von Sabrina Schulz, erschienen in Ausgabe #10/2011
Pilotenschein für das Raumschiff Erde: Der Mensch sitzt längst am Steuerknüppel. Nur drückt er meist die falschen Knöpfe. Das ist, knapp umrissen, die Diagnose, die den Biologen und Wissenschaftsjournalisten Christian Schwägerl dazu bewog, ein Buch zu schreiben. »Menschenzeit. Zerstören oder gestalten? Die entscheidende Epoche unseres Planeten« basiert wesentlich auf den Thesen Paul Crutzens. Der Meteorologe und Chemie-Nobelpreisträger hält die Anerkennung einer neuen Epoche, des Anthropozäns, in der geologischen Zeitrechnung für überfällig. Schwägerl stimmt in das Ausrufen der Menschenzeit ein. Er hält die anthropogene Umgestaltung der Erde für ebenso radikal wie den Einfluss der Blaualgen vor vielen Millionen Jahren, als diese die Erdatmosphäre mit Sauerstoff anreicherten. Von derart vorbildlichen Verbesserungen der Lebensbedingungen sei das Menschenwerk allerdings weit entfernt: »Der Mensch mag bereits fähig sein, in geologischen Zeiträumen zu handeln. Er ist aber noch nicht in der Lage, in geologischen Zeiträumen zu denken und zu planen.« So entlarvt Schwägerl mit einer sehr gut recherchierten Zustandsanalyse, dass der heutige Lebensstandard auf einem »Mount Everest an faulen Krediten« bei der »ultimativen Bank« – der Natur – gründet. Dabei versteht es Schwägerl, selbst zu bekannten Themen wie der Überfischung der Meere oder dem Klimawandel interessante Fakten und Verknüpfungen zu präsentieren. Vergleiche und Bilder lassen abstrakte Zusammenhänge wie den »globalisierten Körper« plastisch werden: »Der Fettansatz an seinem Bauch hat indonesischen Ursprung, aus den Palmölplantagen, die sich in die Wälder Borneos und Sumatras fressen.« Manchmal werden derartige Metaphern überstrapaziert, das Buch ist durch den enthusiastischen Schreibstil aber auch recht kurzweilig zu lesen. Weniger leicht lässt sich darüber hinwegsehen, dass sich Schwägerl bei der Entwicklung von Lösungsstrategien von einem starken Glauben an die Vernunft des Individuums und an die Wissenschaften leiten lässt. Wie ein roter Faden zieht sich der Appell durchs Buch, der Mensch möge »zum Hüter der Erde reifen«, den »Einklang von Wissen und Handeln« erreichen und die Errungenschaften der Wissenschaft – einschließlich der Gentechnik – endlich in den Dienst einer verantwortungsvollen Weltbeherrschung stellen. So hinterlässt Schwägerls Entwurf eines Biofuturismus neben vielen Denkanstößen auch den Eindruck, dass hier einige problematische Herrschafts- und Denkmuster in neue Gewänder gekleidet wurden, anstatt nach wirklichen Alternativen zu suchen.
Menschenzeit Zerstören oder gestalten? Die entscheidende Epoche unseres Planeten. Christian Schwägerl Riemann-Verlag, 2010, 320 Seiten ISBN 978-3570501184 19,95 EUR