Kollektive Entscheidungen für eigenständige Medien.
von Theresa Zimmermann, erschienen in Ausgabe #20/2013
»La Marea«, »die Flut«, ist noch klein, aber sie wird nicht aufhören, in die engagierte spanische Zivilgesellschaft hineinzuschwappen. Vor einem Jahr gründeten Redaktionsmitglieder, Leserinnen und Leser in Madrid eine Genossenschaft, um der Zeitung auf die Beine zu helfen. »Damals blieb uns Journalisten die Wahl: Kellnern, ins Ausland abwandern oder etwas Eigenes auf die Beine stellen«, erinnert sich Thilo Schäfer. Der gebürtige Deutsche hatte zuvor für die linksgerichtete Tageszeitung El Público gearbeitet. Als sie nach nur fünfjährigem Bestehen Ende 2011 in Konkurs ging, wurde ein Großteil der Belegschaft entlassen.
Thilo Schäfer, seine Kolleginnen und Kollegen sowie einige Leser wollten nicht aufgeben und beschlossen, El Público selbst weiterzuführen. Per Crowdfunding sammelten sie Geld, um den Namen und den Internetauftritt der Zeitung zu ersteigern. Am Stichtag aber erfuhren sie, dass es ein höheres Gebot gab, gegen das sie keine Chance hatten. In der großen Enttäuschung sahen sie bald eine Chance: Ihre Zeitung sollte ein Gemeinschaftsprojekt werden, und jeder, der wollte, sollte daran teilhaben dürfen. Die Suche nach einer passenden Organisationsform brachte sie zum Konzept des Unternehmens gleichberechtigter Arbeitnehmer. Doch auch Leser sollten eingebunden werden. Nach einem diskussionsreichen Prozess gründeten sie schließlich eine Genossenschaft. »Die Atmosphäre der anhaltenden Proteste und Bewegungen aufgrund der Wirtschaftskrise hat uns stets zum Weitermachen animiert«, sagt Schäfer. Inzwischen zählt die Genossenschaft 90 Mitglieder, darunter 9 Festangestellte. Den ersten Meilenstein hat das Team Ende Dezember mit der ersten gedruckten Ausgabe von La Marea erreicht. Seitdem erscheint das Magazin monatlich. Über das tagesaktuelle Geschehen berichtet die Redaktion online. Langfristig ist wöchentliches Erscheinen geplant. Berichtet wird über soziale und wirtschaftliche Themen. »Dinge, die das Leben der Leute direkt betreffen«, präzisiert Schäfer. »Gerade zu Krisenzeiten gibt es einen großen Bedarf daran.« Zwei weitere Zeitschriften sind inzwischen dem Beispiel von La Marea gefolgt und haben Genossenschaften gegründet: eine lokale Tageszeitung im andalusischen Cádiz und die alternative Wirtschaftszeitung »Alternativas Económicas«.
Pionierin »taz« Die erste große Tageszeitung in Europa, die auf gemeinschaftliches Gestalten gesetzt hat, ist die taz. Schon Ende der 1970er Jahre war sie das Werk eines Kollektivs – damals in einem Verein organisiert. Bald nach der ersten Ausgabe wurde klar, dass Zeitungsmachen nicht ohne die Einbindung der Leserschaft funktioniert, wenn man ohne große Anzeigen und Einflussnahme aus der Wirtschaft auskommen will. Knapp 7000 Lesern gefiel die Idee des Zeitungskollektivs als Alternative zur oligopolisierten Medienlandschaft so gut, dass sie vorab ein Jahresabonnement zahlten und somit die Startfinanzierung sicherten. Als die beständig klamme finanzielle Lage 1991 besonders schlecht war, fiel nach langen Auseinandersetzungen die Entscheidung, aus dem Kollektiv von Produzenten eine Genossenschaft von Zeitungsproduzenten und -konsumenten zu machen. Zwar stimmten auch viele für den Verkauf an einen großen Verlag, doch letztlich überwog das Argument, der Unabhängigkeit der Zeitung durch die Genossenschaftsgründung eine Chance zu geben. Die Leserinnen und Leser waren so nicht mehr nur Geldgeber, sondern entwickelten »ihre« Zeitung mit. Innerhalb kürzester Zeit zählte die 1992 gegründete Genossenschaft 3000 Mitglieder, inzwischen sind es 12 571. Das Besondere: Sie erwarten ihre »Dividende« nicht in materieller Form, sondern in Form von kritischer Berichterstattung. Entsprechend halten es auch die Genossenschaftsmitglieder der 2009 gegründeten Oya Medien eG. Auch wenn die taz heute anders als zu Vereinszeiten eine hierarchische Entscheidungsstruktur praktiziert – wenn auch eine flache –, spielt die Regel »ein Mensch, eine Stimme« nach wie vor eine zentrale Rolle. Unabhängig von der Höhe der Einlage zählen alle Stimmen gleich – auch bei Oya gilt dieses genossenschaftliche Prinzip. Gemeinschaftsbesitz als Alternative zu kapitalistischen Unternehmensformen kann funktionieren. Häufig organisieren sich gemeingutorientierte Gruppen als Genossenschaften. Sofern diese richtig genutzt werden, stehen dabei nicht die finanziellen Interessen der Beteiligten im Vordergrund. Letzteres ist von Rechts wegen der Sinn einer Genossenschaft: die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder. Doch wenn diese das Wirtschaften als Commoning betrachten, entsteht eine neue Deutung, so dass sich in dieser Rechtsform gemeinnützige mit kommerziellen Interessen kreuzen lassen. Menschen, die sich als Teil eines Ganzen betrachten, sind auch bereit, in Notlagen einzuspringen. Bei La Marea haben sich beispielsweise Leservereinigungen gebildet, die Informationskampagnen oder Abendveranstaltungen zur Zeitung organisieren und somit Aufmerksamkeit schaffen. Damit immer mehr Menschen Teil der Genossenschaft werden, soll der Einstiegsbeitrag auf der nächsten Hauptversammlung von 1000 Euro auf 500 Euro gesenkt werden.
