Astronaut auf Raumschiff Erde
Achmed Khammas ist Systemtechniker und Dolmetscher mit arabisch-deutschen Wurzeln. Seit über 35 Jahren arbeitet er an einer Kartografie der erneuerbaren Energien.
Für längere Zeit in einem anderen Land zu leben, in Kontakt mit der dortigen Sprache und Kultur zu kommen – und das nicht nur als Tourist: dieser Wunsch hatte sich vor Jahren unauffällig in meine Gedanken geschlichen, dort seine Kreise gezogen, sich irgendwann mit dem Bild von Südamerika verbunden und schließlich im Herbst 2012 – als letzte Chance vor dem Schuleintritt unserer ältesten Tochter – verwirklicht.
Bei Spielplatzgesprächen über freies Lernen und alternative Bildungswege hatten mein Freund Sebastian und ich von dem Wohn- und Lernprojekt von Rebeca und Mauricio Wild in Ecuador erfahren (siehe Oya Ausgabe 3). Ich wollte an einem Seminar von ihnen teilnehmen, und so fokussierte sich der vage Südamerika-Wunsch zunächst auf Ecuador. Um längere Zeit im Land leben zu können, suchten wir einen weiteren Ort über die WWOOF-Liste (World Wide Opportunities on Organic Farms – auf Deutsch: Mitarbeit auf Biohöfen gegen Kost und Logis) und stießen so auf die »Comuna de Rhiannon«. Ihre Zusage war womöglich nicht ganz selbstverständlich, da wir gleich mit drei kleinen Kindern kommen wollten: Filine (6), Mato (3) und Frederike (8 Monate).
War es uns zunächst nur darum gegangen, eine Farm zu finden, wo es auch andere Kinder gab, entpuppte sich der Umstand, dass die Comuna de Rhiannon eine Gemeinschaft war, als wahrer Glückstreffer. Wenn wir zuvor bei den Wilds auch viel über einen anderen Zugang zum »Sich-Bilden« lernten, so fühlten wir uns im dortigen Gästehaus ein wenig isoliert und freuten uns nun darauf, als integrierter Teil einer Gemeinschaft leben zu können.
Ankunft im Regenbogenzentrum
Es war schon dunkel, als wir am Abend des 30. Septembers 2012 am Ende einer staubigen Straße das abgelegene Haus der Comuna erreichten. Eine wild-fröhliche Hundemeute begrüßte uns. Dann trat Helen, eine barfüßige Frau mit kurzgeschorenen Haaren, lächelnd aus der Tür: »Hallo, wir machen gerade eine Vollmondzeremonie. Wenn ihr Lust habt, kommt doch einfach dazu!« Wir folgten ihr in einen Raum, in dem im spärlichen Licht einiger Kerzen mehrere Leute sangen und trommelten. Eine Frau schob mir einen Wassereimer zu. Ich sollte rühren, bis ein Strudel entstand, und dann meine Liebe und Gebete um Wasser für dieses karge Land hineingeben …
In den darauffolgenden Tagen und Wochen kamen wir langsam an und wuchsen in das kunterbunte Volontärsknäuel rund um das Regenbogenzentrum hinein.
Die Comuna de Rhiannon existiert seit fünf Jahren. Die gebürtigen Engländerinnen Nicky und Helen haben sie gegründet, um in Gemeinschaft einfach, naturverbunden und nachhaltig zu leben – und um andere mit diesem Lebensstil zu inspirieren. Der Garten wird ökologisch und nach Permakulturregeln bewirtschaftet. Es gibt Komposttoiletten, Solarduschen und Strom aus Sonnenenergie. Recycling, kreativer Ressourceneinsatz und das Leben in Kreisläufen spielen eine große Rolle. Daneben sind Spiritualität, gesunde Ernährung und künstlerisch-kreatives Tun zentrale Themen. Die Volontäre, die – mal für zwei Wochen, mal für Monate – in der Comuna leben und arbeiten, kommen aus der ganzen Welt. Wir trafen auf Menschen aus Polen, den USA, aus Irland, Italien und Kanada, Neuseeland, Japan, Südafrika, Frankreich, Kolumbien, England, Estland, Spanien, Dänemark und der Slowakei. Es waren immer 15 bis 20 Menschen auf der Farm. Wir kochten und aßen zusammen. Nach einer Morgenrunde arbeiteten alle fünf Stunden im Garten, an Bauprojekten, im oder am Haus oder versorgten die Tiere. Nachmittags konnte man beim Yoga oder an Workshops teilnehmen oder einfach entspannen.
Gemeinschaftliche Momente
Mit Monika im Garten: Die Sonne brennt, und während sich das Jäten als unglaublich meditative Tätigkeit entpuppt, führen wir beide in holperigem Englisch ein so tiefgreifendes Gespräch über die Beziehung zu unseren Eltern, als würden wir uns aus der Seele sprechen.
