Titelthema

Eine Lobby für die Zukunft

Der Weltzukunftsrat will internationale Gesetzgebungen auf den richtigen Kurs bringenvon Stella Loewenberg, erschienen in Ausgabe #4/2010
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Vor fünf Jahren erschien ein kleinformatiges, sonnengelbes Büchlein, in dem auf hundertfünfzig Seiten ein großes Anliegen formuliert wurde: die Aufgaben des Weltzukunftsrats, dessen Gründung Jakob von Uexküll vehement vorantrieb. Bekannt war Uexküll bislang vor allem als Stifter des jährlich vergebenen Right Livelihood Award (im deutschen Sprachgebrauch »Alternativer Nobelpreis«) an Personen, Organisationen, sogar an Völker, die sich in Bereichen wie Ökologie, Menschenrechte, Abrüstung sowie soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit beispielhaft engagieren. Die mit diesem Preis ausgezeichneten Menschen erkennen Missstände und entwickeln Alternativen für ihre lokalen Probleme. Sie teilen ihr Wissen mit anderen und wirken somit weit über ihr Umfeld hinaus.
Wie lassen sich aber solcherart bewährte Lösungen international Politikern so nahebringen, dass sie Gehör und breite Umsetzung finden, damit daran weltweit partizipiert werden kann? Wer könnte in der Lage sein, diese Alternativen zu prüfen und sie in den entscheidenden politischen Gremien auf dem globalen Parkett so zu präsentieren, dass sie verstanden und angenommen werden? Wie also verbindet man »oben« mit »vorn«? Fragen wie diese brachten Uexküll dazu, noch mehr tun zu wollen, als Menschen auszuzeichnen.

»Älteste« und junge Pioniere
Zwei Jahre lang wurden Organisationen in zweihundert Ländern und zahlreiche Abgeordnete gebeten, Persönlichkeiten vorzuschlagen, die als Experten in einen zu gründenden Weltzukunftsrat berufen werden sollten. Gesucht wurden weltweit respektierte »Planetary Elders«, eine Art Ältestenrat des Planeten, und engagierte »Leaders of Tomorrow«, die »Leitfiguren von Morgen«, also »alte Hasen« und »junge Wilde«, Koryphäen wie Visionäre. Es sollten für möglichst alle wesentlichen Fachbereiche Repräsentanten gefunden, ein Gleichgewicht der Geschlechter geschaffen werden, und es sollte Ausgewogenheit bei der Zugehörigkeit zu bestehenden Organisationen und zu Nationen gegeben sein.
Im Mai 2006 wählte ein Komitee in Genf 22 Ratsmitglieder. Zu ihnen gehörten unter anderen die Amerikanerin Frances Moore-Lappé, Mitgründerin des Food-First-Instituts (siehe Interview Seite 46), oder Hafsat Abiola aus Nigeria, Volkswirtin und Initiatorin der Kudirat Initiative for Democ­racy. Zur feierlichen Gründung des Weltzukunftsrats im Mai 2007 waren bereits 50 Persönlichkeiten berufen, darunter der Mitbegründer des Weltsozialforums und Antikorruptions-Aktivist Francisco Whitaker Ferreira aus Brasilien und Pauline Tangiora, Maori-Friedensrichterin aus Neuseeland.

Politikberatung
Die Stadt Hamburg und der Unternehmer Michael Otto hatten die Gründung und Ansiedlung des Rats in der Hansestadt mit 4 Millionen Euro befördert. Mit dem Aufbau des Büros wurde die Organisation arbeitsfähig. Die Ratsmitglieder, deren Tätigkeit ehrenamtliches Engagement bedeutet, kommen zweimal jährlich zu Arbeitstreffen in Hamburg zusammen. Unterstützt werden sie von einem inzwischen beachtlichen Team – dazu zählen angestellte Mitarbeiter, Freiberufler und Praktikanten.
Was tut nun dieser Rat? Brauchen wir weitere Räte, das heißt Nichtregierungsorganisationen, die laut Artikel 71 der Charta der Vereinten Nationen ihren Konsultativstatus auf der politischen Weltbühne geltend machen, also beratend tätig sind? Inzwischen ist das Vertrauen in globale Organisationen von UNO bis IWF in der Zivilgesellschaft eher geschwunden.
Alexandra Wandel, Entwicklungsdirektorin und Mitglied des Vorstands im Weltzukunftsrat, ist überzeugt, dass gerade die Politikberatung das Feld ist, auf dem international geackert werden muss. Jede neue Regierung reibt sich auf im Spagat zwischen nationalen und internationalen Belangen. Sie muss Entscheidungen vorangegangener Amtsinhaber mittragen und ist oft durch eine mehr oder weniger starke Opposition in ihrem Agieren gebremst. Die Pro­ble­me aber prasseln heute atemberaubend schnell auf sie ein, und das Volk schaut verdrossen der Schlingerpartie zu. Dann ist es wichtig, dass nicht (nur) die Falschen als Berater auftauchen.

