Wie ein 400 Jahre altes Gehöft in Umbrien zum Permakulturzentrum wurde.
von Yasmin Masri, erschienen in Ausgabe #26/2014
Spannend sind die Geschichten, die Birgit Schardin aus ihrem 70-jährigen Leben und aus der Entstehungszeit von La Pervincasa erzählen kann. Ich sehe in ihr einen Freigeist – und auch in manchen Dingen eine Pionierin. Birgit wurde 1943 als eine von vier Schwestern in Berlin geboren. Kriegsbedingt zog die Familie nach Weil bei Basel, wo Birgit nach der Schule Schneidermeisterin wurde. Als moderne Frau ihrer Zeit beschloss sie, 25-jährig, sich in Freiburg selbständig zu machen. Ein Jahr später brachte sie ihren Sohn zur Welt, den sie nach wenigen Jahren Ehe allein großzog. Eine ihrer Schwestern hatte den Wunsch, sich ein Grundstück im Süden zu kaufen. Birgit lag das zunächst fern: »Ich hatte eigentlich keine so übermütigen Wünsche, wollte jedoch meine Schwester dabei unterstützen.« Durch einen Bekannten erfuhren sie von einem 400 Jahre alten Gehöft im Norden der italienischen Region Umbrien. Bei ihrem ersten gemeinsamen Besuch gab es dort weder Strom noch Wasser. Sie verbrachten zehn Tage in dem nur mit Strohballen möblierten Haus. Als Birgit die Nachtigallen singen hörte, war es um sie geschehen, und sie entschied, das Land gemeinsam mit ihrer Schwester zu erwerben. Der Kauf wurde besiegelt, doch die alte Bezeichnung »Unteres Jagdhaus« gefiel ihr nicht. So sann sie jahrelang über einen neuen Namen nach. Es war schließlich das starke Vorkommen der Pflanze Immergrün (italienisch »Pervinca«), die dem Ort – zusammengesetzt mit »Casa« (italienisch für »Haus«) – den Namen gab: »La Pervincasa«, ein immergrünes Zuhause. Während ihre Schwester angesichts der vielen Arbeit das Interesse am Grundstück bald etwas verlor, verschrieb Birgit sich diesem Ort mit Herz und Seele und fing an, jeden Cent, den sie als Schneidermeisterin in Freiburg verdiente, in den Ausbau des Hauses zu stecken, beispielsweise in Solarstromanlagen. Wann immer es ihr möglich war, genoss sie die Ruhe in ihrer Natur-Oase. In den Zeiten, als es dort noch kein Telefon gab, fühlte sie sich manchmal ein bisschen einsam; doch auch jetzt, wo sie einen Anschluss hat, ruft sie nur selten jemanden an. Sie brauche auch keine Musik – wozu auch, sagt sie, sie könne ja schließlich den wunderbaren Klängen der Natur lauschen. Ihr Elan mit stolzen 70 Lenzen beeindruckt mich sehr. Birgit erzählt mir begeistert von all den Pflanzen und Tieren, die sie hier nach und nach entdeckte. So fragte sie sich einige Jahre lang, woher wohl das seltsame Schnurren kam, das sie oft vernahm – bis sie schließlich herausfand, dass dieses Geräusch von einer heute sehr seltenen Vogelart, dem Ziegenmelker, stammt. Sie erinnert sich, wie traurig sie war, als die Nachtigallen nicht mehr kamen. Als sie jedoch ihren 70. Geburtstag und die fertige Renovierung des Hauses feierte, sang auch eine Nachtigall zum Fest und blieb für drei Wochen. Vor fünf Jahren haben die Wurzeln eines 200 Jahre alten Feigenbaums begonnen, die Hausmauer zu durchbrechen. Nachbar Fernando, der ab und zu vorbeischaut und oft hilfreich zur Seite steht, sagte Birgit, sie müsse ihn wohl oder übel ausreißen. Aber sie bestand darauf, dass der alte Platzhüter stehen bleiben dürfe. Schmunzelnd erzählt sie: »Als Fernando die erste reife Frucht von diesem Baum gekostet hat, bat er mich sofort um einen Ableger. Es ist nämlich eine alte schwarze Sorte, und die Früchte schmecken wunderbar!« Es gibt in der Umgebung viel Obst – etwa wildwachsende Kirschbäume und Mirabellen, die Birgit während unserer Unterhaltung vorbereitet, um sie in ihren Solartrockner zu legen. Sie schwärmt von den wilden Orchideen und anderen seltenen Blumen, wie zum Beispiel der vom Aussterben bedrohten Violetten Schwarzwurzel.
