Der Philosophin Barbara Muraca ist mit ihrem Buch »Gut leben« ein präziser Kompass der Wachstumswende gelungen. Sie beschreibt die Geschichte und die Inspirationsquellen der Debatte um eine Gesellschaft jenseits des Wachstums und benennt Protagonisten sowie Grundpfeiler wie Kooperation, Umverteilung, Solidarität, Autonomie und Demokratie. Und sie erzählt vom Mut dieser Vision in einer Welt, in der noch immer viele das Wachstumsmantra singen. All das tut sie wissenschaftlich fundiert und prägnant. Die langjährige Expertin der Nachhaltigkeits-theorie spielt ihren Erfahrungsschatz bereichernd und klärend in die neue Auseinandersetzung mit dem Wachstumsthema ein. Barbara Muraca zufolge liegt eine der größten Tücken des Nachhaltigkeitsdiskurses darin, dass seine Verfechter sich nicht vom unbegrenzten Glauben an das Wirtschaftswachstum verabschieden konnten. Letztlich sei nur ein »pragmatischer, aber sehr begrenzter Kompromiss« dabei herausgekommen – eine Sackgasse. Die Autorin weiß, wie wichtig der Blick auf die Risiken und Nebenwirkungen ist, wenn eine »konkrete Utopie« – wie sie die Postwachstumsidee bezeichnet – real werden und nicht zum Scheitern verurteilt sein soll, im Unterschied zum Schicksal vieler vorheriger Utopien: Könnte der Wunsch nach einer Relokalisierung des Wirtschaftens in einen radikalen Lokalpatriotismus abdriften? Warum sollte die Umverteilung von Arbeit gerade jetzt funktionieren, wo es doch die Gewerkschaften schon seit Jahrzehnten versuchen? Schreiben wir am Ende etwa Glücksgesetze? Muraca wägt bedacht ab, ohne vorschnell Schlüsse zu ziehen oder Pauschalurteile zu fällen, und lässt die Forschung vieler Kollegen etwa über Commons oder Gender einfließen. Ihre selbstkritische Reflexion – sie ist ja selbst Teil der Bewegung – bereichert die Diskussion zu einem Zeitpunkt, wo diese nicht mehr in den Startlöchern steht und wo offenbar wird, dass der Weg zu einer Postwachstumsgesellschaft nicht ungefährlich ist. Die Autorin markiert Pfade und Richtungen der Debatte. Wo dies notwendig erscheint, redet sie auch Tacheles, etwa weil rechtskonservative Stimmen drohen, der Idee eine bedrohliche Schlagseite zu verpassen. In ihrem eigenen Verständnis vom »guten Leben« macht die Netzwerkerin Gerechtigkeit zum leitenden Prinzip einer Postwachstumsgesellschaft. Wo Beziehungen zwischen Stadt und Land oder zur Arbeit umgewälzt werden, ist auch ein Dialog- und Experimentierfeld, das sich dem Gerechtigkeitsverständnis nach einer Wachstumswende widmet, nötig. Barbara Muracas Stärke ist ihre Beobachtungs- und Beurteilungsgabe. Bei ihrer starken Meinung wäre es interessant gewesen, mehr über ihr eigenes Bild einer Gesellschaft jenseits des Wachstums zu erfahren. ◆
Gut leben Eine Gesellschaft jenseits des Wachstums. Barbara Muraca Wagenbach, 2014, 94 Seiten ISBN 978-3803127303 9,90 Euro