Die besten Gesetze weltweit verankern
In Anbetracht der Vordringlichkeit des Themas Klima und Energie, das alle Lebensbereiche betrifft, formierte sich die inhaltliche Arbeit des Weltzukunftsrats (»World Future Council« – WFC) zu fünf Kernblöcken: Erneuerbare Energien, stabile Ökosysteme, Frieden und Abrüstung, Zukunftsgerechtigkeit, nachhaltige Wirtschaft. Gerade wurde aktueller Bedarf aufgegriffen und eine Arbeitsgruppe zur Reform des Finanzsystems gebildet.
Mit den Ergebnissen seiner Arbeitsgruppen wendet sich der WFC an Entscheider oder Parlamentarier auf der mittleren Politik-Ebene, beispielsweise an Regierende oder Abgeordnete im Europaparlament, die für reformierende Gedanken offen sind. Ihnen will der WFC vermitteln, dass sich jede politische Entscheidung zuerst daran orientieren muss, die Lebensbedingungen kommender Generationen auf der Basis international anerkannter Grundwerte sicherzustellen.
Im Rahmen seines Projekts »Future Justice« (»Zukunftsgerechtigkeit«) formuliert der WFC konkrete Politikansätze. Er analysiert weltweit »Best Policies« und »Worst Policies«, also die idealen und die schlechtesten Gesetzgebungen. Ideal ist zum Beispiel das deutsche Energie-Einspeisegesetz. Oft ist es ein wichtiger Schritt, ein solches Gesetz in die Sprache des zu beratenden Landes zu übersetzen und Vorschläge für die Anpassung an die dortigen Gegebenheiten zu unterbreiten. Kann man all das bereits fertig formuliert präsentieren, ist eine wichtige Hürde genommen.
Die Mühle, durch die der WFC Gesetze auf der Suche nach den Best Policies schickt, sind die sieben Prinzipien zukunftsgerechter Politik, wie sie die nebenstehende Grafik zeigt. Wurde etwas Gutes gefunden, wird die Übertragbarkeit solcher Gesetze auf Regionen mit gleichgearteter Problematik geprüft. Dann ist Lobby-Arbeit der Ratsmitglieder gefordert. Es ist ein hartes Stück Arbeit, auch für Persönlichkeiten wie den Kernphysiker und Friedensaktivisten Hans-Peter Dürr oder die Direktorin für Zukunftsgerechtigkeit Maja Göpel, sich Handlungsspielraum und Gehör in einem Geflecht internationaler Gesetze, Auflagen und Abkommen zu verschaffen. Überforderung, Ohnmachtsgefühle und Ängste in Anbetracht der Aufgaben, sagt Maja Göpel, begegnen ihr bei ihren Gesprächspartnern in Brüssel, wo sie seit einem halben Jahr im WFC-Büro tätig ist. Oft sei es auch schockierend, wie wenig Wille zu fundamentaler Veränderung erkennbar sei. Die öffentliche Rolle zwingt den eben noch einsichtigen Menschen aus dem Korridor-Gespräch zurück in alte Phrasen auf dem Podium. Dort spricht er wieder nur undifferenziert über Wachstum. »Was soll wachsen?« – fragt Maja Göpel. Auch nicht-materielles Wachstum führt zu »Wellbeing« (Wohlbefinden), sagt sie und verweist auf den Bhutan Happiness Index. In Bhutan, wo die Vermehrung des Bruttonationalglücks Staatsziel ist, weiß die Politik, dass nur ein Zusammenspiel von materiellen, kulturellen und spirituellen Schritten zu einer ausgewogenen nachhaltigen Entwicklung führt.

