Fünf Jahre auf dem Berg
Eigentlich sollte es in die weite Welt hinausgehen, stattdessen landet ein junges Paar auf einem Hof im Schweizer Emmental und wird sesshaft. Chancen wollen ergriffen werden – zur rechten Zeit am rechten Ort.
Zu meinem Ausstieg kam es durch einen Traum und einen Satz von Charles Bukowski.
Im Traum war ich mit Frau und Tochter dabei, in einer Boutique ein Kleid für letztere zu kaufen – aber ich sah aus wie mein Schwiegervater, meine Frau wie ihre Mutter und unsere Tochter wie meine Frau. Man hätte kein schöneres Bild für Kontinuität finden können. Diesen Weg wollte ich nicht gehen. Die Diskussionen, die wir von da an hatten, führten dazu, dass ich ein paar Jahre später völlig frei war. Sonst wäre das alles in der Form gar nicht möglich.
Und Bukowski hat in »Women« geschrieben: »Nur die Armen haben eine Chance – die Reichen müssen ewig raten.« Je mehr ich über diesen Satz nachdachte, desto einleuchtender erschien er mir. Von da an habe ich nicht mehr versucht, herauszufinden, wieviel möglich war, sondern wieviel nötig war. Mir selbst habe ich sowas wie Armut gelobt, und in den dreißig Jahren, die seitdem vergangen sind, habe ich manchmal daran gezweifelt, meist kurz, es aber nie bereut.
Viel gelernt habe ich schon auf meiner ersten Station. Ich wollte nach Südamerika, zu einem Stammesvolk, bin mit 300 Mark losgefahren, weil das, was ich lernen wollte, ohnehin erst begann, wenn ich kein Geld mehr von zu Hause in der Tasche hatte. Beim ersten Anlauf bin ich in Portugal hängengeblieben. Dort lebten die Leute damals von 80 Dollar im Jahr oder so, das war unvorstellbar. Aber in dem kleinen Fischerdorf, wo ich landete, waren Fisch, Kartoffeln, Wein und Liebe umsonst, und die Leute schienen unbeschwerter als daheim. Dort habe ich einen ersten nahezu geldlosen Winter verbracht, ohne dass mir etwas gefehlt hätte – weil ich dazugehörte. Dort habe ich auch begriffen, warum die Selbstmordrate mit dem Bruttosozialprodukt steigt.
Doch nach sieben Monaten bin ich zurück, zweimal sogar, und erst beim dritten Mal, als es wieder soweit war, habe ich mich entschlossen, mindestens ein Jahr auszuhalten, um nicht noch mal die gleiche Erfahrung zu machen. Seitdem habe ich nie wieder »Heimweh« gehabt.
Meist habe ich wie ein Vogel gelebt. Selten war ich ordentlich gemeldet, so gut wie nie versichert, höchstens das Auto. Ich glaube nicht an Sicherheit. Tatsächlich bekommt man auch keine, man bekommt immer nur Geld. Man gibt jedoch auch nichts anderes.
Es ist nicht dasselbe, ob man für sich arbeitet, das gern tut, dabei weder Zeit noch Lust hat, krank zu werden, und weiß, dass man richtig Probleme kriegt, wenn man es doch wird – oder ob man jeden Tag etwas tut, was man lieber nicht tun würde, doch wenn man mal krank wird, kriegt man sein Geld weiter und hat ein paar Tage Ruhe.
Wenn ich wirklich einmal krank war, habe ich erst gesucht, bis ich einen Arzt meines Vertrauens fand, und meistens war ich schon vorher wieder gesund. Der Körper hat enorme Selbstheilungskräfte. Wenn nicht, fand sich immer jemand, der helfen konnte. Heute suche ich fast nur nach alternativen Heilmethoden. Akupunktur hat in zehn Tagen heilen können, was vier Hautärzte in einem grausigen halben Jahr von Mal zu Mal verschlimmert hatten. Kinesiologie war immer hilfreich, Pendeln hat einmal über 3500 Kilometer hinweg erstaunliche Wunder gewirkt, und Kräuter kenne ich inzwischen wie eine alte Hexe. Wolf-Dieter Storl sagt, Heilkräuter erscheinen bisweilen spontan im Garten eines Kranken, und in meinem letzten Garten wuchs bald alles, was ich gegen Magenverstimmungen, Hautprobleme und Hämorrhoiden brauchte. Manches hatte der Vorbesitzer dort noch nie gesehen.
Wichtig ist auch, dass der Tod für mich zum Leben gehört, mein einziger zuverlässiger Freund, wie Castanedas Don Juan gesagt hat; und das Bewusstsein, dass er, der Sensenmann, besser als ich weiß, wann es soweit ist. Ich möchte nicht, dass mich jemand mit allen Mitteln von meiner Verabredung abhält. Die Güte eines Lebens ist viel entscheidender als seine Länge. Mir war meine Gesundheit immer teuer, sonst aber so gut wie umsonst. Dass ich im Moment versichert bin, ist Pflicht, doch die Kräuter, die ich mir nun in der Apotheke hole, muss ich selbst bezahlen. Vielleicht, weil sie so billig sind. Wie ich das in Zukunft regeln werde, weiß ich noch nicht, dass ich es regeln werde, allerdings schon. Alles lässt sich regeln, wo nicht schon alles geregelt ist.
Mehr von Jan Moewes gibt es auf seiner Website, seinem Blog oder in dem wunderbaren Daseinswegweiser »Rendezvous mit dem Universum« zu lesen.
Eigentlich sollte es in die weite Welt hinausgehen, stattdessen landet ein junges Paar auf einem Hof im Schweizer Emmental und wird sesshaft. Chancen wollen ergriffen werden – zur rechten Zeit am rechten Ort.
Privat sind sie ein Paar, literarisch auch: Andreas Maier, Autor eigenwilliger Provinzpossen, der wegen seiner Vorliebe für den Konjunktiv, für Mutmaßungen und »das Gerede der Leute« mit Thomas Bernhard verglichen wird, und Christine Büchner, Theologin, die
Körperliche Kriegsverletzungen werden genäht, verbunden und ver-arztet. Wer kümmert sich aber um die nicht weniger verheerenden seelischen Wunden? Wer hilft, Kriegsschäden zu heilen, die sich nicht mit Hilfe von Wiederaufbauverträgen, Reparationszahlungen oder