Wagenleben wagen
Wie lebt es sich in einem Bauwagen? Was bewegt Menschen dazu, ihren Lebensmittelpunkt auf einem Wagenplatz einzurichten?
Der Naturpark Märkische Schweiz liegt vor den Toren Berlins. Mit seiner fast schon gebirgig und rau anmutenden Schönheit will er gar nicht zum sonst so sanften Brandenburg passen. Es verwundert mich nicht, dass dieser form- und farbenreiche Naturraum besonders auf solche Menschen anziehend wirkt, die mit ihrem schöpferischen Wirken dessen Lebensfülle widerspiegeln. Wie bunte Punkte sind sie überall verteilt, doch werden bei genauerem Betrachten die Fäden sichtbar, mit denen die einzelnen auf verschiedene Weise miteinander verbunden sind.
Im Netzwerk »HeilSame LebensWeisen« – kurz »HeilSamen«, wie sie sich selbst liebevoll nennen – haben sich gut 40 Menschen zusammengefunden, die mit ihren heilsamen Berufungen und Arbeitsbereichen in der Region wirken wollen. Die Spannweite des gemeinsamen Angebots ist groß und umfasst Atemarbeit, Yoga, Wildnispädagogik, Reiki, Klangreisen, Meditation, Homöopathie, Schwitzhütte, Kreistanz, Musiktherapie und Heilpflanzenkunde – um nur einige Punkte zu nennen.
Vor fünf Jahren entwickelte ein kleiner Kreis von Frauen um Birte Böhnisch und Charlotte Bergmann die ersten Ideen für das Netz, an dem bis heute gewebt wird. Die Gründerinnen kannten sich schon aus anderen Zusammenhängen; sie waren und sind in der Initiative »Kunst und Lebensart« aktiv. Nach wie vor bilden sie den festen Kern der Gruppe. Hinzu kommen weitere Menschen, die regelmäßig mitwirken und ein unterstützendes Umfeld bilden.
Der Gesundheitstag in der Kurstadt Buckow ist einer der jährlichen Höhepunkte der gemeinsamen Arbeit. Ursprünglich waren die HeilSamen dort nur einfache Mitwirkende; im Lauf der Zeit sind sie zu tragenden Mitgestaltern des Fests geworden. An diesem Samstag Ende Mai herrscht trotz Nieselwetter reges Treiben an ihrem Stand. Ein bunter Feldblumenstrauß schmückt den Tisch, darauf verteilt sind wunderschöne Postkartenmotive und selbstgestaltete Flyer. Hinter dem Stand auf der Wiese laden Gruppenmitglieder zu wechselnden Angeboten wie Reiki, Qigong, Taiji und Yoga ein. Im ehemaligen »Alten Warmbad« des Kurparks bieten sie Vorträge an, beispielsweise zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte, zur Selbstbehandlung durch Akkupressur oder zur Kraft des Glücklichseins. Die HeilSamen sind heute zahlreich vertreten und nutzen Anlässe wie diesen auch als Möglichkeit, sich außerhalb ihrer regelmäßigen Treffen zu sehen.
Als alle ihre mitgebrachten Brotdosen auspacken, kommt die Frage auf: »Warum gibt es auf einem Gesundheitstag eigentlich nur Kuchen und Bratwurst? Unsere Vorstellung von gesunder Ernährung sieht anders aus!« Kerstin, die als Yogalehrerin und Märchenerzählerin arbeitet, klärt mich auf: »Wir würden uns als Kooperationspartner gerne mehr in die Organisation einbringen. Es gibt so viele alternative regionale Anbieter, die man für diesen Tag gewinnen könnte. Unsere Vorschläge werden zwar berücksichtigt, aber nicht immer in dem Maß, wie wir uns das wünschen.«
Kooperation statt Konkurrenz
Brigitte, praktizierende Physiotherapeutin und Taiji-Lehrende, schwärmt von der gegenseitigen Wertschätzung und Unterstützung, die im Zentrum des Miteinanders der HeilSamen steht: »Auf ungeahnte Weise entsteht so eine Kooperation, die jede Form von Konkurrenzdenken ausschließt. Jeder einzelne von uns fühlt sich immer stärker als Teil eines gemeinsamen Ganzen.« Auch die Schulmedizin wird nicht als Konkurrenz gesehen; vielmehr wünschen sich die HeilSamen, deren Horizont zu bereichern. »Als Netzwerk wie auch einzeln sind wir immer wieder auf der Suche nach Kooperationen«, sagt Kerstin. So gäbe es derzeit in Zusammenarbeit mit dem Strandhotel Buckow verschiedene Angebote. Davon profitierten nicht nur die Gäste – zum Yoga beispielsweise kämen vor allem die Einheimischen. Im nahegelegenen Krankenhaus haben zwei Frauen aus dem Netzwerk eine Gemeinschaftspraxis eröffnet, und auch Kerstin selbst bietet Yoga in einer Klinik an. »Die Offenheit gegenüber alternativen Lebensmodellen und Heilmethoden wächst – aber nur langsam«, erfahre ich von ihr. Dabei hat Buckow als traditioneller Kurort in meinen Augen gute Voraussetzungen für eine Vielfalt von Heilungswegen. Kerstin weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht so einfach ist, einen Fuß in die konventionellen Türen zu bekommen. Sie würde gerne in der Mutter-Kind-Klinik Schwangeren-Yoga unterrichten. »Die Nachfrage der Mütter ist groß. Viele Schwangere fahren zu meinen Kursen bis nach Straußberg.« An anderen Stellen gibt es aber schon eine Zusammenarbeit: Eine Gesundheitsberaterin aus dem Netzwerk hat mit ihrem Angebot zur Ernährungsberatung in der Kurklinik Fuß gefasst.
