Ist das wieder eines der Bücher mit vielen netten Geschichten über gelungene, zukunftsweisende Projekte, von denen mensch in Oya oder anderen Medien längst schon gelesen hat? Diese Frage stellte ich mir etwas bang vor der Lektüre des neuen Buchs »Glücksökonomie« der beiden Autorinnen Annette Jensen und Ute Scheub. Ja, diese Geschichten gibt es auch – aber sie flankieren nur den eigentlichen Text, der eine Rundum-Einführung in alle wesentlichen Facetten lebensfördernder Wirtschaftspraxis bietet. Ob es um Wachstumskritik, Selbstorganisation, offene Quellen oder »Schwarmgeld« geht – für ein locker geschriebenes Lesebuch ist es enorm informativ, gespickt mit Fakten und Anmerkungen, die zu Studien und Literaturhinweisen führen. Kompakt vermitteln die beiden Autorinnen komplexe Zusammenhänge zur Glücksforschung ebenso wie zur Entwicklung der fixen Idee vom Homo oeconomicus, zur Geschichte der solidarischen Ökonomie oder der Open-Source-Bewegung. Wichtige Konzepte wie »Ubuntu«, »Reproduktionsarbeit«, »Buen vivir«, »Copyleft« oder »Demokratisierung der Produktion« werden im Kontext lebendiger Beispiele gut erklärt. Die Frage nach dem »Glück« in der Ökonomie kann das Buch auf einfache Weise beantworten: Gelingende Beziehungen und sinnerfülltes, selbstbestimmtes Tätigsein machen glücklich. Wenn der ecuadorianische Intellektuelle Alberto Acosta mit dem Satz »Der Mensch ist nicht mehr die Krone der Schöpfung, sondern der Erschöpfung« zitiert wird, werden ihm die Leserinnen und Leser sicherlich zustimmen. Wer will überhaupt noch bei der hyperbeschleunigten Selbst- und Natur-ausbeutung mitmachen? Wie breit das Spektrum an Schritten ist, die heute aus dem »ganz normalen Wahnsinn« hinausführen, zeigen Annette Jensen und Ute Scheub mit zahlreichen, lebendig beschriebenen Beispielen. Diese Alternativen, so der Wunsch der Autorinnen, sollen den »Turbokapitalismus« von innen zersetzen. Mit »Glücksökonomie« kommt die Diskussion über ein menschen- und naturwürdiges Wirtschaften einen Schritt weiter in der Mitte der Gesellschaft an. Das Besondere dabei: Die Autorinnen scheren sich nicht um die zum Teil scharfen Grenzlinien in den üblichen Debatten zwischen Postwachstums-Predigern, Commons-Aktivistinnen, Solidarökonominnen oder Gemeinwohlökonomen. Sie kurven querbeet zwischen sozialunternehmerischen Praktiken und Wirtschaftsweisen jenseits von Markt und Staat hin und her und können so die zahmeren ebenso wie die subversiveren Ansätze zur Transformation einer breiten Öffentlichkeit nahebringen. Mir persönlich kommt die Subsistenz-Perspektive ein wenig zu kurz, aber das kann in einer hoffentlich bald anstehenden Neuauflage leicht ergänzt werden. ◆
Glücksökonomie Wer teilt, hat mehr vom Leben. Annette Jensen, Ute Scheub oekom, 2014, 320 Seiten 19,95 Euro