Zukunftsfähigkeit ist eine Frage der Kultur (Buchbesprechung)
von Leonie Sontheimer, erschienen in Ausgabe #22/2013
Unsere Gesellschaft steckt fest im irreführenden Wachstumsparadigma, in Politikverdrossenheit und Zeitknappheit; in der Krise. Alles eine Frage der Kultur, sagen Thomas Haderlapp und Rita Trattnigg. Unsere Gesellschaft müsse wieder lernen, nicht nur kulturbestimmt, sondern ebenso kulturbestimmend zu sein. Wie ein kultureller Wandel hin zur Zukunftsfähigkeit aussehen könnte, was ihn hemmt und was ihn fördert, beschreiben die beiden an der Universität Klagenfurt Dissertierten in einem 701 Seiten reichen Buch. Dank der menschennahen Methode der Interventionsforschung kommen hier verschiedenste Vertreterinnen aus Politik und Zivilgesellschaft zu Wort und zur Reflexion ihrer eigenen Positionen. So ist die Dissertation zugleich das, was sie für eine zukunftsfähige Gesellschaft vorschlägt: Zeit und Raum für Reflexion. Um zu erkennen, dass es auch anders geht und dass wir bestimmen können, wie, brauche es Räume und Zeiten zum Innehalten, Hinterfragen und Aushandeln. Haderlapp und Trattnigg sprechen von einer »zweiten Aufklärung«. In individuellen und kollektiven Prozessen müsse unsere Gesellschaft – einmal gestärkt in ihrem Selbstbewusstsein – abkommen vom Streben nach materieller Sicherheit und eigene Grenzen ebenso anerkennen wie planetare. Kern des Wandels sei ein anderer Umgang mit Widersprüchen. Unsere logische Denkweise und die übliche Vereinfachung des Komplexen würden dazu führen, dass Grundwidersprüche – etwa: »Mensch – Natur« oder »Leben – Tod«, also die Hauptfragen unserer Existenz – kaum angesprochen würden. Dabei könne eine Neuaushandlung dieser Denkweise den Wandel anstoßen. In den vielen mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft geführten Interviews kristallisiert sich ein Unverständnis dafür heraus, warum selbst auf ein hohes Bewusstsein für die Unverträglichkeit unserer heutigen Lebensweise keine wesentlichen Handlungen folgen. Als Grund dafür wird unter anderem die hinderliche Entkoppelung von Politik und Bürgerinnen genannt. Viele Interviewte wünschen sich mehr Partizipationsmöglichkeiten für Bürger, mehr gegenseitiges Vertrauen sowie einen Blick über Legislaturperioden und Ländergrenzen hinweg. Aber auch Überforderung angesichts von Komplexität, Bequemlichkeit, Verlustängste oder das Gefühl von Alternativlosigkeit hemmten den Wandel. Es sei deshalb wesentlich, dass Lebenskünstler nachhaltige Alternativen zur konventionellen Lebensweise vorlebten. Auf komplexe Weise, Widersprüche akzeptierend und mit neuen Methoden zeigen Haderlapp und Trattnigg, wie Wissenschaft auch sein kann: nah an den Menschen und am Wandel.
Zukunftsfähigkeit ist eine Frage der Kultur Hemmnisse, Widersprüche und Gelingensfaktoren des kulturellen Wandels. Thomas Haderlapp, Rita Trattnigg oekom Verlag, 2013 701 Seiten ISBN 978-3865814135 44,95 Euro