Projekte und Erfolge
Zu den ersten Erfolgen der jungen Organisation gehört, dass der WFC durch empirische Erhebungen und die Vermittlung von Hintergrundwissen und Argumenten an britische Parlamentsabgeordnete dazu beigetragen hat, dass im April 2010 das erste britische Energie-Einspeisegesetz verabschiedet wurde. Auch an der Einführung von Energie-Einspeisegesetzen in Südafrika und, lokal begrenzt, in den USA war der WFC maßgeblich beteiligt. Ein WFC-Strategieworkshop in Addis Abeba gab 2009 die Initialzündung für die Gründung der »African Renewable Energy Alliance« (AREA) durch Regierungen, Energieversorger und andere Organisationen.
Letztes Jahr begründete der WFC eine neue Tradition, den internationalen »Future Policy Award«, der weltweit zukunftsgerechte Gesetze auszeichnet. Der vom Hamburger Designer Peter Schmidt als Glas-Skulptur gestaltete Preis ging 2009 an »das weltweit umfassendste Gesetz zur Abschaffung von Hunger«, wie es Laudator und Ratsmitglied Hans-Christof Graf von Sponeck nannte. Dieses kommunale Gesetz der brasilianischen Millionenstadt Belo Horizonte trug dazu bei, dass innerhalb von zehn Jahren die Kindersterblichkeit um 60 und die Unterernährung um 75 Prozent reduziert werden konnte. Zum Programm der praktischen Umsetzung gehörten kostenloses Schulessen, subventionierte Restaurants oder Förderung lokaler Nahrungsgüter-Produktion. Im Jahr kostete es nur etwa zwei Prozent des städtischen Haushalts. Der brasilianische Minister für soziale Entwicklung und Hungerbekämpfung Patrus Ananias hatte 1993 noch als Bürgermeister das Gesetz auf den Weg gebracht und nahm den Preis entgegen. In diesem Jahr wird der Future Policy Award Gesetze zur Erhaltung der Artenvielfalt während der 10. Konferenz der Vertragsstaaten der Konvention zur Artenvielfalt in Japan auszeichnen.
Oben auf der Liste des WFC steht gegenwärtig der Arbeitsschwerpunkt erneuerbare Energien in Städten. Urbane Zukunft wird als Thema immer wichtiger, da bereits heute mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt. In Kooperation mit der Hafen City Universität Hamburg erarbeitet der WFC Leitlinien zum Prinzip »Regenerative Stadt«. Damit will er Hamburg direkt beraten und auch auf die in der »Leipzig Charta« als EU-Konsens verabschiedete nationale Stadtentwicklung einwirken.
Besonders wichtig sind dem WFC Jugendkongresse, die oft als Begleitveranstaltungen die Jahrestreffen flankieren, damit Kinder und Jugendliche mit dem Rat in direkten Dialog treten und sich einbringen können.

Sinn für das Ganze
Freilich gibt es auch beim WFC wie bei jeder Geburt großer Organisationen Konflikte. Berufene Ratsmitglieder sind wieder zurückgetreten, teils weil Zeitkontingente zu knapp waren oder weil die Ausrichtung nicht die gewünschte Übereinstimmung hatte. Aktuell sind 38 Mitglieder tätig. »Wir wollen der Wächter sein, der Alarm schlägt, wenn durch politische Rahmenbedingungen Verbrechen gegen künftige Generationen begangen werden«, sagt Maja Göpel. »Wir fordern dafür einen eigenen Straftatbestand, der vor dem internationalen Gerichtshof Anerkennung findet. Solche Tatbestände wären etwa, unverpackten Atommüll in einen Salzstock einzulagern, oder durch rücksichtslose Fischerei die Nahrungsketten zu zerstören.«
Manchmal geht es aber schlicht darum, konventionelle Veranstaltungen mit Sekt und Häppchen über die Bühne zu bringen, damit das Publikum, wenn schon der Inhalt neu ist, wenigstens bei der Verpackung Halt findet. Alles ganz normal …
Dass eine Organisation wie der Weltzukunftsrat außerhalb politischer Gremien und großer NGOs noch kaum bekannt ist, verwundert. Vermutlich liegt es daran, dass er öffentlich kaum für sich Werbung macht. »Das ist mit den vorhandenen Mitteln und Personalkapazitäten gar nicht zu leisten«, schüttelt Alexandra Wandel den Kopf. Es ist auch nicht einfach, bei dieser anspruchsvollen Arbeit viele freiwillige Helfer einzubeziehen, also bleibt man eher im Hintergrund.
Gerade steht das Hamburger Büro vor seinem Umzug und tauscht seine ehrwürdige Adresse mit Blick über den Hafen am Rand der Speicherstadt gegen ein Domizil in der eher herben City Nord, wo ein Sponsor Räume zur Verfügung stellt. Meistens folgt Geld Ideen – hier folgt die Idee dem Geld. Es spricht für sich, dass der WFC keine Luxusbüros beansprucht, sondern das maximale Budget in die Kernthemen steckt. Der Rat steht für eine neue Form der Politik, die ohne Ämter, Diäten und Verbalschlachten auskommt und schlicht das Nötige tut: sich den Herausforderungen mit Kompetenz, mit Sinn für das Ganze und im Bewusstsein langfristiger Wirkungen zu stellen. 



Der Weltzukunftsrat im Internet
www.worldfuturecouncil.org

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