Permakultur

Fünf Jahre auf dem Berg

Der Balmeggberg – Permakultur im Emmental.von Anton Küchler-Pey, erschienen in Ausgabe #4/2010
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Fünf Jahre sind es nun her, seit meine Frau und ich vor dem alten Holzhaus auf einem Hügel im Emmental standen. Wir waren frisch verliebt und mit dem Auto der Eltern unterwegs auf den Nebenstraßen der Schweiz. Das Haus war zu verkaufen, und mit ihm 5,5 Hektar Land. Ein Freund hatte das kleine Inserat in der Zeitung entdeckt. Dabei war es eigentlich der Duft der weiten Welt, der uns lockte. Mit einem geräumigen fahrbaren Untersatz wollten wir ihm nachspüren. Aber der Balmeggberg hatte wohl anderes mit uns vor.
Bis zu dem Augenblick, als wir auf dem Berg standen, hatten wir noch nie ernsthaft daran gedacht, ein Haus oder gar einen Bauernhof zu erwerben. Wir waren Ende zwanzig, und das Reisefieber war uns eindeutig näher als der Drang zur Sesshaftigkeit. Doch in diesen Minuten wurde uns klar, dass der Zufall eine Perle an den Strand unseres Lebens gespült hatte, etwas, das man nicht findet, wenn man es sucht.
Freilich hatten wir auch schon mal von einem Leben auf dem Land und mit der Natur geträumt. Da war sie nun – die Chance auf Verwirklichung. Wir spürten, dass wir sie hier und jetzt ergreifen mussten. Eine zweite Gelegenheit würde es kaum geben.
So kam es, dass wir unerwartet und dank einem großzügigen Darlehen von unseren Eltern ein Haus und Land, steiles Land, erwarben. Das Haus war über 50 Jahre lang das Feriendomizil einer Familie gewesen, die es sorgfältig und liebevoll gepflegt hatte. Wir konnten sofort einziehen und darin wohnen, ohne die Hürde großer Umbauten oder Renovationen überwinden zu müssen. Was uns in der Plötzlichkeit der Entscheidung aber fehlte, war ein Plan. Wir hatten nur eine Ahnung von dem, was an diesen Ort geschehen könnte. Schnell wurde uns klar, dass wir ihn nicht alleine beleben würden können, und wir ahnten, dass unser Leben von nun an unter dem Zeichen der Landwirtschaft stehen würde.

Ein Schatz des praktischen Wissens entsteht
Die ersten zwei Jahre waren davon geprägt, unser neues Zuhause kennenzulernen und das Leben hier oben – nun auch mit zwei Kindern – zu meistern. An freien Tagen besuchten wir verschiedene Projekte und Vorbilder, um an ihnen unsere Vision zu entwickeln und zu messen. Eine erste Jurte fand Platz auf unserem Hof, ein Jahr später folgten drei weitere, und so zog der erste Jurtensommer mit Kursen und Gästen bei uns ein. Zeitgleich gelangen uns die Schritte zum Aufbau einer Permakultur-Landwirtschaft.
Heute, fünf Jahre später, sind wir sicher, in welche Richtung wir den Balm­eggberg entwickeln möchten: Er soll Lebensort für zwei oder drei Familien sein, ein Begegnungsort für Menschen, die lernen möchten, von und mit der Natur zu leben. Wir wollen eine Gemeinschaft aufbauen, die das Potenzial hat, autark zu funktionieren, wenn die äußeren Umstände es gebieten. Die Elemente, die bisher zustandegekommen sind – der Gästebetrieb in den Jurten, ein Erdstall für Hühner, eine Pflanzenkläranlage, ein Brotbackofen aus Lehm und ein wachsender Gemüsegarten – konnten nur durch die Mitarbeit der Mitglieder der wachsenden Gemeinschaft und viele helfende Gäste-Hände entstehen.
Auch der weitere Aufbau und die zukünftige Bewirtschaftung soll ein Gemeinschaftsprojekt sein und bleiben. So können wir das Wissen und die Fertigkeiten, die sich auf dem Balmeggberg ansammeln, weiter­geben und Menschen, die kein eigenes Projekt haben, praktische Erfahrungen vermitteln. In der nächsten Phase möchten wir unsere Bewirtschaftung auf die gesamte Fläche ausdehnen und so der Selbstversorgung schrittweise näherkommen. Zudem soll der für die kommenden Jahre geplante Ausbau des Wohnhauses den Raum schaffen, damit die heutige Gemeinschaft von sechs Erwachsenen und drei Kindern langfristig und ganzjährig auf 1000 Metern Seehöhe gut leben kann.

