Wem gehören das Wasser, die Luft, das Wissen über Heilpflanzen – all das, was wir zum Leben brauchen und was uns frei zur Verfügung steht, weil die Natur oder frühere Generationen es uns geschenkt haben? Es ist einer der Mythen des Wirtschaftsliberalismus, dass die Allmende, weil sie das Eigentum aller und damit letztlich von niemandem ist, zwangsläufig einem hemmungslosen Raubbau zum Opfer fällt. Was in Lehrbüchern bis heute als »Tragik der Allmende« bezeichnet wird, sagt mehr über die Mentalität der neoliberalen Wirtschaftsordnung aus, als dass es jene besondere Form des selbstorganisierten Wirtschaftens jenseits von Markt und Staat beschreibt, auf denen Commons (Gemeingüter) beruhen. Eine Wirtschaftslogik, die auf materielle Güter und deren Geldwert fixiert ist, muss das Wesen der Gemeingüter verkennen, denn diese sind weitaus mehr als der Stoff, aus dem sie bestehen: Sie sind Teil eines Beziehungsgefüges. Es sind diese Beziehungen, die den Zugang zu den wichtigen Ressourcen regeln. Seit dem Wirtschaftsnobelpreis für die in diesen Tagen überraschend verstorbene Elinor Ostrom ist das Thema Allmende wieder ins Bewusstsein gerückt und gilt nicht länger als Reminiszenz an das Mittelalter. Ein von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebenes Buch befasst sich nun ausführlich mit den theoretischen und praktischen Grundlagen von Gemeingütern und gibt vor allem einen Einblick in eine Vielzahl von Projekten, die auf dem Prinzip der Commons basieren. Die Beiträge stammen von einem internationalen Autorenteam, darunter auch Oya-Autorinnen und -Autoren wie Andreas Weber, Friederike Habermann und Beate Küppers. Sie schreiben über die schleichende Einhegung von Gemeingütern in Stadt, Land und der virtuellen Welt des Internets, aber auch über den Widerstand dagegen. Das Buch ist eine wahre Fundgrube für Projekte, die Ressourcen gemeinschaftlich selbstverwalten. Das reicht von Gemeinschaftsgärten und freier Software über das Mietshäuser-Syndikat bis hin zur Salzgewinnung im Senegal und den Perspektiven für ein dezentralisiertes Stromnetz, das auf dem Allmende-Prinzip beruht. Auch das Buch selbst ist ein Gemeingut: Es kann nicht nur im Laden gekauft, sondern auch im Internet frei heruntergeladen und ausgedruckt werden – was man sich aber angesichts der stattlichen Dicke von über 500 Seiten hoffentlich zweimal überlegt. Nach der Lektüre entdeckt man Gemeingüter überall und wird sich bewusst, wieviel in unserem Leben von ihnen abhängt, gerade heute, wo das Scheitern linearen Wachstums abzusehen ist. Commons zeigen eine Perspektive, die Wachstum zyklisch, netzwerk- und beziehungsorientiert denkt und nicht zuerst fragt: »Was lässt sich verkaufen?«, sondern: »Was wird zum Leben gebraucht?«.
Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.) transcript Verlag, 2012 ISBN 978-3837628357 24,80 Euro