Das Ehepaar Sladek, Herr Felber, Herr Schridde, die Yes-Men, die GLS Bank und die Schweizer Bahn teilen eine ungemein zukunftsfähige Erfahrung: Sie kennen das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Die Genannten sind Protagonisten der Geschichten des Gelingens, sie haben ihren eigenen Handlungsspielraum zu nutzen begonnen. Zugleich üben sie sich im Umgang mit Unbequemlichkeit, wo sie an bestimmte Handlungsmuster ecken. Harald Welzer nennt diese Menschen die »Wir-fangen-schon-mal-an-Elite«. Er hat einen Spürsinn für diejenigen, die achtsam, gemeinwohlorientiert und resilient von der Zukunft her auf die Gegenwart blicken.
Aus gelingenden wie auch scheiternden Zukunftsvorstellungen entwickelt der Transformationsdesigner in seinem Buch »Selbst denken« ein Trainingsprogramm für Zukunftsfähigkeit. Zu den Stretchingübungen gehört eine Anleitung zum Widerstand gegen die Alternativlosigkeitskultur in Rathäusern, Parlamenten und Talkshows, gegen das Anhäufen von Wissen in Forschungseinrichtungen oder gegen die Fantasielosigkeit milliardenschwerer Großprojekte, die für ihn lediglich eine »Wirtschaft ohne Wunder« verkörpern, denn jede Technik sei nur so gut oder schlecht wie die Kultur, die sie anwende. Die Finanz-, Klima-, Nahrungs- und Sonst-was-Krisen sind für Welzer Bestandteile des Systems und nicht etwa zufällige oder einmalige Ereignisse, verschuldet von ein paar Verantwortungslosen.
»Selbst denken« löst die Arbeitsteilung zwischen Weltzerstörern und Weltrettern auf. Widerstand sei auch gegen sich selbst zu leisten. Doch das Buch ist keineswegs depressiv oder ausweglos.
Statt im nächsten Schritt das gute Leben durchzudeklinieren und einen Masterplan zu entwerfen, arbeitet Welzer an der Alphabetisierung für eine nachhaltige Moderne. Selbst denken hat für ihn nichts mit dem strategischen Konsum von fair gehandeltem Ka ee zu tun, sondern mündet in der Fähigkeit, zu wissen, was einmal gewesen sein wird. Falls sich diese »Futur-zwei-Kompetenz« einmal durchsetzt, dann dadurch, dass sie praktiziert wird, nicht durch Belehrungen, Expertentum und Konjunktive. »Man braucht […] keine Mehrheiten, um Gesellschaften zu verändern; andere kulturelle Modelle und Praktiken di undieren dann in die Gesamtgesellschaft, wenn sie von Minderheiten in allen relevanten gesellschaftlichen Schichten getragen werden.« Drei bis fünf Prozent der Bevölkerung seien dafür ausreichend.
Welzers Werk zeichnet sich durch geschichtsbewusste wie autobiografi sche Züge aus, zugleich ist es voll wohltuender Leichtigkeit und Alltagsnähe. Dank seiner Empathie für Wandlungsprozesse gelingt dem Autor ein zeitloses und zugleich hochbrisantes Stück, das zum Anfangen anstiftet.
Selbst denken Eine Anleitung zum Widerstand. Harald Welzer S. Fischer, 2013, 336 Seiten ISBN 978-3100894359 19,99 Euro