Wagenleben wagen
Wie lebt es sich in einem Bauwagen? Was bewegt Menschen dazu, ihren Lebensmittelpunkt auf einem Wagenplatz einzurichten?
Wenn ich im Laden der Autodidaktischen Initiative (ADI) am Fenster sitze, fällt mein Blick auf die charmant-heruntergekommene Georg-Schwarz-Straße in Leipzig-Lindenau, auf den Strom der Passanten, von denen sich auch ab und an jemand zu uns gesellt. Das ist gut so, denn die Mitgestaltung von am Ort lebenden Menschen ist ein wichtiger Aspekt der ADI. Allerdings: Wenn ich mich sehr konzentrieren möchte, bin ich meist weniger begeistert über Neuankömmlinge – und schon sind wir bei der Frage, wie offen ein offener Lernraum sein kann und welche Umgebung einen dabei unterstützt, sich zu bilden.
Auf Kraftakt folgt Festakt
Mitte April öffnete die ADI nach jahre-langer Vorbereitung endlich ihre Pforten. Die Vision war von Anfang an klar: einen Raum zu schaffen, der die soziale und räumliche Infrastruktur für freie Bildung, lebensnahe Philosophie und Interventionen aller Couleur bietet. Ein Flyer macht das emanzipatorische Ansinnen der Gruppe deutlich: »Wir wollen Denkräume schaffen zur Reflexion über unser Leben, über die Gesellschaft und zur kritischen Hinterfragung des Bestehenden.« Von alledem war schon bei der feierlichen Eröffnung viel zu spüren: An die 70 Menschen waren zur Auftaktveranstaltung gekommen, der Raum schon am ersten Tag freudig überfüllt. Nach Kaffee, Kuchen und einer Ansprache des Teams folgte eine lebhafte Podiumsdiskussion zweier Philosophen über Idee und Geschichte der Autodidaktik, bei der auch das Publikum engagiert mitdiskutierte: Guillaume Paoli, als Hausphilosoph mit Sprechstunde am Leipziger Schauspiel mit unkonventioneller Denkarbeit vertraut, deutete an, wie stark die französische Arbeiterbewegung von autodidaktischer Praxis geprägt war. Der zweite Philosoph im Bunde, Ulrich Brieler, Professor an der Uni Leipzig, erinnerte an Kant, der schon bedauert habe, dass den Menschen der Mut fehle, »den Herren im Kopf zu überwinden«; Autodidaktik sei hier Vorreiterin auf der richtigen Seite. Ganz in diesem Sinn definierte Paoli anschließend: »Freies Lernen ist die Fähigkeit, ›Nein‹ zu sagen.« – Ja, dachten sich manche im Raum und ließen ihrer Begeisterung bei der Solidaritäts-Party im Anschluss freien Lauf. Es wurde getanzt, über Autodidaktik gefachsimpelt, es flossen Cocktails, die Hausbibliothek wurde durchstöbert und vieles mehr – bis um halb vier die Lichter ausgingen.
Was ist seitdem passiert?
»Die ADI ist noch längst nicht ausgelastet«, sagt Nadine, eine Initiatorin des Projekts, einige Monate später. »In der ersten Woche kamen ein paar Interessierte, dann ist es leider etwas abgeebbt.« Allerdings habe sich ein kleines Stammpublikum herauskristallisiert, das regelmäßig in der ADI lerne. Prinzipiell gibt es also keinen Grund zu klagen. Ganz zu schweigen von den gelungenen Aktionen und Angeboten: Das Audio-Projekt »Die Zeit des ersten Weltkriegs – Eine Reise zum Hören« wird von vielen gut angenommen, beim Deutschkurs lernen zehn Leute regelmäßig die deutsche Sprache, und die Arbeitsgemeinschaften florieren. So tagt wöchentlich die »AG Weltpolitik, Weltökonomie, Imperialismus«, und die »AG Ferngespräch« hat sich neu gebildet. In diesem Kreis geht es darum, den direkten Kontakt zu Aktivistinnen und Aktivisten in der ganzen Welt aufzubauen – manchmal per Skype, manchmal in persona. Bis jetzt waren ein Aktivist aus Syrien, eine ukrainische Feministin und ein Mitglied eines griechischen Solidaritätsnetzwerks dabei. Auch auf der Degrowth-Konferenz wird die Autodidaktische Initiative einen Workshop zum Thema »Warum Degrowth und nicht Klassenkampf?« organisieren.
Nadine betont: »Wir vom Organisationsteam müssen nicht tausend Angebote initiieren. Die Inhalte sollen ja von den Leuten kommen.« Umso mehr freut sie sich über neue Gesichter: »Es ist immer schön, wenn Gäste kommen, die man nicht erwartet.« Ein Höhepunkt sei es für sie gewesen, »als zwei Schülerinnen sich hier hingesetzt haben, um für ihr Abi zu lernen«. Solche Erfahrungen dürfen sich in Zukunft gerne wiederholen. Man kann nur hoffen, dass noch viele Wissensdurstige vom Kaffeegeruch aus der ADI angelockt werden! Jetzt werden erst einmal zwei neue Arbeitsräume eingeweiht, in die man sich zurückziehen kann – womit auch meinem Ruhebedürfnis Genüge getan wäre. •
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