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Zeige deine Wunde (Buchbesprechung)

von Farah Lenser, erschienen in Ausgabe #34/2015
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»Alles ist Skulptur« – dieser Satz von Joseph Beuys ist programmatisch für seine künstlerische Arbeit, die in dem Motto »Jeder Mensch ein Künstler« kulminierte und in der »Sozialen Plastik« ihren gesellschaftspolitischen Ausdruck fand.
Die sehr persönlich gefärbte Hommage Rüdiger Sünners an den Ausnahmekünstler Joseph Beuys eröffnet überraschende Perspektiven auf dessen Werk. Der Philosoph Sünner, als Filmemacher und Musiker selbst künstlerisch tätig, stellt Beuys in »Zeige deine Wunde« mit Novalis und Steiner in eine alchemistische Tradition. Er deutet Beuys’ Kunst als Impuls­geberin für einen Wandlungsprozess des Menschen, der als integrales Wesen der Natur auch empfangendes Organ höherer geistiger Prozesse ist.
Die Geschichte des gewalttätigen Gefängnishäftlings Jimmy Boyle, der Ende der 1960er Jahre von einer Fotoausstellung über Beuys’ New Yorker Aktion mit einem Kojoten berührt und inspiriert wurde, erzählt von dessen Wandlung zum bedeutenden Künstler. Boyles riesige Gulliver-Figur aus Beton und Stahl mit dem Titel »The Gentle Giant who Cares and Shares« gilt nicht nur als Sinnbild seiner eigenen Transformation, sondern verweist auch kongenial auf seinen Förderer Beuys. Der hatte mit seiner Aktion »I Like America and America Likes Me« den Kojoten – der im Unterbewusstsein jedes weißen Amerikaners als Feind verankert sei – als heiliges Tier der Ureinwohner Amerikas geehrt. Mit einem Hirtenstab eilte Beuys dem in einer Galerie eingesperrten Kojoten zu Hilfe, um mit diesem das Gefängnis zu teilen.
Die Figur des Hirten bewegte Beuys seit seiner Kindheit am Niederrhein, die in den 1920er Jahren Wildheit und Magie ausstrahlte. »Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich mich jahrelang verhalten habe wie ein Hirte, das heißt, ich bin herumgelaufen mit einem Stab, […] und hatte immer eine imaginäre Herde um mich herum versammelt.« Der junge Beuys interessierte sich für Pflanzen, veranstaltete mit anderen Kindern Exkursionen und baute Ausstellungslabyrinthe für ihre botanischen Sammlungen.
Nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen und vor allem Bäume waren für Beuys »rechtsfähige Wesen«, deren Stimme wir Menschen in Form von Imagination, Inspiration und Intuition wahrnehmen könnten. Das »Denken in Bildern«, das aller Kunst zu Grunde liegt, war für Beuys eine Art höherer Denkform, die uns das biologische Geflecht der natürlichen Welt als Ausdruck einer Art Weltgeist spiegele.
Beuys verweist mit seiner Kunst auf dieses »­Heilige« hinter dem Alltäglichen und schließt das »Verachtete und Ausgestoßene« ein – ein Umstand, der auch den jugendlichen Sünner berührte und den Künstler in ihm erweckte. – Dieses sehr inspirierende Buch entstand parallel zum gleichnamigen Film des Autors. ◆ 

Zeige deine Wunde
Kunst und Spiritualität bei J. Beuys
Rüdiger Sünner
EuropaVerlag, 2015
224 Seiten mit ca. 30 Abbildungen
ISBN 978-3944305882
17,99 Euro

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