Auf der Suche nach Erkenntnissen über die Kommunikation von Pflanzen hat die Schweizer Biologin, Autorin und Künstlerin Florianne Koechlin entdeckt: In der Natur ist es alles andere als still! Sabrina Gundert sprach mit ihr über plappernde Tomaten und schlaues Springkraut.von Sabrina Gundert, Florianne Koechlin, erschienen in Ausgabe #27/2014
Pflanzen, die miteinander kommunizieren, sich vernetzen und sozial agieren – das ist neu für viele Menschen.
Die Wissenschaft betrachtet Pflanzen heute mehrheitlich immer noch als »lebende Automaten«, die ihr genetisches Programm abspulen und nur reflexartig reagieren. Es wird davon ausgegangen, dass sie weder kommunizieren noch selbst agieren noch Fragen stellen oder Antworten geben. Mich interessiert aber: Wie wird die Pflanze vom Objekt zum Subjekt?
Hat Sie diese Frage schon immer bewegt?
Das ist eine lange Geschichte! Ursprünglich habe ich unterrichtet, Biologie und Chemie, war dann im Widerstand gegen die Gentechnik in der Schweiz aktiv, wo wir Ende der 1990er Jahre in einer Abstimmung wider Erwarten stark verloren haben. Auf den Plakaten der Gentechnik-Befürworter standen Versprechen wie: »Morgen ohne Krebs dank Gentechnik!« Da kamen in mir Fragen hoch: Was sind eigentlich unsere Visionen? Was wissen wir heute über das Leben, über Pflanzen und Tiere? Welche Forschung hilft uns, die Probleme der Landwirtschaft besser anzugehen? Das war der Anfang. Ich habe nachgefragt: an Universitäten, bei Bauern, an Forschungsinstituten in Afrika …
Welche Antworten haben Sie gefunden?
Das Wissen darüber, dass eine Pflanze nicht einfach so in der Erde steckt und Wasser zieht, sondern sich mit ihren Nachbarinnen vernetzt, mit Hilfe von Duftstoffen kommuniziert, Nützlinge anlockt, vor Feinden warnt. Unterirdisch verbinden sich ihre Wurzeln mit Pilzfäden zu einem dichten, dynamischen Netz, dem sogenannten Mykorrhiza-Netz. Man könnte also sagen: Eine Pflanze ist Beziehung.
Eine Maispflanze in einer Monokultur steht ja beispielsweise da wie eine Autistin: Sie wird von oben bis unten mit Pestiziden besprüht. Es ist obsolet geworden, dass sie mit Duftstoffen Nützlinge anlockt oder aus Erfahrung lernt, wie mit Schädlingen umzugehen ist. So vergeben wir uns ein riesiges Potenzial. Ökologische Saatgutforscher fragen heute, wie wir dem Mais seine Partnerin zurückgeben können – die Bohne wurde traditionell neben den Mais gepflanzt und lieferte ihm Stickstoff, während der Mais ihre Stange war. Um solche Beziehungen zu verstehen, ist noch unendlich viel Forschung nötig.
Dies erfordert aber eine Änderung des Blickwinkels, nicht wahr? In Ihrem Buch »Mozart und die List der Hirse« sprechen Sie das Buch »Die Botanik der Begierde« von Michael Pollan an, in dem dieser fragt: »Wie schafft es die Pflanze, uns Menschen so in Dienst zu nehmen, dass wir sie kultivieren und ihr Erbgut verbreiten helfen – beispielsweise bei bestimmten Kartoffelsorten oder Blumen, die wir wegen ihrer Schönheit vermehren?« Die Idee, dass Pflanzen uns domestizieren – und nicht bloß wir die Pflanzen –, finde ich sehr interessant.
Ja, das geht noch einen großen Schritt weiter. Aber auch nur zu erkennen, wieviel die Pflanze selbst tun kann, wenn sie in geeigneten Mischkulturen aufwächst, wenn die Vielfalt groß ist, wenn die Fruchtfolgen gut sind, wäre schon sehr viel. Pflanzen wurden bislang massiv unterschätzt. Zu realisieren, dass sie Subjekte sind, eingebunden in ein dichtes Beziehungsnetz, zu dem auch wir gehören – und keine Objekte, die beliebig manipuliert und patentiert werden können – eröffnet neue Perspektiven.
Was verändert sich dadurch für die Landwirtschaft?
Wichtig sind eine möglichst große Artenvielfalt und ein gesunder, humusreicher Boden. Dazu ist auch im Biolandbau viel Forschung nötig, beispielsweise zur Frage, wie Biobauern pfluglos wirtschaften können. Denn mit dem tiefen Pflügen wird auch ein Großteil der Mykorrhiza-Netze zerstört und Humus abgebaut. Schon heute gibt es Möglichkeiten, mit Hilfe geschickter Verfahren anders damit umzugehen, beispielsweise was das Unkrautproblem beim Mais betrifft. Hier kenne ich einen Landwirt, einen richtigen Tüftler, der im Herbst eine Kleeart sät, aus der sich im Frühjahr eine Mulchschicht bildet. In diese braucht er nur noch Rillen zu ritzen und die Maissamen einzulegen – das funktioniert. Von dem, was weltweit für die Landwirtschaftsforschung ausgegeben wird, geht weniger als ein Prozent in den Biolandbau – diese Zahl hat mich schockiert!
