von Leonie Sontheimer, erschienen in Ausgabe #23/2013
Der Mensch kann die Frage, die er nach sich selbst stellt, nicht beantworten. Er nähert sich ihr mit Hilfe der Poesie. Einblicke in diese Annäherung, die den Menschen in seiner Geschichte begleitet, gewährt Rainer Marten in seinem Buch »Endlichkeit.
Zum Drama von Tod und Leben«. Der im Jahr 1928 geborene Philosoph und Universitätsprofessor beschäftigte sich intensiv mit den antiken Denkern, publizierte in den letzten Jahren jedoch auch über die in unserer heutigen Gesellschaft relevante Frage der Maßlosigkeit. In »Endlichkeit« schlägt er nun den Bogen zwischen antiken Mythen, den großen Religionen, großen Denkern der letzten Jahrhunderte und den Veränderungen unserer heutigen Gesellschaft.
Ohne die Lesenden zu sehr an die Hand zu nehmen, durchläuft Marten Perspektiven der Mythologie, Religion und Philosophie auf den menschlichen Umgang mit seiner Vergänglichkeit. Am (jüdischchristlichen) Anfang steht das Schuldgefühl des Menschen, nicht so zu sein, wie er entworfen worden ist. Das Leben wird als durch Schuld erworbenes Übel verstanden. Geschlechtliche Lebenserhaltungswesen zu sein, ist die Bestrafung, die Adam und Eva nach dem Verstoß aus dem Paradies erhielten. Der Tod ist die einzige Erlösung aus Mühe und Arbeit: Buddha sucht der Vergänglichkeit und dem tristen Leben auf Erden durch Erleuchtung zu entkommen. Mohammed und Paulus verbindet der Glaube an ein besseres, gottnäheres Leben nach dem Tod. Auch Heidegger, Barth und Kafka sehen in unserem Dasein Schuld, Sinnlosigkeit und Sündhaftigkeit.
In zwölf Kapiteln schneidet Marten viele komplexe Fragen an, lässt unerfahrene Leser an mancher Stelle jedoch allein in ihrem Unwissen. Mit eigenen Perspektiven bleibt er eher sparsam, Gläubigen gegenüber scheint er mal abwertend, mal in bewunderndem Unverständnis gegenüberzustehen.
Erst ganz am Ende löst der Autor das Thema Schuld und den Tod von seiner Grausam keit. Der Tod, der gefürchtete und verdrängte, fordere das Leben zu seiner Lebendigkeit heraus. Erst die Endlichkeit des Lebens erlaube uns, dieses zu schätzen, zu glauben und die Frage nach dem Sinn zu stellen. Auch wenn diese unbeantwortet bleiben müsse, so fände der Mensch in Kunst und Poesie einen Umgang mit ihr. Auf 160 kompakten Seiten geht es lange Zeit mehr um die Glaubensfrage und ihr Verhältnis zur Poesie als um die Endlichkeit eines jeden Lebens. Für diejeningen, die ein Buch suchen, das sie beim Umgang mit dem eigenen nahenden Tod begleitet, mag »Endlichkeit« nicht die tre endste Lektüre sein. Wer aber mit kühlem Abstand betrachten möchte, wie die Menschheit mit ihrer Endlichkeit umgeht und wie sie von selbiger abzulenken versucht, der kann diesem Geheimnis hier Kapitel für Kapitel näherkommen.
Endlichkeit Zum Drama von Tod und Leben. Rainer Marten Karl Alber Verlag, 2013 160 Seiten ISBN 978-3495486009 19,00 Euro