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Mehr Grün! (Buchbesprechung)

von Farah Lenser, erschienen in Ausgabe #28/2014
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»Lichtschlürfende, lichtgrüne Luftschlösser auf organischen Portalen und Bündelverknüpf-Rundbögen aus Pfropfreisern gebündelt, gebunden, gewickelt, heilige Buckel-und Hohlraumhaine, Zufluchtsorte für zivilisationsgeschädigte Pflanzenseelen, die mit ihren alternden Erbauern um die Wette wachsen.« So die ­Vision für die künftigen Millenia des universalgelehrten Sprachkünstlers Ulrich Holbein, der uns mit diesem Dschungelbuch durch die Kulturgeschichte vom Sündenfall der Pflanzen über den Beschneidungswahn zum Pantheismus ohne Hindernisse führt.
Am Anfang besiegte das Harte höchst undaoistisch das Weiche: Mit der Stengelverhärtung als Sündenfall der Pflanzen entstand der Wald und bedeckte bald den ganzen Globus. Der älteste Welten- und Lebensbaum wurde von A damu gefällt: »An die Stelle lebendig himmelstürmerisch sich rankenden Weltbaums trat technizistisches Ersatzinstrumentarium, trockne Maurerkunst, Lehmziegel auf Lehmziegel, Stein auf Stein.« Doch der Turmbau zu Babel konnte den Baum von Babel nicht ersetzen, die Sehnsucht blieb. Buddha lauschte der rauschenden Baumseele, die ihn unter dem Bodhibaum erleuchtete, während ein flüsternder Baumgott Alexander dem Großen sein baldiges Ende prophezeite, als er mit fünftausend Kriegern unter dem Banyam-Baum saß.
Die Hochkultur des Morgenlands entpuppt sich als Holzfällerkultur mit Beschneidungswahn, wo ganze Wälder sich widerspruchslos für hölzerne Kriegsschiffe, Räder und Armbrüste flachlegten. Auf der nördlichen Halbkugel dagegen ließen Rübezahl und Rapunzel ihr Bart- und Haupthaar unbeschnitten wuchern, und in Germanien versanken Römer im Sumpfwald wie später Amerikaner im vietnamesischen Regenwald. Die germanische Weltenesche wurde zum sakralen Vorreiter profanen Waldsterbens, als St. Bonifatius 732 n. Chr. die tausendjährige Donareiche umlegte wie schon Jahrhunderte vor ihm der bengalische König Shashanka den heiligen Bodhibaum.
»Wälder wurden Rohstoffquellen. Statt Baumgeist: pragmatischer Geist, vernünftige Forstwirtschaft, Stangenholzplantagen, Fichtenmonokultur, preußisch in Reih und Glied.« Die früh ergrauten Grünen wurden zu Ökö-Realisten, tanken mit Rapsöl und glauben eh nicht an Baumnymphen. Trotz betongrauer Welt schießen auch isländische Feenbeauftragte und Naturfreaks aus dem Boden. »Waldesrauschen polarisiert sein Publikum in rauschhaft Lauschende und für derlei Dinge unmusikalische Legastheniker.« – Dieser Akt 77 der thinkOya-Reihe ist ein gelungenes Werkstück zum dialektischen Verhältnis von Natur und Mensch – stilistisch ein Meisterwerk, voller skurriler Wendungen und schräger Perspektiven eines philosophierenden Waldschrats aus dem hessischen Knüllwald. Mehr davon!


Mehr Grün!
Ein Dschungelbuch zwischen ­Kahlschlag und Stadtbegrünung.
Ulrich Holbein
thinkOya, 2014, 90 Seiten
ISBN 978-3927369825
10,00 Euro

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