Sebastian und ich kommen an unsere persönlichen Grenzen bei der Herausforderung, fünf Stunden täglicher Arbeit mit der Betreuung unserer Kinder zu vereinbaren. Im Streit schreie ich ihn an wie noch nie, er verlässt unsere Jurte. Fünf Minuten später bringt mir Nicky verlegen einen Kaffee vorbei. Eine Umarmung ohne viele Worte. Schön, dass noch jemand da ist!
Als eines Nachmittags ein paar Leute mit dem Sammeltaxi in den nächstgelegenen Ort fahren wollen, wird einer der Hunde angefahren. Fünf Menschen sind bei der sterbenden Hündin, als ihr Herz zu schlagen aufhört. Alle übrigen kommen fassungslos nach draußen und weinen. Am frühen Abend wird das Tier am Wegesrand mit einer liebevoll gestalteten Zeremonie beigesetzt. Ein leichter Wind bewegt die umstehenden Bäume, es ist ein schöner, bewegender Abschied, kaum ein paar Stunden nach dem Unfall. Alles daran ist aus dem Moment geboren, eins fügt sich ins andere, und alle sorgen gemeinsam dafür.
Ich gehe mit Frederike, Mato, Helen, Nicky und Satya Pilze in einer nahegelegenen Nadelbaumschonung sammeln. Mein Mato kann nicht mehr laufen, und es ist Helen, die ihn wie selbstverständlich auf den Arm nimmt und meinen schweren Jungen liebevoll und ausdauernd fast den ganzen Weg zurück zum Haus trägt …
Wenn Grenzen sich auflösen
Ja, wir haben zusammen gelacht und geweint, gestritten und getröstet, Weihnachten und Geburtstage gefeiert, ein Erdbeben erlebt, wunderschöne Zeremonien mit einem Schamanen gefeiert, mit den Nachbarn Fußball gespielt. Die besondere Qualität des Erlebten im gemeinschaftlichen Rahmen vermag ich kaum zu erklären. Vielleicht ist es das Gefühl, das sich einstellt, wenn das Leben nicht mehr in vielen separaten Kreisen stattfindet, sondern sich die Grenzen zwischen Nachbarn, guten Freunden, Arbeitskollegen und Lebenspartnern zunehmend auflösen.
Nicky und Helen haben mit der Comuna wahrlich einen schönen Raum für Gemeinschaftserfahrungen geschaffen! Ihre Vision prangt auf einem Schild über der Eingangstür: »Otro mundo es posible« – »Eine andere Welt ist möglich«.
Abschied mit neuen Ideen
Als wir nach fünf gemeinsamen Monaten Abschied nahmen, geschah dies mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ein bisschen fühlten wir uns aus einem gemütlichen, sicheren Nest gestoßen. Doch wir waren nun auch frei für unseren nächsten Schritt. In Peru lebten wir drei Monate in einer kleinen Ökodorfinitiative im Dschungel-Lehmhaus. Das Gemeinschaftsleben gestaltete sich hier in dörflicher Nachbarschaft. Es war entspannter, aber nicht so erlebnisreich wie in der Comuna. Hatten wir in Ecuador unverhofft eine internationale Gemeinschaft kennengelernt, fanden wir nun neben weiteren guten Freunden Anschluss an Einheimische – und an die spanische Sprache.
Spannend war die neunmonatige Reise. Wir haben viel gelernt und erlebt. Jetzt freuen wir uns wieder auf feste Strukturen in Deutschland. Die Lust, noch mehr in der Welt zu reisen, bleibt aber wach. Auch ist der Wunsch geweckt, hier in Berlin in Gemeinschaft zu leben. Noch länger städtisches Kleinfamiliendasein? Unvorstellbar! Ein erstes Treffen mit Interessierten hat bereits stattgefunden.
Die Frage, ob ich so eine Reise auch anderen empfehlen würde, kann ich nicht pauschal beantworten. Lieber würde ich Ihnen eine Botschaft ans Herz legen, die wir an unserem letzten Abend in Lima bei einer Lasershow bekamen. Als wäre sie eigens für uns dort hinprojiziert, schrieb eine Feder sie auf eine Wasserwand: »Machen wir unsere Träume zur Wirklichkeit!« •
Maria König (27) lebt in Berlin-Karlshorst. Die Lehramtsstudentin für Deutsch und Biologie ist dem Wandel in allen Lebensbereichen auf der Spur. gemeinschaft-karlshorst@posteo.de
In Gemeinschaft am Äquator schwitzen?
www.rhiannon-community.org
www.wwoofinternational.org
Achmed Khammas ist Systemtechniker und Dolmetscher mit arabisch-deutschen Wurzeln. Seit über 35 Jahren arbeitet er an einer Kartografie der erneuerbaren Energien.
Wer den Zugang zum Wasser regelt, entscheidet über Leben und Tod. Fatal, wenn dies ein privates Unternehmen ist, das Wasser nicht deshalb bereitstellt, weil es zum Leben gebraucht wird, sondern nur dann, wenn es sich gewinnbringend verkaufen lässt. Es gibt viele solcher Gemeingüter
Die wichtigste Technik ist die der Nahrungszubereitung. Wieviel Industrie brauchen wir für sie?