Buchtipps

Wildnisfamilie (Buchbesprechung)

von Christina Stange, erschienen in Ausgabe #26/2014
Photo

Vorab: Es geht hier weder um literarische Wonnen (die ständigen »wooow!!!« und »cooool!« und »;-)« sind mir persönlich ein Greuel) noch um einen ausgereiften Lebensrückblick eines alten indianischen Schamanen, der meinen Respekt aufgrund seiner überraschenden Weisheit verdienen würde.

Und das soll und kann es selbstverständlich auch nicht sein: Ein deutscher Junge mit Mitte 20 »spielt« wilder Mann in einem für ein Jahr organisierten amerikanischen Familiencamp.

»Wildnisfamilie« ist ein Erfahrungsbericht, der aufgrund von E-Mails an die in der Zivilisation verbliebenen Freunde entstanden ist, die ihn später bestärkten, von seinen Erlebnissen doch in Buchform eine größere Öffentlichkeit profitieren zu lassen. Auf mich wirkt Tagaras teilweise zu unbeteiligt und unreif. Am Liebsten hält er sich genüsslich mit Details der Wildnis-Ernährung auf, die ich mir gern erspart hätte: »Rohes Hirschherz – wow, das musst du probieren.« Nein, muss ich nicht.

Mangelnde Authentizität kann man ihm allerdings nicht vorwerfen – so ist er wohl, und so lasse ich mich selbst doch immer wieder von seinen Fragen und Berichten zum Nachdenken anregen. Durchaus ist es ihm nämlich gelungen, das Wildnisjahr mit seinen Grenzen fühlbar zu machen. Die Grenzen, an die man in einer für uns zivilisierte Individualisten gänzlich ungewohnten Lebensform unweigerlich stoßen muss. Es werden verschiedene Hürden genannt, die es zu überwinden gilt, um sich auf ein solches Jahres-Experiment einlassen zu können: die psychologische, die Komfort-, die Vertrauens- und die soziale Hürde. So viel Nähe sind wir nicht gewohnt, wenn wir nicht in Gemeinschaften leben; hier geht es also auch um Wahrhaftigkeit, Urvertrauen, das auf die Probe gestellt wird, weil man sich gegenseitig um Essen beneidet oder gar bestiehlt, es geht um Rituale, die wesentlich sind in einer solchen Erfahrung, und um gemeinsam geschaffene und immer wieder neu zu verhandelnde Regeln. Ja, es geht ans Eingemachte, zumal auch Kinder dabei sind: Eine Familie wird erwähnt, die sich im Camp entscheidet, abzutreiben, eine andere, die sich auch unter den schwierigen Bedingungen der Wildnis weiterhin vegetarisch zu ernähren versucht.

Tagaras hat diesen Weg gewählt, um sich selbst näherzukommen, und er hat viele Wahrheiten unterwegs tatsächlich und mit ganzem Wesen erfahren können. Danke fürs Teilen und für die Inspiration anderer junger Menschen. Er hat noch einen Weg vor sich – aber haben wir das nicht alle? »;-)«

 

Wildnisfamilie
Ein Jahr leben wie ein Naturvolk.
Alexandros Sun Eagle Tagaras
Re Di Roma, 2013

195 Seiten
ISBN 978-3868705782
12,95 Euro

 

weitere Artikel aus Ausgabe #26

Photo
von Julia Fuchte

Damit gutes Leben einfacher wird (Buchbesprechung)

Suffizienz heißt, nach dem rechten Maß zu fragen: Wie gehen wir mit Ressourcen und Gütern um? Folgen unsere Ziele wahren Bedürfnissen oder nur Sachzwängen und Wachstumslogik? Für Uwe Schneidewind und Angelika Zahrnt ist Suffizienz der Leitstern für eine neue

Photo
Gemeinschaftvon Pavithra Novak

Impulse aus der Wüste

Hier in der Wüste ist es wunderbar still. Auch wenn der Nordwind im Februar noch ziemlich kühl ist, genieße ich die Sonne, die hier jeden Tag scheint. »Hier« – das ist der Kibbuz Lotan im Süden der Wüste Negev, 50 Kilometer nördlich des Roten Meers.

Photo
Gärtnern & Landwirtschaftvon Johannes Heimrath

Betroffene müssen sich öffentlich äußern

Seit 30 Jahren setzt sich das Pestizid Aktions-Netzwerk weltweit für das Verbot von Ackergiften in der Landwirtschaft ein. Gab es auf diesem Gebiet in der letzten Zeit positive politische Entwicklungen?Ja, die EU-Gesetzgebung hat sich tatsächlich bewegt: Eine Reihe besonders

Ausgabe #26
Landwende

Cover OYA-Ausgabe 26
Neuigkeiten aus der Redaktion