Gemeinschaft

Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch

Gemeinschaftliche Krisenbewältigung in Südeuropa: Wie sie die ökonomische Krise betreffe, fragte Leila Dregger Ökodörfler in Spanien, Portugal und Griechenland. Ihr Fazit: Die Krise kann ­Auslöser ­eines neuen Anfangs sein. Viele arbeiten daran.von Leila Dregger, erschienen in Ausgabe #21/2013
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Was, wenn die Krise in Portugal, Spanien und Griechenland in Wirklichkeit der Anfang vom Ende des Systems ist? Das Ende jenes Systems, das Menschen und Natur in jeder Region und auf jedem Kontinent entfremdet und ausgebeutet hat? Um dieses System zu überwinden und die Krise zu beenden, brauchen wir nicht nur ein anderes Geldsystem, sondern ein anderes Leben.
In vielen Landschaften Südeuropas geht die ökonomische Krise mit einer ökologischen einher: Abholzung, Monokulturen, Waldbrände, Erosion durch Winterregen und Sommertrockenheit. Bauern geben auf, Dörfer stehen leer. Lebensmittel werden importiert – und das in Ländern mit Überfluss an Regen, Sonne und guten Böden.
Während Politiker die Krise mit »mehr vom selben« bekämpfen – mehr Geld in die Großindus­trie, mehr Zentralisierung und Privatisierung – entstehen Alternativen von unten. Diese suchen vermehrt die Unabhängigkeit von Geld und Staat, die Kooperation mit der Natur, Gemeinschaft und gegenseitige Hilfe. Daran arbeiten Ökodörfer bereits seit geraumer Zeit. Sie zeigen, dass Krisen überwunden werden können, wenn man gemeinschaftlich zusammenkommt; dass Wüstenbildung rückgängig gemacht, der Wasserhaushalt regeneriert, Monokulturen durch essbare Landschaften ersetzt werden und dezentrale Solarsysteme die Abhängigkeit von Energiekonzernen auflösen können. Sie zeigen, dass man mit weniger Geld mehr Glück empfinden kann.

Griechenland
»Vor zwei Jahren hat niemand sich vorstellen können, wie schnell dieses System zusammenbricht«, sagt Anna Filippu. »Alle Sicherheiten – Geld, Ausbildung, Gesundheit, Arbeit – sind weggebrochen. Die meisten haben ihr Vertrauen in das System verloren und glauben nicht, dass es noch einmal besser wird. Das ist die Zeit für Alternativen. Ohne Sicherheiten haben wir auch nichts zu verlieren. Es ist faszinierend, wie viele Menschen sich jetzt für Ökodörfer interessieren.«
In Griechenland gibt es noch kein Ökodorf – möglicherweise behinderten die lange Militärherrschaft und die orthodoxe Religion die Gemeinschaftsversuche.
Anna: »In gewisser Weise hatten wir immer ein Gemeinschaftsleben in Griechenland, wir singen und tanzen zusammen. Aber der Konsum hat die Tradition zerstört. Wenn wir die Krise überwinden wollen, müssen wir lernen, zusammen zu arbeiten, zu teilen und darüber zu reden, was uns wirklich beschäftigt.«
Anna und ihr Mann Nikiforos haben ein Gemeinschaftsexperiment 40 Kilometer außerhalb von Thessaloniki gestartet und die ersten Lehmhäuser und Solaranlagen gebaut. Mit zehn Erwachsenen und drei Kindern üben sie Methoden für Gemeinschaftsaufbau und gewaltfreie Kommunikation ebenso wie praktische Fähigkeiten, um autonom zu werden. Neue Mitglieder sind willkommen. (Kontakt: filippuanna@yahoo.gr)
Ioannis Mastoris und seine Freunde wollen das Ökodorf »Eftopia« auf der Insel Evoia aufbauen. Das Gelände umfasst 330 Hektar Wald und 87 Hektar Acker. Ioannis: »Nach einem neuen griechischen Krisengesetz, das dafür gedacht ist, Touristenburgen bauen zu können, darf man jetzt 10 Prozent des Waldes für Gebäude und Anbau benutzen. Es ist der perfekte Ort mit großer Vielfalt, wo man Seen, natürliche Refugien für Wildtiere und Permakultur aufbauen kann.« Die Gruppe will das Grundstück durch Crowdfunding erwerben. (Kontakt: ioannis@ixn.gr)
Ein drittes hellenisches Projekt ist das in Nordgriechenland entstehende Ökodorf Agnandi, initiiert von Irini und Lefteris Kourdaki (http://maniakinaturalfarming.blogspot.gr). Irini sagt: »Wir wollen Elemente aus dem traditionellen Dorf mit Ökodorf-Wissen verbinden.«
Die Pioniere pflanzten Bäume und planen ökologische Häuser, Wasserretentionsanlagen, Permakulturgärten und eine Gemeinschaft auf der Grundlage von Gewaltfreier Kommunikation. Irini und Lefteris sind seit Jahren aktive Netzwerker, speziell in der Umweltbewegung Griechenlands. Jetzt machen sie die Erfahrung, dass sich vermehrt rechte Gruppen durch das Stichwort »Autonomie« angezogen fühlen – offenbar ein weiteres Symptom der Krise. Dazu Irini: »Wir sind keine Partei und keine Monokultur, also versuchen wir, niemanden auszuschließen. Aber natürlich werden wir niemals Faschismus oder Rassismus erlauben.« (Email: irinikourdaki@yahoo.gr)

