Aktivisten in Hameln kultivieren Schwarzerde nach Art der »Terra Preta« aus dem Amazonasgebiet.
von Andreas Schug, erschienen in Ausgabe #26/2014
Als ich zu Rainer Sagawe in die Küche komme, schält sein Mitstreiter Klaus Brümmer gerade Kartoffeln. »Wir zeigen das gleich in der Praxis«, kündigt Rainer an. So komme ich meinem Wunsch, Terra Preta zu sehen, zu fühlen und zu schmecken, gleich näher und schnipple mit. Als alle Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln im Topf sind, klingelt Ulrike an der Tür. »Da komme ich ja genau richtig«, sagt sie kess. Die Musikerin gehört wie Klaus und Rainer zur Terra-Preta-Initiative Hameln, die vor drei Jahren entstanden ist. Den Anstoß gab der Agrarwissenschaftler Haiko Pieplow mit einem Vortrag über die Amazonas-Gartenerde – vor 90 Besuchern. Darauf folgten zwei Exkursionen von Landwirten, Gärtnern, Verwaltungsmitarbeitern und Politikern zu Projekten in Rheinland-Pfalz und im Chiemgau. Es entstand ein ungewöhnliches Band zwischen Graswurzelbewegung und Lokalpolitik, das noch von der lokalen »Energie-Genossenschaft Weserbergland eG« belebt wird. Diesen Spagat vollführt auch Rainer persönlich – als Vorstand der Energiegenossenschaft und Mitglied der Stadtvertretung.
»Wir leben von der Natur«, philosophiert Klaus angesichts der Schnippelreste. »Wir leben von diesen vielleicht 20 Zentimetern Boden, der unter unseren Füßen ist.« Klaus war vor der Rente 35 Jahre lang Angestellter bei der Bundesbank. Seit Pieplows Vortrag widmet er sich ganz der Schwarzerde: »Man sieht die Probleme, wie Sozialstrukturen zerbrechen, wie die Menschen immer hektischer und kränker werden«, sagt er sichtlich bewegt. An Terra Preta habe er sich »festgebissen«, weil es »ein Lösungsweg ist, der einfach und machbar ist«. Ihm geht es um Veränderungen im gesamten »Gewebe des Lebens«. Nach seiner Lesart ist der Bibelspruch »Macht euch die Erde untertan!« grammatikalisch falsch, denn es müsse heißen: »Macht euch der Erde untertan!«
Köhlerei-Experimente Während wir drinnen philosophieren, kocht draußen auf dem Pyrolysekocher (siehe Oya Ausgabe 24, Seite 45) der Eintopf: In ihm glüht das Holz unter minimaler Sauerstoffzufuhr und setzt brennbare Gase frei, die sich im Kopfteil des Kochers mit frischer Luft verbinden und in einer orangefarbenen Flamme verbrennen. Sobald das Glutnest bis zum Boden durchgeglommen ist und die Flamme erlischt, wird Rainer die heiße Holzkohle aus dem Zylinder schütten und mit einer Gießkanne ablöschen. So gewinnt er die Biokohle, die ein Kernelement der Terra Preta ist. Wie jeder Koch die Suppe anders zubereitet, experimentiert der Aktivistenkreis in Hameln mit verschiedenen Methoden zur Kohlegewinnung. Klaus nimmt Sägemehl aus einer Schreinerei, das er in große Vorratsdosen aus einem Ein-Euro-Laden füllt: »Den Deckel lasse ich einen halben Millimeter auf, und dann stelle ich die Dose in meinen Grundofen.« Ein Viertel der Usprungsmasse konserviert er so als Biokohle. Ulrike bereitet viele kleine Dosen mit Holzstückchen vor und steckt sie in ihren Allesbrenner. »Immer wenn eine Charge fertig ist, hole ich sie mit der Zange heraus und stelle die nächste hinein.« Die Aktivistin Brunhild Kühl mischt ihre Küchenabfälle mit Holzkohle und ihren eigenen Verdauungsprodukten aus dem Kompostklo. Sie stand damit auch schon in der Lokalzeitung. Rainer »outet« sich hingegen eher dezent, dass er eigenen Urin beisetzt. Den sammelt er in einer alten Milchkanne mit Deckel; als kleine Helfer gibt er effektive Mikroorganismen hinzu – fertig ist die anthropogene Sauerkrautbrühe. Für Terra Preta empfiehlt Rainer eine Mischung von etwa 40 Prozent Grünschnitt und Küchenabfällen, 30 Prozent Dung, 10 Prozent Gesteinsmehl und 20 Prozent Holzkohle. Der 62-Jährige lässt sich auch gerne von anderen inspirieren – zum Beispiel von Herwig Pommeresche, Autor des Buchs »Humussphäre« (siehe Oya Ausgabe 22). Rainer adaptierte dessen Bodenfütterung: Seinen »Smoothie« mixt er diesmal aus den Kartoffel- und Gemüseschalen, dazu püriert er eine Handvoll Biokohle mit. Den Brei kippt er direkt auf seinen Gartenboden in Kuhlen. »Nach drei Tagen wimmelt es hier von Regenwürmern«, erzählt er. Er will nicht »die Herde über der Erde« – Schafe oder Ziegen – sondern direkt »die Herde unter der Erde« füttern. Ein Beet weiter wachsen die neuen Zwiebeln, und es fasziniert mich, wie die großen Zusammenhänge im Kaleidoskop einer gemütlichen Doppelhaushälfte mit ein paar Quadratmetern Grün aufleuchten. Auch der Eintopf ist jetzt gar, und wir lassen es uns mit Blick auf den blühenden Apfelbaum köstlich schmecken.
