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Wir übernehmen (Buchbesprechung)

von Elisabeth Voß, erschienen in Ausgabe #30/2015
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 Der argentinische Sozialwissenschaftler Juan Pablo Hudson berichtet in »Wir übernehmen. Selbstverwaltete Betriebe in Argentinien« über seine Untersuchung von »Empresas Recuperadas« (übernommene Betriebe) in Rosario, der drittgrößten Stadt Argen­tiniens. Alix Arnold, die das Buch zusammen mit Gabriele Schwab übersetzt hat, skizziert im Vorwort zur deutschen Ausgabe die Entwicklung der Bewegung vom Beginn des Jahrtausends zu den heute 311 übernommenen Betrieben, in denen mit 13 460 Arbeitskräften mehr als doppelt so viele Menschen beschäftigt sind wie vor zehn Jahren. Abschließend trägt sie Zahlen, Daten und Fakten zusammen und weist darauf hin, dass der Gründungsimpuls dieser Betriebe nicht darin bestand, eine alternative, solidarische Ökonomie aufbauen zu wollen, sondern dass es um den Erhalt der Arbeitsplätze ging.
Im Mittelpunkt von Hudsons »militanter Untersuchung« stehen die beiden Kooperativen »Herramientas Union« (Metall) und »La Victoria« (Lebensmittel). Der Wettbewerb am Markt fordert seinen Tribut, die Erfahrungen mit dem Staat sind widersprüchlich. Was bedeutet Horizontalität, wenn die gewählten Vorstände überlastet sind, die Mitglieder an den ­Maschinen aber nicht mehr Verantwortung übernehmen möchten? Sollen neue Arbeiterinnen und Arbeiter Kollektivmitglieder werden oder besser nur befristete Angestellte bleiben? Und warum sind die Jüngeren so unmotiviert und ohne Arbeitsethos? Auch die Schwierigkeiten des Engagements über den eigenen Betrieb hinaus, in der Zusammenarbeit mit anderen Kooperativen und in größeren Netzwerken, fließen immer wieder in die Berichte ein.
Der Autor macht auch den Prozess seines Forschens und Schreibens sowie seine selbstkritische Reflexion darüber zum Gegenstand seines Berichts. Von anfänglichen Zweifeln geplagt, wird er im Lauf seiner Forschungsarbeit, die sich von 2004 bis 2011 erstreckte, mehr und mehr selbst zum Teil seines Unterschungsgegenstands. Sein Text erfordert eine Bereitschaft, sich auf unsicheres Terrain zu begeben. Am Beginn mancher Kapitel ist nicht ersichtlich, aus welcher Perspektive sie geschrieben sind. Teils reflektiert der Autor seine eigene Rolle oder berichtet über die Welt der Kooperativen, teils wird aus Sicht von Arbeitern geschrieben. Arbeiterinnen spielen keine deutlich sichtbare Rolle. Wer sich von verwirrenden Momenten nicht abschrecken lässt, wird mit tiefen Einblicken in Fragestellungen und Schwierigkeiten betrieblicher Selbstverwaltung reichlich belohnt. ◆ 


Wir übernehmen
Selbstverwaltete Betriebe in Argen­tinien. Eine militante Untersuchung.
Juan Pablo Hudson
Mandelbaum, 2014
220 Seiten
16,90 Euro

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