»Erst treffen wir Dracula, dann Frankenstein.« Mit diesem Satz stimmt uns der Autor Peer Zickgraf auf eine Reise in die deutsche Unterwelt ein, wo es von Untoten, Zombies und Gespenstern nur so wimmelt. Es ist eine unheimliche Welt, die oft vergnügt daherkommt, mit Besuchen der ganzen Familie im Zoo, nicht nur, um Rilkes schwarzen Panther hinter Gittern zu bewundern, sondern wilde Menschen in ihrem exotischen Sein. Die beliebten »Völkerschauen« von Carl Hagenbeck im 19. Jahrhundert gingen einher mit Kolonialismus und Rassismus; der schwarze Mann lehrte Kinder das Fürchten und bestätigte den weißen gottgleichen Herrenmenschen.
Der erste Völkermord des zwanzigsten Jahrhunderts war die fast völlige Ausrottung des Volks der Herero in Südwest-Afrika. Von den 85 000 getöteten Menschen wanderten mindestens 3000 Schädel in deutsche Museen und Universitäten. Dort wurden an den Beutestücken die sogenannten Rassenunterschiede studiert und demonstriert, noch bevor die Humanlabore der Nazis den nächsten Genozid vorbereiteten.
Die medizinischen Humanexperimente in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern wurden in den »Concentration camps« in Afrika erprobt, wo Einheimische als billige Versuchskaninchen dem medizinischen Fortschritt dienen durften.
Die recherchierten historischen Fakten und auch das ungewöhnliche Fotomaterial lassen vor den Augen des Lesers eine unheimliche Welt entstehen, die oft so vertraut erscheint, weil sie aus Kinder- und Abenteuerbüchern bekannte Bilder des Wilden und Fremden aufscheinen lässt.
Auf Postkarten des Hagenbeck’schen Tier- und Menschenparks entdecken wir Elefanten mit ihren indischen Pfl egern und niedliche Pygmäen in den Armen eines weißen, tropenbehelmten Weißen. Massai auf Knien blicken hoch zum weißen Missionar, und eine mit Arm- und Halsreifen geschmückte Afrikanerin ziert das Titelbild der deutschen Bilderzeitung »Kolonie und Heimat«. Die schöne fremde Welt verdeckt die unheimlichen Welten des Rassismus, des Völkermords und der grausamen medizinischen Experimente.
Und heute? Die »Körperwelten« touren seit Jahren mit großem Erfolg durch Deutschland. Die Plastinate der Körper von verstorbenen Menschen sollen – so ihr Schöpfer Gunther von Hagens – Eltern und Kindern das authentische Studium des menschlichen Körpers ermöglichen. Nebenher verkaufen sie sich auch gut als Kulisse von Modenschauen. Waren nicht bereits die Völkerschauen eine Einübung ins entmenschlichte Schauen gegen Zahlung von Barem?
Völkerschau und Totentanz Deutsches (Körper-)Weltentheater zwischen 1905 und heute. Peer Zickgraf Jonas Verlag, 2012 160 Seiten, 50 Abbildungen ISBN 978-3894454685 20,00 Euro