Wenn in letzter Zeit viel vom Potenzial der urbanen Landwirtschaft zu lesen war, fehlte selten der Hinweis auf den derzeitigen Boom der Guerilla-Gardening-Subkultur in zahlreichen Metropolen des Westens: Stadtbewohner machen sich ungefragt daran, städti- sche Grün- oder Brachflächen mittels Blumenpflan- zungen zu verschönern, wobei manchmal Miniatur- Oasen für das Auge entstehen – aber hier und dort auch mal ganze Gärten oder Parks. Die radikaleren unter den Guerilla-Gärtnerinnen sehen in ihrem Tun nicht nur eine Stellungnahme gegen die vielerorts vorherrschende Betonästhetik, sondern gleich gegen den ganzen Kapitalismus. Sie annektieren nicht oder nur schlecht genutztes Land und bauen eigenes Gemüse an, um der Abhängigkeit von der Supermarkt-Fremdversorgung ein Schnippchen zu schlagen. Wieder andere haben herausgefunden, dass sich Moos mit Buttermilch, Bier und Zucker zu einer Nährpasten-Farbe anrühren lässt, mit der man an feuchten Mauern grün-lebendige Graffiti anbringen kann – revolutionäres Gärtnern kennt eben viele Aus- drucksformen, von der eher braven Pflege der vom Gartenbauamt vernachlässigten Blumenrabatte bis hin zur »Samenbomben«-Attacke auf Gentech-Felder. Richard Reynolds war einer der ersten grünen Guerilleros der neuen Generation in London. Seine gut gemachte Internetseite guerillagardening.org hat wohl nicht unwesentlich zur weiteren Verbreitung des Phänomens beigetragen. Auch in seinem im vergan- genen Jahr auf Deutsch erschienenen »Botanischen Manifest« versteht Reynolds es, geschickt mit Aus- drücken der Militanz, des Revolutionären und Illegalen zu kokettieren und diese Begriffe mit einer harmlosen Gänseblümchen-und-Gurken-Ästhetik kontrastieren zu lassen. Diese Kopplung hat dazu beigetragen, dass gärtnerische Aktivitäten unter der jungen urbanen Bevölkerung heute mitunter einen gewissen Chic ha- ben. Bleibt zu hoffen, dass dieser Trend Bestand hat und zu einer umfassenden Subsistenz-Gartenbaukul- tur heranwächst: Die Welt, ein Garten! Anders, als der Titel vermuten lässt, ist Richard Reynolds’ Buch aber viel mehr als ein bloßes »Mani- fest«. Es ist auch Handlungsanleitung für alle, die sich weder mit gärtnerischem Grundwissen noch mit der Durchführung halblegaler Aktionen bei Nacht auskennen. Es ist dank eines dicken Bilderteils ein Fotoband und – und das finde ich fast das Interessanteste – es ist auch eine Chronik selbstbestimmter Landnutzung, die den aktuellen Trend mit historischen Bodenbesetzungsaktionen durch einfache Bauern auf der ganzen Welt in Verbindung bringt.
Guerilla Gardening Ein Botanisches Manifest. Richard Reynolds orange press, 2009 270 Seiten ISBN 978-3936086447 20,00 Euro