Die zweite Gartensaison beginnt im August
Gewächshäuser werden oft mit Tomaten- oder Gurkenanbau gleichgesetzt. Ihr großes Potenzial, die lokale Gemüsesaison in den Winter hinein zu verlängern, wird allgemein unterschätzt.
Ende 2014 durfte ich einen Permakultur-Einführungskurs im anthroposophischen Zentrum im hessischen Bingenheim geben. Das Besondere daran war, dass er für und von den Auszubildenden der »Freien Ausbildung« der Demeter-Landwirte veranstaltet wurde. Bei dem Kurs waren stets mehr Menschen anwesend, als auf der Teilnehmerliste standen.
Als Quereinsteiger hatte ich in den Jahren zuvor auf dem nahegelegenen Dottenfelder-hof an einer theorielastigen Ausbildung zur »Fachkraft für biologisch-dynamische Landwirtschaft«, die zur Vertiefung der freien Ausbildung gedacht ist, teilgenommen und dabei selbst viel von meinen Mitschülerinnen und Mitschülern gelernt. Die Auszubildenden dort standen mitten in der Praxis und waren bereit, die üblichen Methoden kritisch zu hinterfragen – denn ohne fossile Brennstoffe zum Beispiel funktioniert auch in der modernen ökologischen Landwirtschaft so gut wie nichts.
Ich fand es zu dieser Zeit faszinierend, auf dem Dottenfelderhof gemeinsam die grundlegenden Texte zu lesen, aus denen die anthroposophische Landwirtschaft entwickelt wurde. Die Marke bzw. der Verband »Demeter« und die biologisch-dynamische Landwirtschaft gehen auf den Philosophen Rudolf Steiner zurück. Er war in den 1920er Jahren von Bauern gebeten worden, Hilfestellungen in der Landwirtschaft zu geben. Steiner stammte aus einfachen Verhältnissen und kannte daher das Landvolk; zugleich hielt er Vorträge vor adeligem, reichem und gebildetem Publikum.
Die Landwirtschaft befand sich damals im Umbruch. Als die Feldfrüchte im Zug der aufkommenden Kunstdüngung und des Einsatzes der ersten synthetischen Pestizide zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer weniger Widerstandskraft gegenüber Krankheiten zeigten und zudem an Geschmack verloren, suchten die Bauern nach Alternativen. Die aus Amerika eingeschleppte Reblaus hatte gerade sämtliche Weinreben Europas vernichtet. Hatte das etwa geschehen können, weil die Winzer zu den ersten gehört hatten, die alles umsetzten, was die moderne Landwirtschaft anbot? Ein Zusammenhang zwischen Reblausbefall und der agrochemischen Wirtschaftsweise wurde nie erforscht.
Zwei ganzheitliche Ansätze
Steiner war einer der Pioniere, die sich als erste öffentlich für eine biologische und vielfältige Landbewirtschaftung aussprachen. Er beschrieb die Herstellung verschiedener Präparate für Anwendungen bei Kulturpflanzen und Kompost sowie zur Bodenverbesserung. Grundlegend ist zudem der Gedanke eines »geschlossenen Hoforga-nismus«. Damit ist gemeint, dass Futtermittel und Dung dem landwirtschaftlichen Betrieb weder zu- noch abgeführt werden. Die einzelnen »Organe« eines Hofs sollen sich zu einer Art lebendigem Organismus zusammenfügen. Es geht um einen ganzheitlichen Ansatz, denn, so Steiner: »In der Natur hängt doch alles, alles zusammen.«
Der »Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise« erwuchs aus den Anregungen Steiners, die er 1924 in seinem »Landwirtschaftlichen Kurs« gegeben hatte. Jenes Jahr wird als Gründungsdatum des Demeter-Verbands angesehen; den ersten Betrieb, der nach den Verbandsrichtlinien arbeitete – Hof Marienhöhe östlich von Berlin – gibt es seit 1928.
Steiner hielt seine Vorträge vor 91 Jahren – damals war der in der Permakulturszene gern zitierte japanische Bauernsohn und Mikrobiologe Masanobu Fukuoka gerade elf Jahre alt und Permakultur-Begründer Bill Mollison war noch nicht geboren.
Der »Bioland«-Verband formierte sich erst einige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg. Die dort praktizierte sogenannte biologisch-organische Wirtschaftsweise beinhaltete ursprünglich ebenfalls die Idee des geschlossenen Betriebskreislaufs. Die Bioland-Gründer wollten sich von den anthroposophischen Ansätzen – speziell von den als obskur empfundenen Präparaten sowie von der kombinierten Praxis von Ackerbau und Viehzucht – distanzieren und legten ihr Augenmerk auf das, was sie physisch begreifen und beobachten konnten.
Mit nicht mehr als acht handschriftlich festgehaltenen und überlieferten Vorträgen legte Rudolf Steiner die Grundlage für die biologisch-dynamische Bewegung weltweit. Er benutzte dabei eine heute ungewöhnlich klingende Sprache und redete über Dinge, über die wir heute kaum sprechen und für die wir noch keine treffenderen Worte gefunden haben: »das Lebendige«, »die Naturgewalten«, »der Raum in der Zeit«, »alles und nichts«. Es geht bei ihm oft um das, was wir eher »fühlen« und »schlussfolgern« als »begreifen« können.
