In seinem Buch »Gemeinwohlökonomie« lud Christian Felber alle Menschen ein, an seinem Konzept mitzuarbeiten. Lara Mallien sprach mit Akteuren in Bayern, die das tun.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #22/2013
»Viele, die das Buch gelesen hatten, waren sehr begeistert«, erzählt Jörn Wiedemann, der sich in München für die Gemeinwohlökonomie engagiert. »Sie wollten etwas tun, aber es gab anfangs außer dem österreichischen Verein kaum Ansprechpersonen.« Bald machten sich einige Menschen zu solchen – in München der Gärtner Harro Colshorn. Er organisierte im Herbst 2010 die ersten Münchener Infoveranstaltungen, zu denen auch Jörn Wiedemann kam. Dort wurde an der Weiterentwicklung der »Gemeinwohlmatrix« gearbeitet. Die Gruppe meldete ihre Erfahrungen an den Kreis der Redakteurinnen und Redakteure in Wien zurück, die ehrenamtlich an der Gemeinwohlbilanz weiterarbeiteten. Diese selbstverständliche Mitarbeit am Kernstück des Projekts beeindruckte Jörn. Zudem fand er genügend bodenständige Leute in der Runde, die nicht nur diskutieren, sondern konkret ihr Unternehmen nach den vorgeschlagenen Gemeinwohlkriterien durchleuchten wollten, so dass er dabeiblieb.
Nach kurzer Zeit bürgerte sich der Begriff »Energiefeld« als Bezeichnung für eine regionale GWÖ-Gruppe ein. Jede und jeder ist eingeladen, ein solches Feld zu begründen. Was es ausmacht, welche Aktivitäten sich daraus entfalten, wer darin welche Verantwortung trägt – das war und ist nirgends festgelegt. Öffnet eine derart unbestimmte Situation nicht dem Chaos Tür und Tor? »Nein«, meint Jörn. »Vor eineinhalb Jahren hatten wir in München das Gefühl, wir bräuchten ein bisschen Struktur, und haben ein Koordinierungs-Team von sieben Menschen gebildet. Es gibt keinen Vorstand, wir wollen keine Hierarchien. Alle im Team haben unterschiedliche Schwerpunkte. Ich halte den Kontakt zu den Unternehmen, Thomas Fischer, ein Informatiker aus der Spardabank, betreut die Internetseite, Christine Miedl ist aktiv, wenn es um Pressekonferenzen geht, Roland Wiedemeyer bietet Einführungsseminare an, Klaus Pfaffelmoser hat mit zwei anderen dafür gesorgt, dass es einen Stammtisch gibt.«
Konsenskultur ist eine Selbstverständlichkeit Parallel zur GWÖ engagiert sich Jörn, der vor gut einem Jahr aus seinem Job als Vermögensverwalter ausgestiegen ist, für den Aufbau der regionalen Wirtschaftsgemeinschaft »ReWiG München«. »Entscheidungsfindung wie in herkömmlichen Verbänden oder Unternehmen kenne ich inzwischen gar nicht mehr.« Irgendwo hörte er von der Methode »Systemisches Konsensieren« und verwendete sie in vereinfachter Form in einer Situation, in der eine Diskussion unübersichtlich zu werden drohte. »Nicht wer für eine Lösung stimmte, hob die Hand, sondern wer starken Widerstand gegen eine Lösung hatte, streckte beide Arme in die Luft, wer einen schwachen Widerstand hatte, einen Arm. Danach kamen zuerst die starken, dann die schwächeren Bedenken zur Sprache. Die Haltung, dass ich ›meins‹ durchsetzen will, wich dem gemeinsamen Betrachten des Ganzen. Die gefundene Lösung war ganz anders als die eingangs von einer gefühlten Mehrheit favorisierte.« Auch als entschieden werden sollte, wer aus dem Münchener Energiefeld als Delegierter zur ersten internationalen Delegiertenversammlung entsandt wird, wurde systemisch konsensiert. Da gab es im Vorfeld heiße Diskussionen: Wenn jeder überall ein Energiefeld gründen darf, kann sich dann nicht theoretisch jede und jeder selbst delegieren? Ist ein Länderproporz nötig? Wer ist wahlberechtigt? »Solche Fragen werden noch eine Weile in der Diskussion bleiben«, meint Jörn entspannt. »Gute Lösungen brauchen Zeit.« Solche Sätze geben Anlass zur Hoffnung, dass die Bewegung lebendig bleibt und nicht im üblichen Verbandswesen mit seinen Machtspielchen verknöchert. Ein Gespräch mit Noah Schöppel, einem Koordinator des Augsburger Energiefelds, verstärkt diesen Eindruck: »Als ich zur Gemeinwohlökonomie kam, habe ich erstmal gefragt: Was soll ich tun? Die Antwort lautete: Das, was du selbst von dir aus verwirklichen willst. Es ist unglaublich schön, dass ich hier etwas Neues schaffen kann, dass ich willkommen bin.« Noah ist 16 Jahre alt. Der Kern der Sache, so erklärt er, sei eine Wertschätzungs- und Vertrauenskultur. •