Vom Gartengrill in die große Welt Doch wie kann der große Sprung vom Gartengrill zur enkeltauglichen Großküche gelingen? Die Experimente in Hameln und anderswo, die vielen Terra-Preta-Workshops und die Gespräche mit Politikern – all dies zeigt Wirkung. Schon 2011 hatte ein Biobauer aus der Region, Eberhard Schulz, den Großversuch mit 60 Tonnen Terra Preta auf seinen Äckern gewagt. Die Erträge waren gut, nur der Preis für die Biokohle war mit über 500 Euro pro Tonne zu hoch. »Wenn es 100 Euro pro Tonne wären, würde es klappen«, meinte Schulz. Nun will die Region Hameln-Pyrmont an die Erfolge der Ökoregion Kaindorf in Österreich anknüpfen, die »Humus« zum touristischen Thema gemacht hat und jährlich mehrere Tausend Tonnen »Riedlingsdorfer Schwarzerde« mit einem Pflanzenkohleanteil von 25 Prozent herstellt. Verantwortlich für die Vermarktung der Komposterden ist die »Sonnenerde – Gerald Dunst Kulturerden GmbH«. Auch sie stößt an die ökonomischen Grenzen der kapitalistischen Käseglocke. »Für die landwirtschaftliche Anwendung wäre der derzeit erforderliche Aufwand zu hoch – also unwirtschaftlich«, schreibt Gerald Dunst, Unternehmer und Projektkoordinator von Kaindorf. Deshalb werde die Terra Preta in mehreren Parzellenversuchen angewendet und wissenschaftlich betreut. Es gehe dabei um die Entwicklung eines »Bodenaktivators«. Kern der Technik ist das Ablöschen der heißen Pflanzenkohle nach der Pyrolyse mit Phosphorsäure, womit sich das Volumen der Kohle verzehnfacht. So soll mit relativ geringen Kohlemengen möglichst viel Terra Preta entstehen. Inzwischen sucht die Hamelner Initiative nach Lösungen zur Aufbereitung des Pyrolysegases, um es in Blockheizkraftwerken zu verbrennen – der Nährstoffkreislauf würde so eine enge Verbindung mit dem Energiekreislauf eingehen. Die Einnahmen aus der energetischen Nutzung könnten Biokohle für rund 100 Euro pro Tonne ermöglichen. Der Landkreis Hameln-Pyrmont hat nun eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, um jährlich 30 000 Tonnen Grünschnitt zu Terra Preta zu verarbeiten. Unterstützer des Projekts sind Umweltgruppen, Haiko Pieplow aus dem Bundesumweltministerium, der niedersächsische Landwirtschaftsminister und mehrere Wissenschaftler. Mit der Ökoregion Kaindorf wird eine EU-Partnerschaft angestrebt. Dass der Weg vom heimischen Gärtchen zum kommerziellen Acker für die Graswurzelaktivisten mit Konflikten verbunden sein könnte, deutet sich bereits an. Während die Kaindorfer mit industriell erzeugter Phosphorsäure hantieren, möchten die Hamelner den Geflügelkot aus einem »Bio«-Legehennenbetrieb verwerten – einem Massenbetrieb mit 27 000 Hühnern! Brauchen wir diese Kompromisse, um den Skalensprung auf eine ganze Region zu schaffen? Oder lassen sich die Zuschlagstoffe für die Terra-Preta-Herstellung aus wirklich ökologischen, dezentralen Kreisläufen gewinnen? Soll der 7 000 Jahre überspannende Zeitsprung von den indigenen Amazonasbewohnern zu uns heute gelingen, müssen wir noch viel erforschen – und solche Debatten führen. Wesentlich scheint, das Ziel einer erdverbundenen Lebensweise nicht aus den Augen zu verlieren. Klaus meint dazu, frei nach Antoine de Saint-Exupéry: »Wenn du ein Schiff bauen willst, teile nicht die Arbeiter ein, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.« •
Andreas Schug (44) hat in Lüneburg Kulturwissenschaften studiert und schreibt als freier Journalist über erneuerbare Energien.