Das einfache Leben ist anstrengend
Unsere Erfahrung im Alltag zeigt, dass ein Leben mit der Natur viel Arbeit bedeutet, sehr viel Arbeit. Es ist nicht einfach und manchmal auch nicht möglich, die persönlichen Ansprüche mit den äußeren Notwendigkeiten unter einen Hut und ins Gleichgewicht zu bringen. Dafür braucht es eine gute Planung des Ganzen wie auch der einzelnen Vorhaben, es braucht die Vorbereitung, damit zur rechten Zeit alles am rechten Ort ist, es braucht geschickte Hände zur Umsetzung, ein Management für die Einteilung der Arbeitskräfte, gemeinsame Gesprächskreise, um sich auszutauschen und zu beraten, und es braucht Ruhepausen, Auszeiten, Feiern und den Feierabend, wo die Kräfte wieder aufgeladen werden – kein einfaches Unterfangen, vor allem, wenn noch kleine Kinder dazwischen unterwegs sind.
Mit unserem vielfältigen beruflichen Hintergrund bringen wir gute Voraussetzungen mit: eine Kindergärtnerin, ein Koch und Schreiner, eine Physiotherapeutin, ein Yoga-Lehrer, eine Forscherin, eine Tänzerin, ein Alleskönner und zwei Umweltwissenschaftler. Aber das Praktische lernen wir täglich – und werden mit dem Lernen wohl unser Leben lang nicht aufhören.
Hinzu kommt, dass das Leben in einer Gemeinschaft manchen Konflikt mit sich bringt. Der »Hüttenkoller« bricht gern im Winter aus, wenn es weniger zu tun gibt und der Wohnraum eingeengt ist. Hier versuchen wir, Wege zu finden, um diese natürliche Herausforderung angehen und lösen zu können – ohne sie dabei zum Mittelpunkt des Gemeinschaftslebens zu machen, denn eine therapeutische Gemeinschaft wollen und können wir nicht sein.
Trotz aller Reibungspunkte, gelegentlicher Krisen und der hohen Arbeitsbelastung haben wir das Gefühl, dass sich unsere Gemeinschaft gut und richtig entwickelt. Dafür sind wahrscheinlich verschiedene Faktoren ausschlaggebend: Wir bringen dem Projekt die nötige Geduld entgegen und können auch mal ein Vorhaben auf das nächste Jahr vertagen. Wir haben in unseren Familien finanziellen Rückhalt (ohne mit Geld überschüttet zu werden), so dass wir nicht befürchten müssen, in eine akute finanzielle Krise zu geraten. Wir haben die Möglichkeit, auswärts zu arbeiten und dabei gut zu verdienen. Wir haben das Vertrauen, dass sich schwierige Situationen unter uns mit etwas Geduld wieder einrenken. Und wir sind eine Gruppe von Leuten, die gerne arbeiten und auch gerne reden, je nachdem, was gerade ansteht.
Würden wir es wieder tun? – Je länger wir hier sind, desto mehr können wir dazu Ja sagen. Zwar fordert das Leben hier viel ab, und es ist sicher anstrengender als ein Leben in der Nähe der »normalen« Zivilisation. Aber es bietet Sinn, weil wir zukunftsgerichtet arbeiten können, und Sicherheit, weil wir spüren, dass uns der Ort auch in Krisenzeiten in der wahren Bedeutung des Worts einen Boden gibt. Und weil es eine lange Entwicklungszeit braucht, um diesen Boden zu bearbeiten, sind wir froh, dass wir schon jetzt damit beginnen können und nicht erst dann, wenn die Zeit drängt.
Wir spüren auch, dass wir nicht allein sind: Gerade im Emmental gibt es viele Initiativen, die in eine ähnliche Richtung gehen. Netzwerke und gemeinsame Projekte werden möglich. Und auch in der eingesessenen Bevölkerung tut sich etwas: Gerade konservative und bäuerliche Kreise sehen in den sich abzeichnenden Veränderungen eine Chance und öffnen sich für Themen wie erneuerbare Energien oder sanften Tourismus in der Landwirtschaft.
Wir wissen: Der Weg vor uns ist weit, und er wird wohl nie zu Ende sein. Aber wir sind dankbar, dass wir ihn gehen dürfen. 
 

Anton Küchler-Pey (33) lebt mit seiner Frau, zwei kleinen Kindern und fünf Mitbewohnern seit 2005 auf dem Balmeggberg im Emmental. Er führt das »Büro Weichen stellen« für Nachhaltigkeit und Regionalentwicklung in Trubschachen.

Das Projekt im Netz
www.balmeggberg.ch

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