Buchtipps

Der Niemandsgarten (Buchbesprechung)

von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #1/2010
Photo

Manche Schriftsteller lassen uns fragen, womit sie die Welt noch beschenkt hätten, wären sie nicht vorzeitig aus dem Leben geschieden. Wer dieser Frage im Fall Michael Endes, der im November achtzig geworden wäre, nachgehen möchte, kann in dem Band »Der Niemandsgarten« neue Facetten dieses so visionären wie missverstandenen Autors entdecken. Obwohl sein Werk immer noch ganze Lesergenerationen in aller Welt begeistert, schlug seiner scheinbar unpolitischen Erzählkunst hierzulande auch Unverständnis entgegen. Anders in Japan, wo Ende als moralische Instanz gilt. Zwar ging er Zeit seines Lebens gegen die fortschreitende »Innenweltverwüstung« an und ermutigte zum Bepflanzen der inneren Gärten, doch wer ihm Beschönigung, Naivität oder Weltflucht vorwarf, verwechselte Endes Suche nach dem Schönen mit Schönfärberei, übersah, dass er stets auch das Dunkle und Abgründige der menschlichen Existenz erkundete, und ignorierte sein Engagement im Hier und Jetzt, etwa in Geld- und Wirtschaftsfragen. Nicht zuletzt deshalb ist es dem Piper Verlag hoch anzurechnen, dass er Endes literarischen Nachlass nun erstmals als Taschen­buch veröffentlicht. Es bleibt zu hoffen, dass auch »Michael Endes Zettelkasten«, ein kurz vor seinem Tod erschienener Werkstattbericht, neu aufgelegt wird.
Neben dem titelgebenden Romanfragment, eine zauberhafte Vorstudie zur »Unendlichen Geschichte«, enthält der Band einen reichen Fundus an Notizen, Skizzen und Briefen, in denen mal heiter, mal nachdenklich stimmende Erzählfäden aufscheinen, die Ende angesponnen, aber nicht weiterverfolgt hatte. Manches Unfertige mag er bewusst verworfen haben. Doch gerade die ungeschliffenen Passagen lassen erhellende Rückschlüsse auf Endes Arbeitsweise zu. Einen Schlüssel zu seinem Werk liefert das Buch jedoch nicht. Stattdessen eröffnet es zahlreiche Fenster, Gucklöcher und Mauerritzen, die Einblicke in Endes Schreibwerkstatt erlauben und die weniger bekannten Seiten seines Schaffens beleuchten. Sie wäre wohl auch müßig, die Suche nach dem einen Schlüssel. Zu vielseitig und undoktrinär ist sein Werk, als dass es sich durch nur eine Deutung erschließen ließe. Wie Ende kurz vor seinem Tod bekannte: »Ich habe kein philosophisches System, das mir auf jede Frage eine Antwort bereithält, keine Weltanschauung, die fertig ist – ich bin immer unterwegs.« Wohin ihn sein Unterwegssein gerade führen mag – in die verschlungenen Tiefen des Niemandsgartens, ins Getümmel der Stadt Krempel Rümpel oder in eine der anderen phantastischen Welten, zu denen ihm seine Vorstellungskraft bereits zu Lebzeiten Zugang gewährte – er möge eine behütete Reise haben.


Der Niemandsgarten
Michael Ende
Piper, 2009, 328 Seiten
ISBN 978-3492257176
8,95 Euro

Weiterlesen: Michael Ende: Der Spiegel im Spiegel • Jorge Luis Borges: Die Bibliothek von Babel • Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen

weitere Artikel aus Ausgabe #1

Photo
Gemeingütervon Achim Lerch

So funktioniert Gemeineigentum

Allmende – heißt das nicht »alle dürfen alles nehmen«? So lange, bis alles leer ist? Wurde nicht wissenschaftlich erwiesen, dass Allmenden früher oder später der Übernutzung, der »Tragik der Allmende« anheimfallen? Mit diesen Fehleinschätzungen, die fest in den Köpfen verankert sind, räumen die Forschungen von Elinor Ostrom auf. Die Politikwissenschaftlerin erhielt den Wirtschaftsnobelpreis für ihre Untersuchung erfolgreicher Gemeingüter-Strukturen, die unser Verständnis von Zusammenarbeit und lebensförderndem Wirtschaften revolutionieren könnten.

Gemeingütervon Andreas Weber

Es gibt keine Trennung

Das Streben nach Freiheit scheint die einzige Maxime der Menschen zu sein, nichts darf die Freiheit in Frage stellen. Der Philosoph und Biologe Andreas Weber zeigt, dass Freiheit von kurzer Dauer ist, wenn sie nicht der Verbundenheit mit dem mehr-als-menschlichen Leben entspringt. Die Idee der Gemeingüter, ein von allen geteiltes Leben, fordert uns heraus, das Paradox von Freiheit und Verbundenheit zu integrieren.

Regional- & Stadtentwicklungvon Kosha Anja Joubert

Wälder der Frauen

Weltweit gibt es zahlreiche Bewegungen indigener Völker, die darum kämpfen, von dem Land, das ihre Vorfahren jahrhundertelang ernährt hat, auch heute leben zu dürfen. Stellvertretend stellen wir hier die Nari-Samaj-Bewegung aus dem indischen Bundesstaat Orissa vor, in der rund 260 000 Frauen engagiert sind.

Ausgabe #1
Wovon wir alle leben

Cover OYA-Ausgabe 1Neuigkeiten aus der Redaktion