Wie reagieren die Menschen abseits der Forschung auf die Erkenntnis, dass Pflanzen mehr als Objekte sind?
Begeistert. Es macht auch Mut, zu sehen, dass noch nicht alles an Wissen zementiert ist, dass diese grünen Gewächse noch viel mehr können als gedacht. Viele Menschen erzählen mir nach meinen Vorträgen, dass sie mit ihren Pflanzen sprechen oder besonders liebevoll umgehen und das Gefühl haben, dass die Pflanzen davon wirklich besser wachsen. Sie sind oft erleichtert, zu erfahren, dass es für das, was sie schon immer im Gefühl hatten, auch eine wissenschaftliche Basis geben könnte – auch wenn wir nicht wissen, ob Pflanzen uns verstehen. Dabei betrachtet die Wissenschaft mehrheitlich Pflanzen weiterhin als Objekte.
Mittlerweile gibt es ja aber reichlich Gegenbeispiele.
Ja, nehmen wir die Tomatenpflanze. Wird sie von einer Raupe angegriffen, beginnt sie, sich zu wehren – sie produziert Giftstoffe, Blatt-Toxine und zugleich einen Duftstoff, der ihre Nachbarinnen warnt. Etwas später sondert sie einen Duftstoff ab, um Nützlinge anzuziehen. Spannend ist, dass die Tomate sogar weiß, von wem sie angegriffen wird. Wird sie nämlich von Spinnenmilben belästigt, sendet sie einen Duftstoff aus, der gezielt Raubmilben anzieht, wird sie von Raupen angegriffen, ein etwas anderes Duftstoffgemisch, das Schlupfwespen anzieht. Pflanzen schmecken am Speichel, wer an ihnen frisst, und holen sich dann den entsprechenden »Bodyguard«. Die Frage, die bleibt, ist: Tauscht die Pflanze nur Signale aus, wie Automaten das auch können, oder kommuniziert sie? Kommunikation bedeutet viel mehr – es heißt fragen, interpretieren, antworten. Wenn wir beispielsweise bedenken, dass eine Tomate, die von ihrer Nachbarin durch den Duftstoff Methyljasmonat gewarnt wird, diesen zuerst aus all den anderen Düften um sie herum herausfiltern und zudem erkennen muss, dass dieses Signal »Gefahr« bedeutet – in anderen Situationen hat der selbe Duft eine ganz andere Funktion –, dann muss sie diese Botschaft interpretieren. Dann kann sie entscheiden, mit der Giftstoffproduktion zu beginnen – das ist mehr als bloßer Signalaustausch. Nur Subjekte treffen Entscheidungen.
Können wir sagen, dass Pflanzen denken?
Das würde ich nicht so sagen. Es ist für uns ja völlig unvorstellbar, wie ein Lebewesen ohne Gehirn und Nervensystem »denken« kann. Man weiß es schlicht nicht. Aber es gibt neue Forschungen, die zeigen, dass Pflanzen aus Erfahrungen lernen können. In den USA wurden Tomatenpflanzen in einem Gewächshaus über mehrere Generationen völlig ohne Schädlingsbefall aufgezogen. Dann wurde eine Raupe auf eine Pflanze gesetzt; in der kam die Abwehr sehr langsam in Gang. Beim zweiten Mal einige Tage später reagierte sie schon viel schneller. Sie hat sich also erinnert, wie sie ihre Abwehrenzyme und -gene schnell aktivieren kann. Nicht nur sie selbst konnte das, sondern ebenfalls ihre Nachbarinnen – und diese von Anfang an. Andere Pflanzen konnten Erinnerungen an Dürre bis in die zweite Generation vererben.
Das klingt ja beinahe menschlich! In Ihrem Buch »Mozart und die List der Hirse« sprechen Sie sogar davon, dass Pflanzen Freunde und Feinde haben, liebevoll zu den Nächsten sind und Vetternwirtschaft betreiben. Wie sieht das konkret aus?
Als ich vor ein paar Jahren in Fachartikeln gelesen habe, dass Pflanzen sozial agieren, bin ich auf Susan Dudley gestoßen, eine Evolutionsbiologin. Sie hat in einem Versuch Springkraut in Töpfe gepflanzt, und zwar in einen Topf ganz nahe Verwandte derselben Mutterpflanze und in einen anderen entferntere Verwandte. Die verwandten Pflanzen investierten viel weniger Energie ins Wurzelwachstum als die nicht-verwandten, deren Wurzeln viel länger und weiter verzweigt waren – ganz so, als würden die Nicht-Verwandten miteinander konkurrieren und die anderen einander schützen – wie Feinde und Vettern. Eine andere Forscherin hat Knöterich in einem Gewächshaus gezüchtet und dann einen Bakterienangriff simuliert. Wie erwartet, produzierte der Knöterich Blattgifte. Dann hat sie ihn neben den Idaho-Schwingel, ein Gras, gepflanzt. Siehe da – der Knöterich investierte nur in sein Wachstum, die Abwehr überließ er dem Idaho-Schwingel. Das heißt, er »wusste«, dass neben ihm artfremde Pflanzen wachsen; das Springkraut »wusste«, wer seine engsten Verwandten sind. Die Pflanzen kannten also ihren Platz in der Gemeinschaft und haben entsprechend reagiert. Das ist soziales Verhalten.