Blick nach innen
In den regelmäßig stattfindenden Netzwerktreffen kommen die HeilSamen zusammen, um ihre Energie nach innen zu lenken, einander zu nähren, Erkenntnisse auszutauschen und diese zu verknüpfen. Abwechselnd laden die Mitglieder zu sich nach Hause ein und ermöglichen es den anderen, ihre Lebens- und Wirkungsfelder noch besser kennenzulernen. Gestärkt im Innen, machen sich anschließend alle wieder auf den Weg, um andere zu inspirieren und heilende Samen unter die Menschen zu streuen.
»Wir sind in den letzten Jahren zusammengewachsen«, erfahre ich von Brigitte. »Allein ein Umzug oder eine berufliche Neuorientierung lässt mal einen die Gruppe verlassen. Wenn jemand neu dazukommen möchte, wird er oder sie eingeladen und stellt sich den anderen vor. Bei einer positiven Resonanz auf beiden Seiten wird die neue Person wiederkommen – das hat die Erfahrung der letzten Jahre gelehrt.«
Alle Beteiligten bringen sich auf ihre Weise ein – etwa, indem sie Texte schreiben, die Internetseite, Flyer oder Karten gestalten, fotografieren oder Veranstaltungen vorbereiten. Ganz bewusst haben sich die HeilSamen gegen die hierarchischen Strukturen und Richtlinien eines Vereins entschieden und finden sich als informelles Netzwerk zusammen. Durch eine Anbindung an den Naturschutzpark Märkische Schweiz e. V. konnten sie dennoch an Fördergelder gelangen. Die Webseite beispielsweise wurde mit Mitteln aus dem LEADER-Programm der Europäischen Union gefördert.
Auf meine Frage nach Problemen und zwischenmenschlichen Konflikten in so einer großen Gruppe muss Brigitte schmunzeln. »Komischerweise haben wir selten Unstimmigkeiten, sondern verstehen uns sehr gut. Wir durchleben aber auch alles, was im Zusammensein auftaucht: Mal ist es lustig und manches Mal auch traurig. Bei unseren Treffen werden Ehrlichkeit und Verbundenheit spürbar. Wenn eine von uns schwere Zeiten durchlebt und davon erzählt, dann machen wir beispielsweise heilende Tänze, Meditationen oder hören einfach nur zu.«
Die Früchte reifen heran
Nach den ersten Jahren, in denen sich vor allem die Verbindung untereinander gefestigt hat, wächst inzwischen der Wunsch, mit der gemeinsamen Arbeit auch einen Teil des Lebensunterhalts zu bestreiten. Statt vorgefertigter Arrangements werden für interessierte Menschen oder Gruppen individuelle Angebote geplant und gestaltet. Darüber hinaus bereichern die HeilSamen den Buckower Naturkostladen mit Koch- und Themenabenden, beispielsweise zu Bachblüten oder der chinesischen Fünf-Elemente-Lehre. Gemeinsam wollen sie auch das neue »HeileHaus«, das auf dem Habionda-Hof in Dahmsdorf entstehen soll, unterstützen und mit ihren verschiedenen Berufungen bereichern.
Ich frage Kerstin nach den Früchten, die das Netzwerk hervorbringt. Die Märchenerzählerin hält kurz inne, um dann von den Samen zu sprechen, die in der Erde liegen, und von den ersten Pflanzen die schon keimen und sprießen. »Es gibt erste sichtbare Ergebnisse«, freut sie sich. »Die Äpfel vom Baum zu pflücken, dafür wäre es jetzt noch zu früh. Es ist wunderbar, dass man uns wahrnimmt. Durch unsere gebündelte Energie strahlen wir wie ein Diamant – und je mehr Menschen zusammenkommen, desto größer wird unsere Kraft.«
Als der Buckower Gesundheitstag schon vorbei ist, reißt endlich der Himmel auf. Die HeilSamen sitzen noch immer erzählend an ihrem Stand und stellen fest, dass sie sich gar nicht voneinander lösen möchten. Sie sind fröhlich und entspannt, genießen das Hier und Jetzt im Miteinander. Vielleicht ist das die schönste Frucht, die ein Samen hervorbringen kann. •
Maja Klement (36) webt gern kleine Kunstwerke aus bunten Fäden. Als Naturpädagogin liebt sie es, bei Wind und Wetter durch die heilsame Natur Brandenburgs zu streifen.
Den Fäden im Netz nachgehen?
www.heilsame-lebensweisen.de
www.naturschutzpark-verein.de
Wie lebt es sich in einem Bauwagen? Was bewegt Menschen dazu, ihren Lebensmittelpunkt auf einem Wagenplatz einzurichten?
Das elfte Permakulturprinzip nach David Holmgren fordert dazu auf, unser Bewusstsein für Randzonen zu schärfen und auch Wege jenseits allgemeiner Trends zu gehen.
In den letzten Ausgaben von Oya wurden an dieser Stelle in einer Artikelserie beispielhaft Schulen vorgestellt, die neue Wege gehen. Den Abschluss bildet der folgende Versuch, die Qualitäten dieser Schulen als Bausteine einer Vision von lebensfördernden Lernorten erkennbar werden zu lassen.