von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #29/2014
Vielleicht liegt es an den sanft wogenden Hügeln, den ausgedehnten Wäldern, den Inseln und Seen, dass aus der schwedischen Provinz Småland die schönsten Kinderbücher kommen. Dort kam, nur wenige Kilometer und Jahre von Astrid Lindgren (1907–2002) entfernt, Gunhild Sehlin (1911–1996) zur Welt. Während Lindgren zur weltweit meistgelesenen Kinder- und Jugendbuchautorin avancierte, wurde Sehlin vor allem mit einem Buch bekannt, das besondere Wertschätzung im deutschsprachigen Raum erfuhr. Das Außergewöhnliche an Gunhild Sehlins Geschichte von der Stallgeburt Jesu und der Flucht nach Ägpyten ist, dass die Ereignisse aus Sicht eines Esels erzählt werden. Als faulster, störrischster und dreckigster Esel von ganz Nazareth ist er das einzige Tier, das Zimmermann Josef für seine Frau Maria erstehen kann. Maria erkennt auch als einzige, dass unter dem struppigen Fell ein Herz aus Gold schlägt: Dieser Esel kann Engel sehen, und wird sich noch in so mancher Notlage selbst als Engel im Eselsfell erweisen. In vielen Auflagen von Generationen geliebt, wurde nun bei Urachhaus eine neu illustrierte Ausgabe aufgelegt. Benjamin Königs stimmungs- und liebevolle Bilder sind ein wahrer Glücksfall: Sie geben der Erzählung neue atmosphärische Tiefe. Das Buch ist sowohl zum Vorlesen für kleinere Kinder wie auch als Geschenk hervorragend geeignet. Von der standardisierten Zeichentrickserie und der bei DTV erschienenen Taschenbuchausgabe, die im zweiten Teil die Flucht nach Ägypten vermissen lässt, ist übrigens abzuraten. Als der Esel nach vielen Jahren der beschwerlichen Reise mit müden Augen und schwachen Beinen auf den heimatlichen Hof zurückkehrt, wird er von einer Schafherde willkommen geheißen. Vielleicht werden sie sich einst, wenn die Beine ihm für immer den Dienst versagen, um ihn scharen und ihn, wie den Esel in Robert Bressons Film »Zum Beispiel Balthazar«, engelsgleich auf der Reise von der einen in die andere Welt begleiten. »Marias kleiner Esel« erzählt von den Sanftmütigen, derer das Himmelreich bereits auf Erden ist, von Gottvertrauen und Güte, die stärker als Angst und Arglist sind, und lässt Equus asinus asinus, dem gemeinen Hausesel, eine stille Würdigung zuteil werden. Es ist eine wunderbare Weihnachtsgeschichte. Ich kenne keine schönere. Freilich bin ich heillos voreingenommen. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich bin ich mit der schönsten Weihnachtsgeschichte der Welt aufgewachsen. ◆