen Bodenverhältnissen mit wenig Humus und schwerem Lehm ihre persönliche Oase. Umgeben von intensiv genutzten Wiesen strahlt der Garten heute umso mehr an Vielfalt aus. Er ist in mehrere Bereiche untergliedert, deren unterschiedliche Qualitäten wahrnehmbar sind, jedoch nur, so Ulrikes Erfahrung, wenn Zeit und Ruhe mit im Spiel sind.
Anfangs stand der Garten den Besuchern dauerhaft offen. Den Kopf voller Praxisfragen, liefen die Menschen jedoch oft durch den Garten, ohne sich gezielt Zeit für ein Ankommen zu nehmen – und bemerkten so gar nicht, was sich ihnen schon allein durch ruhiges Beobachten hätte erschließen können.
Heute bietet Ulrike Keßler deshalb Gartenbesuchern gezielt Termine für Führungen an, bei denen eine Zeit der Stille zum Ankommen und Ruhigwerden von vornherein angekündigt ist. Das hat die Aufenthaltsqualität für alle deutlich verbessert.
Ganz praktisch produziert Ulrikes Garten Lebensmittel für den eigenen Bedarf sowie für ihr Bio-Catering und ihre Jahreszeiten-Kochseminare vor Ort. Ergänzt wird das System durch Bienen, Ziegen, Esel und zeitweise auch Hühner, die ihrerseits einen Beitrag zur Versorgung leisten. Die Bienen bestäuben die Blüten und liefern Honig, Ziegen mähen das Gras und liefern Milch für eigenen Käse, die Esel mähen ebenfalls das Gras und liefern Dung für die Gemüse­beete. Kochreste werden kompostiert.
Ins praktische Gärtnern fließen alle Erfahrungen, die Ulrike während einer siebenjährigen Wanderzeit und in späteren Anstellungen sammeln konnte. Sie gärtnert nach dem Mondkalender von Maria Thun, nutzt biologisch-dynamisches Wissen und Prinzipien von Geomantie und Permakultur. Aus anfangs drei Frühbeetkästen, umgeben von Wiese, ist bis heute ein Kreisgarten mit 16 Metern Durchmesser geworden, dessen vier Teilstücke in Fruchtfolge bewirtschaftet werden. Jedes Viertel trägt bestimmte Pflanzen. In einem Viertel wachsen Fruchtpflanzen, z. B. Bohnen, Erbsen oder Mais, im nächsten Blattpflanzen, wie Mangold, Fenchel oder Kohl, im dritten gedeihen Wurzelpflanzen, wie Möhre, Pastinake oder Rote Bete, und im vierten stehen Blütenpflanzen und auch blühendes zweijähriges Gemüse vom vorangegangenen Jahr. Außerdem gibt es weitere Beete, die im Wechsel mit Kartoffeln, Kürbis und Gründüngung bewachsen sind, sowie ein Gewächshaus, welches rundherum von Kräuterbeeten eingefasst ist.
Ulrike Keßler ist es wichtig, dass die Pflanzen in ihrem Garten, sofern sie nicht vorher gegessen werden, ihren ganzen Lebenszyklus, vom Samen bis zum Tragen des eigenen Samens, durchlaufen können. So lässt sie beispielsweise den Rhabarber seine ganze Kraft entfalten, indem er blühen und fruchten darf. Dabei gärtnert sie immer in einer Mischung aus konzentriertem Strikt-nach-System-Einpflanzen und einem gleichzeitigen Die-Natur-machen-Lassen. Dadurch wirkt ihr Garten auf Besucher zu Beginn der Pflanzzeit eher geordnet und strukturiert. Später im Jahresverlauf ist mancher, der eine feste Vorstellung von Garten mit sich herumträgt, angesichts der Vielfalt zunächst überwältigt und sucht verzweifelt die für ihn nicht sichtbare Struktur.
Doch auch hier helfen wieder Zeit und Ruhe und schlicht – Wahrnehmen! 
 

Der Weg zu Ulrike Keßlers Garten
www.garten-antana.de

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