Ein immergrünes (Teilzeit-)Zuhause In der Schneiderei war Birgit eine Vorreiterin, als sie 1994 anfing, sich für Hanfstoffe zu interessieren. Auf einer Messe erfuhr sie an einem Bücherstand vom Permakultur-Zentrum Prinzhöfte und kam zum ersten Mal mit diesem Begriff in Berührung. 1998 nahm sie dort an einem Seminar teil und lernte Volker Kranz kennen. Mit dem Permakulturdesigner bietet sie seither deutschsprachige Permakulturkurse in La Pervincasa an – im Sommer 2014 wird es bereits der sechzehnte sein. Diese Kurse brachten noch mehr Leben an den Ort. Am Ende des ersten Seminars standen die ersten Terrassen hinterm Haus, wo heute Kräuter und Gemüse wachsen. Ich frage Birgit, ob sie nicht das Ziel habe, sich an diesem Ort selbst zu versorgen. Doch sie meint nur: »Ich brauche ja so wenig, lege mir meine Oliven ein, mache mir ein leckeres Pesto oder esse von den Früchten, Kräutern und Nüssen, die hier ohnehin schon wachsen.« Irgendwann habe sie auch etwas Rucola angepflanzt und festgestellt, dass dieser sehr gut gedeiht und sich schnell ausbreitet. Ebenso wachse viel Löwenzahn; auch Kohl und der dekorative Mangold gedeihe gut. Amaranth und Zitronenmelisse fühlten sich heimisch – nur die Versuche mit hochgezüchteten Aprikosen und Pfirsichen seien sinnlos, da sie alle krank würden. Birgit konzentriert sich deshalb bewusst auf alte Obstsorten und weiß auch einen Ort in der Nähe, wo diese gezüchtet werden.
»Ich kann das gar nicht alles aufessen!« Die im letzten Jahr vor allem von einem Gast namens Diego liebevoll angelegten Gemüsegärten seien schon fast zu viel des Guten, das könne sie gar nicht alles essen, meint Birgit. Doch sie freut sich, wenn Menschen zu ihr finden und etwas Schönes bauen oder helfen, den Garten und das Haus zu pflegen. Die Verbesserung der Infrastruktur dient vor allem dem Ziel einer erhöhten Gästekapazität. So bietet sie auch gerne vergünstigten Aufenthalt gegen Mitarbeit an. Diego hatte auch bei Saviana, einer der bekanntesten Permakulturdesignerinnen Italiens, einen Kurs besucht und dort die passende Lösung für die Abwasserreinigung auf La Pervincasa gefunden. Savianas Methode, die schließlich auch die Behörden überzeugte, ist eine Art Kleinkläranlage in einer alten Badewanne. Diese ist schichtweise mit großen Steinen, Kies und Sand, jeweils durch Baumwolltücher getrennt, gefüllt. Das Wasser läuft von oben nach unten durch und könne schließlich direkt für die Bewässerung des Gartens genutzt werden. Das Haus habe, wie viele alte Häuser in Italien, eine »Termocucina«: In der Holzkochstelle erhitztes Wasser wärmt die Räume in der oberen Etage. Von dieser Technik ist Birgit begeistert. Stolz erzählt sie, dass sie im Grund keine elektrische Energie von außen mehr brauche – nicht einmal zum Heizen. Ein paar Holzscheite genügten, um das Haus in einer halben Stunde gemütlich warm zu machen. »Das Einfache ist oft das Beste«, stellt Birgit fest. Zur Zeit pendelt sie regelmäßig zwischen Berlin und Umbrien, wünscht sich jedoch, dass mehr Gäste und Helfer zu Besuch kommen, so dass sie ein kleines Einkommen generieren und bald das ganze Jahr in Umbrien verbringen kann. Ich persönlich kann diesen Ort mit Sicht auf grüne Berge und Olivenhaine, seinem abendlichen Grillenzirpen fernab vom Straßenlärm, jedem empfehlen, der sich gerne in die Natur zurückziehen möchte. Das Gemüse aus dem Garten darf selbst geerntet und in der Küche zubereitet werden. Die schöne Dusche unter freiem Himmel und der einsame »Zeltplatz« sind allein schon ein Erlebnis. Erholung ist hier fast garantiert für jede, die die Natur so liebt wie Birgit. Man kann auch einiges von dieser Frau lernen – zum Beispiel, wie man ein schlichtes und elegantes Kleid näht, das nach 19 Jahren immer noch gut aussieht, wie man ein Pesto aus wilden Kräutern bereitet oder ganz einfach, wie man mutig durchs Leben geht und mit 70 Jahren noch aufrecht steht. Ich glaube, sie hat noch einige Geheimnisse, die sie mir nicht anvertraut hat – vielleicht kann sie sogar zaubern, denn manchmal verschwand ist sie so schnell von der Bildfläche verschwunden, dass ich mir nicht erklären konnte, wie das mit rechten Dingen zugeht. •
Yasmin Masri (36) ist Naturliebhaberin, Lebenskünstlerin und kreative Weltenbummlerin.