Investoren eignen sich Ackerland an.
von Elisabeth Voß, erschienen in Ausgabe #26/2014
Wahrscheinlich ist den meisten aufgeklärten Mitmenschen bewusst, dass zunehmend landwirtschaftliche Flächen von Konzernen und Anlagegesellschaften aufgekauft werden. Sie legen dort profitable Monokulturen an, vor allem mit Pflanzen zur Gewinnung von »Bio«-Energie und Futtermitteln. Auch die zerstörerischen Folgen dieses »Landgrabbings« – deutsch: »Land an sich reißen« – sind weitgehend bekannt: Das Land wird industriell mit schweren Maschinen und hohem Einsatz von Ackergiften bearbeitet. An die Stelle der natürlichen Artenvielfalt treten gentechnische Designerpflanzen, und Patentierungsraubzüge entziehen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit ihre Lebensgrundlagen. Eng verzahnt mit dem Landgrabbing ist das »Watergrabbing«, unter anderem durch die Übernutzung und Verschmutzung des Grundwassers und durch Eingriffe in die Verläufe natürlicher Gewässer. Weltweit werden Menschen ihrer traditionellen Land- und Wasserrechte – und damit ihrer Existenzgrundlagen – beraubt, umgesiedelt und bedroht oder sogar umgebracht, wenn sie sich zur Wehr setzen. Landgrabbing galt bislang als Problem in Ländern des globalen Südens. Seit einigen Jahren findet es jedoch ebenso in Europa statt. Die Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und des Statistischen Bundesamts zeigen auch für Deutschland einen bedrohlichen Trend: Die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe hat sich von 1991 bis 2010 fast halbiert; von 2010 bis 2013 ist sie nochmals um 5 Prozent gesunken. Die Konzentration in der Hand weniger Großgrundbesitzer nimmt zu. Die landwirtschaftlichen Flächen von insgesamt 16,7 Millionen Hektar werden von 285 000 Unternehmen bewirtschaftet; durchschnittlich verfügt also jeder Betrieb über 59 Hektar. Dieser Durchschnittswert sagt jedoch nichts aus, denn die Flächen sind sehr ungleich verteilt. 11 500 Betriebe, also nur vier Prozent aller landwirtschaftlichen Unternehmen, haben eine Größe von mehr als 200 Hektar und verfügen über fast 40 Prozent der gesamten Fläche.
Ernährungssouveränität? In rasendem Tempo wird immer mehr wertvoller und lebenswichtiger Boden privatisiert und der Nutzung durch lokal und regional Produzierende entzogen. Das offizielle globale Politikziel der Ernährungssouveränität durch regionale Lebensmittelproduktion in kleinbäuerlichen Strukturen wird so systematisch verunmöglicht. Stattdessen veröden betroffene Regionen, weil mit der Größe der Betriebe auch die Anzahl der Beschäftigten schrumpft, Menschen wegziehen und in der Folge Infrastrukturen wie Schulen, Nahverkehr und Einkaufsmöglichkeiten verschwinden. Die im April und Mai hübsch anzusehenden gelben Rapsfelder sind Symbole einer äußerst unguten Entwicklung. Raps – und zunehmend auch Mais – wird zur »Bio«-Energie-Gewinnung und als Futtermittel angebaut, ebenso wie Zuckerrüben, Roggen und andere Pflanzen. Im Jahr 2013 stand in Deutschland bereits auf mehr als 2,5 Millionen Hektar Mais; die Fläche entspricht etwa 20 Prozent des Ackerlandes, das – neben Wiesen und Weiden – 71 Prozent der Landwirtschaftsflächen ausmacht. Diese »Vermaisung« schreitet voran, auch wenn der Biogas-Boom sich abgeschwächt hat. Ganz groß in diesem Geschäft ist der KTG-Konzern, dessen Vorstandsvorsitzender Siegfried Hofreiter immerhin ein Landwirt ist. Auf 32 000 Hektar in Deutschland und 8000 Hektar in Litauen baut KTG großindustriell Getreide, Gemüse und Energiepflanzen an. Auf der Hälfte der Fläche werden ökologische Lebensmittel sowie gentechnikfreies Soja erzeugt – für den wachsenden Markt veganer Lebensmittel. Die Weiterverarbeitung erfolgt in einigen Nahrungsmittel-Produktlinien sowie in einer eigenen Biogasanlage mit 41 Megawatt Leistung. Die JLW-Holding der Lindhorst-Gruppe baut auf 22 000 Hektar Getreide, Raps, Mais und Futterpflanzen an. In seinem Leitbild betont das Unternehmen: »Die Spekulation mit Ackerland lehnen wir ab.« Gleichzeitig rühmt es sich seiner »niedrigen Arbeitserledigungskosten im internationalen Vergleich«, was nichts anderes bedeutet, als dass die Beschäftigten schlecht bezahlt werden. In einer Vereinbarung mit dem Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU) hat sich JLW im Jahr 2011 verpflichtet, einer Vermaisung der Landschaft vorzubeugen. Andere investieren ohne ausgewiesene Landwirtschaftskompetenzen schlicht dort, wo sie sich hohe Renditen aus dem laufenden Geschäftsbetrieb, steuerliche Vorteile, Subventionen und Wertsteigerungen des angelegten Vermögens erwarten, zum Beispiel der internationale Möbelkonzern Steinhoff oder die Rethmann-Saria-Gruppe – zu der auch der globale Wasserprivatisierer Remondis gehört –, der Geschäftsbereich CropEnergies des Global Players Südzucker und Anlagegesellschaften wie AgroEnergy.