Gibt es Individualität bei Pflanzen oder handeln sie stets in Gemeinschaft?
Das ist auch eine Frage, die heftig diskutiert wird. Ich glaube schon, dass Pflanzen Individuen sind, nur weisen sie weniger Unterschiede zwischeneinander auf. Aber es gibt jedoch beispielsweise Studien, wo Kleepflanzen mit dem gleichen Umweltstress belastet wurden, aber etwas unterschiedlich reagierten. Das unterirdische Mykorrhiza-Netz gleicht einem Marktplatz, wo Pflanzen überschüssige Nährstoffe abgeben oder eben solche bekommen können. Neue Forschungen zeigen, dass sie sogar Informationen über dieses Geflecht austauschen. Doch geht es in diesem Netzwerk nicht immer nett zu. So gibt es auch Pflanzen wie eine Enzianart im Tropenwald, die das Mykorrhiza-Netz anzapft und Nährstoffe stiehlt. Oder Tagetes, die über das Mykorrhiza-Netz pflanzentoxische Moleküle verteilt und somit Nachbarinnen an ihrem Wachstum hindert.
Können wir von den Pflanzen auch etwas für unsere menschlichen Gemeinschaften lernen?
Da bin ich vorsichtig. Pflanzen sind zwar auf der Zellebene den Menschen sehr ähnlich, doch als Lebewesen radikal anders. Beide können sich aber auf ihre Weise flexibel und rasch auf sich verändernde Umweltbedingungen anpassen.
Woher kommt es, dass die meisten Menschen in Pflanzen immer noch isolierte, nicht-kommunizierende Objekte sehen?
Das steht in der Tradition des Anthropozentrismus. Zudem fürchten Wissenschaftler, in die Ecke der Esoterik zu geraten oder etwas zu vermenschlichen. Es wirkt wohl demütigend, dass Pflanzen so vieles können, was bislang als menschliche Fähigkeit galt. Wenn Pflanzen keine Objekte sind – was heißt das für unser Verhältnis ihnen gegenüber? Kommen dann Rechte ins Spiel? Subjekten, die ich gern habe, gestehe ich Rechte zu. Freilich geht es nicht darum, Pflanzen nicht zu essen, sondern eher um die Frage nach Grenzen ihrer völligen Instrumentalisierung oder Industrialisierung.
Sie sind ja zugleich Künstlerin und Naturwissenschaftlerin. Welchen Zugang zu den Pflanzen ermöglicht Ihnen die Malerei?
Es ist ein extrem anderer Zugang. Das Malen hat mich den Pflanzen letzlich am nächsten gebracht. Das kann ich mir auch gut erklären, denn als Subjekte kann ich sie nie gänzlich mit der Chemie oder Biologie beschreiben. Die Malerei gestattet mir, mich den Pflanzen anzunähern, indem ich ein paar Stunden vor ihnen sitze, mich auf sie und ihre Bewegungen einlasse. Ich schaue, was die Pflanze mit mir tut, und versuche, dies auf meine Art zu interpretieren. Solche Momente lassen sich nicht in Worte fassen.
Passt das zu Ihrer Arbeit als Wissenschaftlerin oder Ihren Aktivitäten in der Politik?
Aus der Politik und der Gentechnikdebatte habe ich mich aktuell eher zurückgezogen, doch die anderen beiden Bereiche gehen gut zusammen. Ich bin keine Vollblut-Wissenschaftlerin, bin aber auch keine Vollblut-Künstlerin. Ich möchte die Balance zwischen beidem halten.
Ganz herzlichen Dank für das Gespräch! •
Florianne Koechlin (66), Biologin, leitet das Blauen-Institut und besuchte die Visual Art School in Münchenstein. www.blauen-institut.ch, www.floriannekoechlin.ch
Sabrina Gundert (26), freie Journalistin, Autorin und Schreibcoachin, lebt für das Schreiben und die Natur. www.handgeschrieben.de
Noch mehr Pflanzengeflüster Bücher von Florianne Koechlin im Lenos Verlag: Jenseits der Blattränder. Eine Annäherung an Pflanzen. 2014 Mozart und die List der Hirse. 2012 (mit D. Battaglia) PflanzenPalaver. Belauschte Geheimnisse der botanischen Welt. 2008 Zellgeflüster. Streifzüge durch wissenschaftliches Neuland. 2005