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Schubumkehr (Buchbesprechung)

von Julia Fuchte, erschienen in Ausgabe #31/2015
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Die meisten Menschen verändern erwiesenermaßen ihr Handeln nur dann, wenn sie ein optimistisches ­Zukunftsbild vor Augen haben. Was liegt da – angesichts der Tatsache, dass heute so gut wie alle industriell gefertigten Produkte direkt oder indirekt vom zur Neige gehenden Erdöl abhängen – näher, als ein durchweg optimistisches Szenario einer »solaren« Zukunft zu publizieren?
Dies versucht Stephan Rammler in »Schubumkehr«, dem neusten Buch der Reihe »Entwürfe für eine Welt mit Zukunft« aus dem S. Fischer Verlag, indem er ein Panorama der Mobilität in dreißig Jahren entwirft. Zunächst klärt er über die Geschichte der Mobilität und ihre Herausforderungen auf. Erschreckend: In möglicherweise fünf Jahren haben wir weltweit das Fördermaximum von Erdgas und Kohle erreicht (Studie der Energy Watch Group, 2013).
Daraufhin skizzieren uns Reiseberichte eines fiktiven Zukunftsbürgers sowie die Enzyklopädie »Futurpedia« eine Gesellschaft auf neuem zivilisatorischem Niveau: Die Jahrhunderte der ölbasierten Industrialisierung, in denen sich die Gesellschaft entscheidend weiterentwickelte, haben den Weg freigemacht für ein neues Zeitalter der solaren Energie, der geteilten Mobilität, der Brennstoffzelle. Viele der Visionen haben Charme: Der stillgelegte Berliner Flughafen BER wird zum Forschungszentrum für die boomende Luftschifffahrt. Am Tempelhofer Flugfeld starten sie »wie eine Armada silbergrauer Wale«. Man streicht Wände mit Solarzellen-Farben, transportiert Kinder in rollenden »LogBalls«, die Logistik wickeln IT-gesteuerte Flöße ab. Dank des Internets, das bei allen Innovationen eine Schlüsselrolle spielt, ist man mit diversen, energieeffizient kombinierten Verkehrsmitteln unterwegs. Die Mobilität: erneuerbar, gemeinschaftlich geteilt, sicher, resilient und größtenteils fokussiert auf technische Innovationen, bei denen man sich fragen kann, ob man für sie nicht weiterhin (bald nicht mehr vorhandene?) fossile Ressourcen aus dem Boden holen muss. Die Vision, so dezentral, nachhaltig und entschleunigt sie streckenweise daherkommt, bricht im übrigen nicht mit dem impliziten politischen Dogma des unbegrenzten wirtschaftlichen Wachstums der Industriegesellschaft. Dementsprechend bleibt ein Beigeschmack, wenn die inspirierenden Ideen durch die Mangel von Schlagworten wie »gigantischer Markt« und »volkswirtschaftliche Risikominimierungsstrategie« gedreht werden.
Insgesamt liest sich das Buch weniger als atmosphärischer denn als sachlicher Reisebericht, fundiert und ausführlich. In jedem Fall kommen die Ideen zur rechten Zeit – einer Zeit, in der Politik und Zivilgesellschaft noch überwiegend auf den Status quo fixiert sind, statt ihre Energien bereits in konkrete Alternativ-Konzepte zu stecken. ◆ ­
 

Schubumkehr
Die Zukunft der Mobilität.
Stephan Rammler
Fischer, 2014, 336 Seiten
12,99 Euro

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