Sterben die Bauernhöfe aus? Die Folge ist ein brutaler Wettstreit um Flächen, in dem kleine Landwirtschaftsbetriebe oft unterliegen. Die Bodenpreise sind innerhalb weniger Jahre explodiert; Ende letzten Jahres warnte das Handelsblatt vor einer Preisblase. Diese Entwicklung zieht steigende Pachtpreise nach sich, die von bäuerlichen Betrieben nur noch mühsam erwirtschaftet werden können. Dabei ist die Situation in West- und Ostdeutschland sehr unterschiedlich. Im Westen stellt die demografische Entwicklung eine wesentliche Ursache des Höfesterbens dar. Wenn es in einer Familie keine Erben gibt oder die Kinder nicht in die Landwirtschaft wollen, wird der Betrieb vielleicht noch eine Zeitlang verpachtet, aber dann verkauft. Im Osten gab es nur wenige Kleinbetriebe. Fast 95 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen wurden zu DDR-Zeiten überwiegend von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), aber auch von Volkseigenen Gütern (VEG) bewirtschaftet. Gleich nach der Wende wurden diese vergesellschafteten Eigentumsstrukturen reorganisiert und westdeutschem Eigentumsrecht unterworfen. Das VEG-Land wurde der staatlichen Treuhandanstalt übertragen, damit diese es privatisiere. Die LPGen mussten bis Ende 1991 entscheiden, ob sie sich auflösen, ob sie den Boden und das Inventar an die ursprünglichen Eigentümer zurückgeben, oder ob sie sich in andere Rechtsformen nach westdeutschem Handelsrecht umwandeln wollten. In dieser unübersichtlichen und für viele Betroffene existenzbedrohenden Situation kam es zu etlichen Vermögensauseinandersetzungen, manchmal mit fragwürdigem Ausgang. Es begannen umfangreiche Rückübertragungsverfahren, die zum Teil bis heute andauern. Etwa 30 Prozent der LPGen wurden aufgelöst, nur wenige Familienbetriebe entstanden – und den größten Teil der Flächen übernahmen agroindustrielle Großunternehmen. Die staatliche »BVVG – Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH« wurde 1992 mit dem Zweck gegründet, die Privatisierung der Landwirtschaftsflächen anstelle der Treuhand zu übernehmen. Mitte 2012 verkündete die BVVG stolz, dass sie in den 20 Jahren ihres Bestehens bereits 1,3 Millionen Hektar Land- und Forstwirtschaftsflächen verkauft habe. Die restlichen 350 000 Hektar sollen bis 2025 privatisiert sein. An wen werden diese Flächen in den kommenden Jahren wohl gehen? Die Preise sind abhängig von der Lage und Qualität des Bodens, und von der Nachfrage. Von 2003 bis 2012 stiegen die durchschnittlichen Hektarpreise in Ostdeutschland um gut 150 Prozent von 3800 auf 9600 Euro. Laut Preisauskunft der BVVG wurden jedoch 2013 und 2014 in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt bereits vereinzelt Hektarpreise von über 36 000 Euro erzielt. Demgegenüber scheinen die Preissteigerungen um durchschnittlich 35 Prozent in Westdeutschland moderat. Bei einer Steigerung von 16 500 auf 22 300 Euro bewegen sie sich insgesamt auf höheren Niveau, aber auch hier gibt es deutliche regionale Unterschiede.
