Eine Andere Welt
Das Gelände eines ehemaligen Telekommunikationszentrums der DDR in Strausberg verwandelt sich in ein Gemeingut.
In der ehemaligen gotischen Kirche standen 23 Tische aus Sperrholzplatten bereit, darauf Wasserflaschen, Pappbecher, Stifte und Aufnahmegeräte. Jeden Tisch hüteten ein oder zwei Mitglieder lokaler Initiativen, darunter die Migrationsgruppe No Lager, der Umsonstladen Mimmis Tauschrausch und die Slow-Food-Initiative. Eingeladen hatte sie Susanne Bosch, Initiatorin der Aktion »Dies ist Morgen«.
Drei Stunden lang begegneten sie in »Herzensgesprächen« – wie es Susanne Bosch nennt – alle 30 Minuten einem anderen Osnabrücker Bürger. Sie hörten einander zu und sprachen über die Regionalwährung »friedensthaler«, den Bürgerbus, die Stromgenossenschaft, das bedingungslose Grundeinkommen oder Upcycling. In den Kreuzgang der Basilika wurden jeweils zwei Gespräche per Lautsprecher übertragen, denn an den Tischen war nicht genug Platz für die 312 Menschen, die dabeisein wollten. Julia Draganovic, Direktorin der Osnabrücker Kunsthalle, begrüßte jede und jeden per Handschlag. »Es kam nicht das übliche Kunstpublikum. Viele habe ich zuvor noch nie bei uns gesehen«, sagt sie.
»Was die Initiativen tun, ist per se hoch künstlerisch«, meint Susanne Bosch. »Sie gehen aus einer Idee in die Tat. Dieser Schritt heißt oft, selbstbeauftragt völliges Neuland zu betreten.« Susanne Bosch hatte sich die Zeit genommen, jedes Projekt vorher zu besuchen. Sie war auf der Suche nach Menschen, die offenen Herzens in den Dialog gehen würden. Das sei »ein wunderbar anregendes Gespräch an meinem Küchentisch« gewesen, erinnert sich Doris Kube vom Osnabrücker Friedensgarten. Was dann in der zur Kunsthalle umgebauten Kirche geschah, war etwas anderes als ein bloßes Vernetzungstreffen. »Die Akustik im Kirchenschiff war besonders – wie ein summender Bienenschwarm. Sie unterstützte das Gefühl, Teil von einem größeren Ganzen zu sein«, sagt Doris Kube. »Durch den Bezug zur Kunst bekamen die Projekte eine besondere Wertschätzung.« Der Internetblog, der »Dies ist Morgen« in Bild, Text und Audio dokumentiert und von der österreichischen Initiativenlandkarte des Vereins Wandeltreppe sowie der Liechtensteiner Zukunftswerkstatt inspiriert ist, hat eine Schulklasse schon dazu angestiftet, ein eigenes Repaircafé ins Leben zu rufen. Die Seite »wird extrem gut besucht«, freut sich Susanne Bosch.
Die Künstlerin, die an der Universität von Ulster im nordirischen Belfast lehrte und dort zu partizipativer Kunst im öffentlichen Raum promovierte, besucht seit 2009 zukunftsfähige Lebens- und Arbeitsmodelle in aller Welt. Ihr Projekt »Dies ist Morgen« war Teil der Ausstellung »Was für ein Fest?«, zu der die Osnabrücker Kunsthalle im Februar und März sieben internationale Künstlerinnen und Künstler eingeladen hatte, den klassischen Publikumsbegriff zu hinterfragen und Zugänge zur Gemeinschaftsbildung zu schaffen. So initiierte ein Künstler einen Briefwechsel mit seinen Besuchern. Ein anderer lud die Bürger dazu ein, die erste Seite ihres Lieblingsbuchs vorzulesen. Die Resonanz war gemischt, gerade Susanne Boschs Aktion habe teilweise »Entrüstung« hervorgerufen, berichtet Direktorin Julia Draganovic. »Manche Besucher fühlten sich instrumentalisiert; einer fragte, ob man das nicht auch auf dem Arbeitsamt tun könne.«
»Was für ein Fest« wollte vor allem einen Freiraum des Denkens schaffen, betont Julia Draganovic. Susanne Bosch war wichtig, dass sich »Menschen unterschiedlicher Lebensstile zweckfrei begegnen können, um sich ohne Ideologie, Hierarchie oder vorbestimmte Absicht auszutauschen«.
Eine Kunsthalle oder ein Marktplatz – jeder Ort in der Stadt kann Begegnung mit diesen Qualitäten ermöglichen. Wichtig ist, dass jemand dazu einlädt. •
www.diesistmorgen.wordpress.com
Das Gelände eines ehemaligen Telekommunikationszentrums der DDR in Strausberg verwandelt sich in ein Gemeingut.
Jaana Prüss bringt als Kulturaktivistin Menschen zusammen und ermöglicht vielfältige künstlerische Projekte. Nach ihrem Studium der bildenden Künste engagierte sie sich als Mitbegründerin für den Aufbau einer Galerie für zeitgenössische chinesische Kunst. Doch Kunst nur zu verkaufen, war ihr zu wenig. Heute geht es ihr um interkulturelle Kommunikation, um die Pflege von Gemeingütern und um die soziale und ökologische Entwicklung urbaner Räume, in denen sich Menschen aller Herkünfte und Generationen begegnen können.
Almuth, du leitest die Schule für Sozialwesen im Anthroposophischen Zentrum Kassel und arbeitest mit engagierten, angehenden Pädagogen. Ich frage mich oft: Wie können Menschen, die sich für den gesellschaftlichen Wandel einsetzen, auf einer tiefen Ebene miteinander in