Die Zukunft heißt Copyleft Die Sehnsucht nach dem Gemeinschaftlichen hört bei den Verlagen nicht dort auf, wo die Zeitung oder ein Buch veröffentlicht wird. Dahinter steht die Überzeugung, dass Publikationen nicht nur solidarisch organisiert entstehen sollen, sondern selbst einen Gemeinschaftscharakter haben. Als solche sollen sie verbreitet werden – nicht als Ware! Die taz entschied sich deshalb 1996 als erste deutsche Zeitung, ihre Artikel frei und kostenlos ins Internet zu stellen. Inzwischen kommen täglich etwa 120 neue Artikel, Reportagen und Kommentare hinzu. Um die entstandenen Kosten besser bewerkstelligen zu können, hat sie vor zwei Jahren mit dem Experiment »taz zahl ich« dazu aufgefordert, freiwillig zu zahlen. Seit wenigen Monaten läuft die Kampagne etwas selbstbewusster. Und es zeigt sich: Viele Leser sind bereit, etwas beizutragen. Dass dieses Prinzip auch bei Büchern funktioniert, konnte der transcript Verlag im vergangenen Jahr beweisen: Er veröffentlichte das von Silke Helfrich und der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebene Buch »Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat« im Internet. Das Buch war ein Commoning-Experiment. Die Autorinnen und Autoren haben ihre Beiträge geschenkt, so dass der verhältnismäßig niedrige Preis nur die Produktionskosten einspielen muss. Nun soll bei weiteren Titeln entschieden werden, ob und wie sich die Kombination aus Creative-Commons-Lizenzen und preisgebundenen Inhalten gestalten lässt. Auch Oya stellt alle Artikel unter einer Copyleft-Lizenz ins Internet. Und gerade sind die ersten beiden Bücher aus der Reihe »thinkOya Akt« auf ähnlicher rechtlicher Basis erschienen. Damit lassen sich Formen finden, wie andere an der Fortführung der Gedanken mitwirken können. Für die Verlage und die Leserschaft kann durch solche Prozesse ein anderes Gefühl entstehen, eine andere Identifikation mit dem geschriebenen Wort und dem Wissen. Das »Erfolgskonzept« nicht für sich zu behalten, sondern es ebenso wie die Produkte mit anderen zu teilen, ist vielen ein großes Anliegen. So beschloss die taz-Genossenschaft zu ihrem 20. Geburtstag im vergangenen Jahr, unabhängige Mediengenossenschaften in anderen Ländern zu unterstützen. »Wir wollten ein Stück der Solidarität, die wir als taz erfahren haben, an andere weitergeben«, erläutert Konny Gellenbeck, die die Genossenschaft leitet. Von über 600 Menschen sammelten sie fast 74 000 Euro, mit denen sie die »La diaria« in Uruguay, die »Fria Tidningen« in Schweden, die »Kulturní noviny« in Tschechien und die »BirGün« in der Türkei fördern konnten. Die schwedische Zeitung ist ein beeindruckendes Beispiel: In einer Medienlandschaft mit einer zu 90 Prozent konservativ eingestellten Presse wurde die »Freie Zeitung« von Journalisten als Kooperative gegründet. Einer von ihnen war Martin Holmquist, heute Vorstand der Genossenschaft. »Einerseits wollen wir über Themen berichten, die in der Mainstream-Presse keinen Platz finden«, sagt er, »andererseits aber wollten wir uns als Unternehmen so organisieren, wie wir es für richtig halten.« Das bedeutet, dass jeder Festangestellte die Möglichkeit hat, der Genossenschaft beizutreten und diese mitzuentwickeln. Alle bekommen ein Einheitsgehalt, die wichtigen Entscheidungen werden als Gruppe getroffen. Inzwischen gibt der Verlag acht Zeitungen heraus. Die größte ist die Fria Tidningen, die zweimal wöchentlich erscheint. Obwohl sie im Vergleich zu den etablierten großen Zeitungen eine kleine Auflage hat, kann sie regelmäßig respektierte Autorinnen, Intellektuelle, Künstler oder politische Aktivistinnen für Beiträge gewinnen – eben eine Gemeinschaft aufbauen. Das ist der richtige Weg, gesellschaftliche Debatten anzukurbeln. •
Theresa Zimmermann (25) hat Geographie, Sozial- und Agrarwissenschaften studiert. Sie engagiert sich im »Youth Future Project«.