Zum Beispiel Bienenwerder Auf einer Veranstaltung in Berlin Ende März 2014 schilderte die junge Landwirtin Julia Bar-Tal die Privatisierungspraxis der BVVG. Sie ist eine Gründerin des Bündnisses Junge Landwirtschaft und lebt und arbeitet in einer Gemeinschaft von knapp 20 Menschen in Brandenburg auf dem Hof Bienenwerder in der Nähe von Müncheberg. Dort bauen sie weitgehend ohne Maschinen, in Handarbeit und mit Pferdekraft ökologisches Gemüse an; ein paar Ziegen liefern Milch. Im Jahr 2011 schrieb die BVVG eine Fläche von 4,7 Hektar Pachtland, das bereits von dem Kollektiv bewirtschaftet wurde, zum Verkauf aus. Die Pächter hatten kein Vorkaufsrecht, sie mussten sich wie andere Interessierte an einer verdeckten Versteigerung mit Höchstgebotsverfahren beteiligen. Dabei wird ein Mindestpreis festgelegt, der sich an den bisher bei BVVG-Verkäufen in der Region erzielten Durchschnittspreisen orientiert. In diesem Fall war er besonders hoch angesetzt, weil das Land für ökologischen Gemüseanbau genutzt wurde. So musste die Gemeinschaft Bienenwerder für das, was sie selbst aufgebaut hatte, auch noch einen höheren Preis bezahlen. Selbstverständlich gab es Konkurrenz. Julia erzählte, was es bedeutet, wenn die eigene Existenzgrundlage plötzlich vermarktet werden soll. Die Gemeinschaft bot viel Geld – und hatte das Glück, dass sie ihr Land für 35 000 Euro erwerben konnte. Gezwungenermaßen trieben sie damit die Preisspirale weiter voran. Aus Mecklenburg-Vorpommern wird berichtet, dass Ökobauern und -bäuerinnen, die ihre Höfe durch Zukauf von BVVG-Flächen auf eine wirtschaftlich sinnvolle Größe bringen wollen, regelmäßig von Agroindustriellen mit kleinen Beträgen knapp überboten werden. Interessanterweise verlangt die BVVG, dass die Angebote bereits einen Tag vor dem offiziellen Abgabeschluss eingereicht werden …
Gründet Höfe! Heute einen Bauernhof neu zu gründen, ist nicht leicht. Unterstützung bietet das Portal »hofgruender.de«, das Angebote von Höfen mit Hofsuchenden zusammenbringt sowie Seminare und Beratungen anbietet. Gefördert wird es von der »Zukunftsstiftung Landwirtschaft«, die zum Stiftungsverbund der GLS Treuhand gehört. Für Höfe in gemeinnütziger Trägerschaft erwirbt die »Stiftung Aktion Kulturland« Flächen und verpachtet sie an die Projekte. Wer in der Gegend von Freiburg einen Hof gründen möchte, kann sich an die Regionalwert AG (REAG) wenden. Diese eigentlich urkapitalistische Rechtsform ist hier als Bürgerstiftung ausgestaltet. Der Gründer Christian Hiß wollte seinen Kindern die Freiheit lassen, ohne Druck zu entscheiden, ob sie seinen Demeter-Hof übernehmen wollten oder nicht. Er brachte seinen Betrieb in die REAG ein. Diese sammelt Beteiligungskapital, erwirbt oder finanziert Höfe und andere Unternehmen und berät sie. Das Ziel ist es, regionale Wertschöpfungsketten vom Anbau über die Verarbeitung bis zur Vermarktung aufzubauen. Dabei sollen Gewinne erwirtschaftet und sozialökologische Werte geschaffen werden. Eine Ausdehnung auf andere Regionen ist möglich. Auch der Demeter-Hof »Apfeltraum« in Müncheberg hat eine Aktiengesellschaft gegründet und sammelt darüber Kapital zum weiteren Ausbau ein. Der Kattendorfer Demeter-Hof bei Hamburg hat zum Erhalt der eigenen Herde »Kuh- und Kalbaktien« ausgegeben. Damit Boden nicht länger eine Ware ist, sondern Grundlage der Ernährungssouveränität, sind alternative Hoffinanzierungs- und Bewirtschaftungsformen ebenso wichtig wie lautstarke Gegenwehr gegen das Landgrabbing. Seit 2011 organisiert ein breites Bündnis jedes Jahr in Berlin die Demonstration »Wir haben Agrarindustrie satt!« (siehe Seite 18). Die junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) und das Bündnis Junge Landwirtschaft setzen sich gemeinsam gegenüber der Politik für ihre Interessen ein. Rund um den 17. April – Aktionstag der »Via Campesina«, einer internationalen Bewegung von Kleinbauern, Bäuerinnen und Landlosen – finden jedes Jahr Veranstaltungen zum Thema statt. Wer sich gegen Landgrabbing engagieren möchte, sollte auch den Braunkohletagebau im Auge behalten. Hier gibt es immer wieder Protestaktionen wie im Hambacher Forst am europaweit größten Tagebau mit 8400 Hektar. Auch wenn das Protestcamp im März 2014 geräumt wurde, sind dort erneut Aktionen geplant. In der Lausitz zerstört Vattenfall nicht nur Dörfer, sondern auch wertvolle Ackerflächen, um Braunkohle aus der Erde zu holen. Wie im Rheinland finden auch in der Lausitz im Sommer 2014 Klimacamps statt. Landgrabbing ist ein globales Problem, unter dessen Auswirkungen zuerst die Betroffenen jeweils vor Ort leiden, das aber die ganze Gesellschaft betrifft. Es ist höchste Zeit, dass dies auch in Deutschland stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerät! •
Elisabeth Voß (59) ist Redakteurin der »CONTRASTE – Monatszeitung für Selbstorganisation«, www.contraste.org. Sie schrieb den »Wegweiser Solidarische Ökonomie«, AG SPAK Verlag, www.voss.solioeko.de.