Woher kommt die »Anleitung«?
Der siebte von Steiners Vorträgen trägt den Titel »Die naturintimen Wechselwirkungen: Das Verhältnis von Feldwirtschaft, Obstwirtschaft und Viehzucht«. Dieser Text liest sich tatsächlich wie ein Abenteuerroman mit bildhafter Sprache, fast wie ein Märchen.
Rudolf Steiner kam in seinen Vorträgen nicht dazu, auf alles einzugehen, worüber er hätte sprechen können oder wollen. Er stellte in Aussicht, wenn man das von ihm Angeregte weiter spezialisiere, so komme man »noch auf andere Dinge, die durchaus einmal gefühlsmäßig ganz richtig angewendet worden« seien. Unsere Kulturlandschaft sei von Menschen angelegt worden, die »aus dem Gefühl heraus die Dinge so zu behandeln [wussten], wie wir sie wieder bewusst behandeln müssen«. Wenn wir es schafften, zu einer nachhaltigen Kulturlandschaft zurückzufinden und zu verstehen, warum unsere Ahnen die Landschaft auf bestimmte Art gestalteten, so dass jeder »die Erkenntnis dieser Dinge wirklich überall einführt, dass man sie überall drinnen sieht, […] dann wird man angeleitet«. Dieses Zitat finde ich spannend: Von wem oder was werden wir denn dann angeleitet?
Heute lautet ein Slogan »Permakultur – ein Tanz mit der Natur, bei dem die Natur führt«. Reicht es aus, wenn wir uns an der Natur – das heißt an Lebewesen und Vorgängen, die von der menschlichen Kultur möglichst wenig beeinflusst sind – orientieren und uns von ihnen anleiten lassen, indem wir uns in sie hineinversetzen?
Frühe Worte gegen die Maximierungslogik
Steiner sagte weiter: »In der richtigen Verteilung von Wald, Obstanlagen, Strauchwerk, Auen mit einer gewissen natürlichen Pilzkultur liegt so sehr das Wesen einer günstigen Landwirtschaft, dass man wirklich mehr erreicht für die Landwirtschaft, wenn man sogar die nutzbaren Flächen des landwirtschaftlichen Bodens etwas verringern müsste. Jedenfalls übt man keine ökonomische Wirtschaft aus, wenn man die Fläche des Erdbodens so weit ausnutzt, dass alles das hinschwindet, wovon ich gesprochen habe, und man darauf spekuliert, dass man dadurch mehr anbauen kann. Das, was man da mehr anbauen kann, wird eben in einem höheren Grade schlechter als dasjenige beträgt, was man durch die Vergrößerung der Flächen auf Kosten der anderen Dinge erreichen kann. Man kann eigentlich in einem Betriebe, der so stark ein Naturbetrieb ist wie der landwirtschaftliche, gar nicht darinnen stehen, ohne in dieser Weise Einsichten zu haben in den Zusammenhang des Naturbetriebs, die Wechselwirkung des Naturbetriebs.«
Genau das ist der Ansatz der Permakultur: Wir schauen, von wo die Winde mit den verschiedenen Eigenschaften kommen, wie wir das Wasser auf einer Fläche günstig verteilen, lenken und zurückhalten oder ableiten. Wir berücksichtigen die Himmelsrichtungen, weil wir ein wenig verstanden haben, wie sich die Ausrichtung zu den Gestirnen auf die Kulturen auswirkt. Wir »beobachten und interagieren«, wir »denken und reflektieren«.
Von den Teilnehmern der Tagung in Bingenheim war ich positiv überrascht. Sie hatten sehr viel über Permakultur gelesen, konnten mitdenken – und sie versuchten, die Anregungen vor ihrem geistigen Auge auf ihren eigenen Betrieb zu projizieren. Ihnen fehlten lediglich praktische Erfahrungswerte – etwa welche Pflanzen das Licht in einer Sonnenfalle am besten reflektieren und wie groß dieser Effekt zu bemessen ist – sowie klare Richtlinien und Methoden, die sie bei der täglichen Arbeit umsetzen konnten.
Bei der Tagung kamen viele Fragen auf: Wie bekommen wir Stickstoff in den Boden? Wie wirkt sich ein Gewässer auf das Klima aus, so dass es im Obstbau genutzt werden kann? Gibt es Maschinen, die bei der Mischaussaat von Gemüse genutzt werden können?
Ein charakteristisches Element in der biologischen Landwirtschaft ist der Acker, der nicht nur zum Anbau von Getreide dient. Im Öko-Landbau werden dort zum Teil auch Gemüse sowie Futter für die Tiere angebaut. Eine gesunde Fruchtfolge beinhaltet neben einem Gemenge aus Schmetterlingsblütlern und Gras auch Getreide (dieses zählt gleichfalls zu den Gräsern) sowie Hackfrüchte wie Gemüse oder andere Spezialkulturen, beispielsweise Kartoffeln, Buchweizen oder Leindotter.
