Wissensexkursion Permakultur, Teil 9.von Ulrike Meißner, erschienen in Ausgabe #25/2014
Bei zahlreichen Vorträgen hatte ich Gelegenheit, als Überleitung zu diesem Prinzip mit den Teilnehmern eine spielerische Übung durchzuführen, die jedem die Möglichkeit gibt, zu entscheiden, ob er mit seinem Mitspieler in Kooperation geht oder ob eine »kämpferische« Konkurrenzsituation entsteht. Dies sorgte jeweils für Aha-Effekte, denn die kämpferischen Mitspieler sind in der Regel in der Überzahl, obwohl mit einem kooperativen Zusammenspiel ein für jeden besseres Ergebnis entstehen könnte. Es scheint so, als ob wir, wie Holmgren es formuliert, eine kulturelle Veranlagung dazu haben, eher Konkurrenzbeziehungen wahrzunehmen oder an diese zu glauben, während wir kooperierende oder symbiotische Beziehungen in Natur und Kultur unberücksichtigt lassen. Aus der Annahme heraus, dass Kooperation und Symbiosen Lebenssysteme anpassungsfähiger machen – insbesondere für uns Menschen in einer Zukunft des Energierückgangs –, versuchen wir in der Permakultur Situationen zu schaffen, in denen mehr Kooperation möglich wird. Zwei zentrale Merksätze sind hier: Jedes Element erfüllt mehrere Funktionen. Jede wichtige Funktion wird von mehreren Elementen abgedeckt. Jedes Element – insbesondere lebende Pflanzen und Tiere – ist ein komplexes System mit verschiedenen Eigenschaften, Bedürfnissen, Funktionen und möglichem Nutzen. In der Natur ist Multifunktionalität die Norm. Die vielfältigen Funktionen eines Baums erfassen wir nach etwas Beobachtung schnell. Herausfordernder ist die Wahrnehmung größerer Zusammenhänge in natürlichen Systemen, zum Beispiel Wald und Fluss: Der Wald gibt energiereichen Laubfall an den Fluss, während flussaufwärts wandernde Fische Nährstoffe aus dem Meer bedeuten. Ein Teil von diesen wird von Vögeln gefressen und im Wald verteilt. Diese Beziehung ist analog zum Saftfluss im Baum, der Nährstoffe und Energie zwischen Wurzeln und Blättern austauscht. Die Input-Output-Analyse einzelner Elemente hilft, Bedürfnisse, Fähigkeiten und Produkte bewusst wahrzunehmen. Denn die richtigen Organismen am richtigen Ort ermöglichen Beziehungen und Zusammenarbeit, sparen Arbeit und minimieren Verschmutzungen und Abfälle (ungenutzte Produkte). Das Huhn beispielsweise möchte so leben, dass es sein natürliches Verhalten ausüben kann; es braucht Wasser, Futter, Wetterschutz, ein Sandbad usw. Es produziert neben Eiern und Fleisch auch Mist, Wärme und Federn, und es kann picken und kratzen. Letzteres wird oft als Problem angesehen. Mit etwas Kreativität lässt sich die natürliche Arbeit des Huhns jedoch gezielt sinnvoll einsetzen: Mit einem versetzbaren Gehege wandern die Tiere über abgeerntete Beete, unter Obstbäumen, sie folgen Weidetieren, picken Parasiten und Samen auf, verteilen Dung und düngen sogar selbst. Die Pflanzung von Futterbäumen und -sträuchern ist für David Holmgren ein hervorragendes Beispiel, um eine wichtige, von vielen Elementen getragene Funktion zu verdeutlichen: Bäume und Sträucher sind nützliche Elemente in Weidesystemen. Ihr Wert wurde jedoch lange von einer Forschung unterschätzt, die einzig die Trockenmasse und Gewichtszunahme der Tiere bei reiner Nahrung zählte. Doch in den meisten Situationen ist das ergänzende Futter von Bäumen und Sträuchern der größte Wert. Sie sammeln im Lauf des Jahres Futter – Blattmasse – an, ohne einzutrocknen oder in Samenbildung überzugehen, wie es Wiesen tun. So können sie als lebendige Futterspeicher dienen, die zum Einsatz kommen, wenn das Wiesenfutter knapp ist. Darüber hinaus ist die unterschiedliche Nährstoffzusammensetzung der verschiedenen Laubarten eine gute Ergänzung für den Speiseplan der Tiere.