Spanien
In Spanien ist jeder zweite junge Mensch arbeitslos. Wie dringend Perspektiven gebraucht werden, verdeutlicht Alfonso Carreras von RIE, dem Netzwerk spanischer Ökodörfer: »Es gibt Hunderte Menschen, die jetzt in Spanien einen Platz in einem Ökodorf suchen. RIE ist konfrontiert mit zwei gegenläufigen Bewegungen: mit dem Exodus der Jugend aus den Dörfern in die Städte und mit dem derjenigen, die die Städte verlassen und aufs Land wollen.«
Matavenero wurde vor 23 Jahren in Bierzo in Nordwest-Spanien gegründet. Aufgrund ihrer anarchistischen Weltsicht lehnen die meisten Bewohner Einkommen, Sozialhilfe oder Renten ab. Jörn Ickes lebte bis vor kurzem hier: »Matavenero geht es gut in der Krise. Es ist nun zwar schwerer, die kleinen Jobs zu finden, mit denen wir uns finanzieren. Aber das Geld reicht aus, denn der Konsum im Dorf ist gering. Wir benutzen Früchte aus dem Garten und der Natur und backen Brot. Wir tauschen und helfen einander mit allem, was wir brauchen. Wir zahlen nichts für Mieten, Wasser, Müll, die meisten haben keine Versicherungen und sehr wenige ein Auto. Ein Solarsystem und Holzöfen machen uns fast energieautark. Die Lehrer unserer Schule werden auf Spendenbasis bezahlt. Ganz allgemein ziehen wir es vor, ohne Geld zu handeln – mit Tausch- oder Schenkökonomie.«
In Valle de Sensaciones, einem anderen spanischen Ökodorf, beobachtet Mitglied Achim Burkhardt, dass die bezahlten Seminare weniger besucht werden, was das Einkommen vermindert. »Doch viel mehr Menschen wollen hier leben. Es gibt viele Arbeitslose, die das Wissen, das wir hier lehren, gut brauchen können, um in Zeiten der Krise zu überstehen.« Als ein international zusammengesetztes Ökodorf hat Valle de Sensaciones Einkommen aus anderen Ländern, so dass es finanziell nicht zu stark von der Krise betroffen ist. Außerdem sind die Lebensmittelpreise niedrig, und man ist auch hier durch Solaranlagen energieautark. (www.sensaciones.de/de)
La Base, eine Gemeinschaft in Nordspanien, begann erst 2012. Mitgründer Alfonso Carreras: »Seit der Krise wollen viel mehr Menschen Ökodörfer besuchen oder einziehen. Das gibt uns die Möglichkeit, unsere Erfahrungen zu teilen.« La Base ist zu 100 Prozent autark in Sachen Wasser, zu 50 Prozent bezüglich Strom und zu 30 Prozent bezüglich Nahrungsmitteln. (http://labase2001.blogspot.pt)
»Ich glaube, dass die Krise uns neue Möglichkeiten eröffnet«, so Alfonso. »Mit dem RIE arbeiten wir an einem Instrument für die sozialen Netzwerke, dem sogenannten Ökodorf-Brutkasten, um der Flut an Interessenten begegnen zu können.«