Wie sähe ein Acker nach dem Vorbild der Natur aus?
Masanobu Fukuoka entwickelte eine Methode des »Ackerbaus« für Japan, die in der Permakulturszene sehr geschätzt wird und die in Bill Mollisons Buch »Permakultur II« beschrieben wird. Fukuoka nannte sie die »Nicht(s)-tun-Landwirtschaft«. In seinem Buch »Der große Weg hat kein Tor« erzählt er, dass der Getreideertrag auf einem Feld mit »Schädling« höher war als der auf einer Vergleichsparzelle, wo ein Insektizid diesen Schädling vernichtet hatte. Fukuoka erkannte, dass es weiser war, mit der Natur zu arbeiten – auch wenn der Intellekt das zunächst nicht begreifen kann. Später stellte er fest, dass der Schädling nur die schwachen Pflanzen angreift und daher die starken Pflanzen mehr Platz zur Entwicklung erhalten.
Fukuokas Methode des Getreideanbaus wurde von Marc Bonfils auf Mitteleuropa übertragen. Leider habe ich noch keinen Bauern gefunden, der diese Methode mit der konventionellen Landwirtschaft vergleicht und seine Erfahrungen so dokumentiert, dass eine klare Aussage für hiesige Verhältnisse getroffen werden könnte.
Auch Wiesen kennen Fruchtfolgen
Im Öko-Landbau wird auf dem Acker in der Regel mit großen Maschinen, in Fruchtfolge, mit Bodenbearbeitung und in Monokultur gearbeitet. Das alles gibt es in der Natur nicht. Bietet die Permakultur Alternativen? Ist es die Fettwiese, an der wir uns in der Natur orientieren können, in die wir uns »hineinversetzen« können? Auf einer Fettwiese gibt es eine Vergesellschaftung von sehr vielen verschiedenen Pflanzen. Unter ihnen leben stickstoffbindende Schmetterlingsblütler neben Gräsern und vielen anderen Pflanzen unterschiedlicher Familien. Nicht jedes Jahr wächst die gleiche Pflanze am gleichen Platz. Wenn wir jedoch die gesamte Fläche betrachten, kommen immer wieder annähernd die gleichen Pflanzen zutage. Also ist auf der Fettwiese eine Fruchtfolge der dort zu findenden Pflanzen übereinandergelegt und findet zur gleichen Zeit, auf der gleichen Fläche statt. Gibt es auch Kulturpflanzen, die so zusammenpassen, dass wir eine ähnliche permanente Bedeckung des Bodens erreichen? Lässt sich diese ohne Bodenbearbeitung und gleichzeitig – ob mit oder ohne Beweidung – realisieren, ohne fossile Brennstoffe zu benutzen? Lassen sich dabei gute Erträge mit wenig Arbeitsaufwand erzielen? Können wir die Methode von Marc Bonfils – die darin besteht, Weißklee und Roggen bzw. Weizen zu kombinieren – um die Kulturpflanze Leindotter ergänzen, so wie es der oberbayerische Bioland-Bauer Sepp Braun in seiner siebenteiligen Fruchtfolge praktiziert? So ließe sich nebenbei hochwertiges und sehr gesundes Leinöl auf Getreidefeldern gewinnen. Zudem käme der Weißklee auf den Äckern unserer Kulturlandschaft den Bienen, die heute auf diesen Flächen verhungern, wegen seiner langen Blütezeit bedeutend entgegen.
Der Einführungskurs in Bingenheim war für mich eine bewegende Begegnung. Dort wurden noch viele weitere Fragen, auf die hier nicht mehr eingegangen werden kann, aufgeworfen. Ich würde mich freuen, wenn die Zukunft noch viel Raum bietet würde, um Brücken zwischen biologisch-dynamisch und permakulturell arbeitenden Menschen zu bauen und zu festigen! •
Johannes Sehl (32) ist Landschaftsgärtner und -architekt. Er studiert Permakultur und absolvierte die Ausbildung zur Fachkraft für biologisch-dynamischen Landbau am Dottenfelderhof. johannes.sehl@gmx.de
Demeter-Landbau lebt – zum Beispiel hier
www.dottenfelderhof.de
Gewächshäuser werden oft mit Tomaten- oder Gurkenanbau gleichgesetzt. Ihr großes Potenzial, die lokale Gemüsesaison in den Winter hinein zu verlängern, wird allgemein unterschätzt.
Im »Westerwälder Initiativen- und Betriebe-Netz« (WIBeN) arbeiten etwa 90 Selbständige und Kleinunternehmen aus Handwerk und Handel, Medien und Beratung, Gesundheit und Bildung zusammen. Die Ursprünge von WIBeN liegen in den 1980er-Jahren. Eine Gruppe engagierter junger
»Einfach. Natürlich. Leben. Lebensreform in Brandenburg 1890–1939« ist das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung in Potsdam. Es ist anschaulich geschrieben und zeigt soziale Bewegungen einer Zeit, die unter vielen Aspekten anders als die heutige, aber an manchen Punkten