Portugal
Vor zwei Jahren brachte die »Bewegung 12. März« Hunderttausende Jugendliche auf die Straße, die sich über Facebook gefunden hatten. Sie nannten sich »verlorene Generation«. Inzwischen weiß die Bewegung, dass Protest nicht genug ist.
Viele junge Arbeitslose verlassen das Land; andere versuchen, sich in den Dörfern, aus denen ihre Eltern oder Großeltern stammen, ein neues Leben aufzubauen. Das ist nicht leicht, denn die neuen Siedler müssen gleichzeitig Landschaftsheiler, Bauern und Kommunikationsspezialisten sein. Um die Wissenslücken zu schließen, gründete 12. -März-Initiator João Labrincha eine Bürgerakademie. Die Academia Cidadã stützt sich auf Transition-Town-Initiativen, Gemeinschaften und Ökodörfer im ganzen Land. »Es braucht Wissen, um unabhängig von Staat und Troika zu leben – über Gemeinschaftsaufbau, regionale Währung, dezentrale Energieerzeugung, Nahrungs- und Wassersysteme.« (www.facebook.com/AcademiaCidada)
»Aldeias Sustentável Amoreiras«, das »nachhaltige Dorf Amoreiras«, ist eine Initiative in der Region Alentejo, die sich aus alten Einheimischen sowie gut ausgebildeten jungen Leuten aus der Stadt zusammensetzt. Nach vielen Jahren gibt es im Dorf nun wieder spielende Kinder. Initiator André Vizinho: »Es geht nicht so sehr darum, Dorfbewohnern zu vermitteln, was wir als Stadtmenschen unter Nachhaltigkeit verstehen. Wir leben zusammen und versuchen, unsere gemeinsamen Träume von einem nachhaltigen Dorf zu verwirklichen.« Englischkurse, Nachbarschaftshilfe, Permakulturgärten, Saatgutmärkte, Regenwasser-Ernte und vor allem Dorffeste gehören zu den gemeinsamen Aktivitäten. Initiativen dieser Art entstehen an vielen Orten Portugals. (http://centrodeconvergencia.wordpress.com/about)
Das größte Ökodorf des Landes ist Tamera. Das »Heilungsbiotop 1« leistet sowohl direkte Nachbarschaftshilfe als auch Transfer von sozialem und ökologischem Wissen. Mit seiner Wasserretentionslandschaft hat Tamera einen Weg gefunden, Wüstenbildung zu stoppen und in einer kargen Landschaft Lebensmittel in Fülle zu produzieren. Dieses Wissen kann an vielen Orten helfen, regionale Autonomie zu erzeugen. Dazu kooperiert Tamera mit Transition-Town-Initiativen, der Academia Cidadã und anderen Netzwerken in Portugal, um Gruppen im ganzen Land zu unterrichten.
Bernd Müller, der Leiter des Ökologie-Teams von Tamera, glaubt, dass angesichts der Krise in Portugal nach diesem Vorbild »ein Modell für viele Regionen der Welt entstehen könnte – auch für Gegenden, wo der Zusammenbruch heute noch nicht so spürbar ist«. (www.tamera.org)
Die Entwicklungen in Südeuropa scheinen die alte Weisheit zu bekräftigen: »Was für die Raupe das Ende der Welt, ist für den Schmetterling ein neuer Anfang.« •

 

Leila Dregger (53) lebt und arbeitet in Tamera in Südportugal als Journalistin und Schriftstellerin, unter anderem auch für das Global Ecovillage Network GEN. Die Afrika-Liebhaberin interessiert sich zudem für die Themen Gemeinschaft, Wasser, Welternährung, ­Frieden und das Verhältnis zwischen Frau und Mann.

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