Buchtipps

Bullau (Buchbesprechung)

von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #4/2010
Photo

Privat sind sie ein Paar, literarisch auch: Andreas Maier, Autor eigenwilliger Provinzpossen, der wegen seiner Vorliebe für den Konjunktiv, für Mutmaßungen und »das Gerede der Leute« mit Thomas Bernhard verglichen wird, und Christine Büchner, Theologin, die über Meister Eckhart promovierte und im Grenzgebiet zwischen Religion und Naturwissenschaft forscht. In einer gemeinsamen Erzählstimme, die sich als »wir«, »einer von uns« oder »wir (oder zumindest einer von uns)« bezeichnet, berichten sie »über unser erstes Mal mit den Vögeln und den Pflanzen«. Um Freund- schaft mit der Natur zu schließen, begeben sie sich wie zwei Wandervögel auf Streifzüge, die sie in den Odenwald, ins Wendland, in die Gegend um Brixen oder über den Kölner Domplatz führen. Ergänzt werden ihre Naturbetrachtungen immer wieder um Exkurse in die Literatur- und Geistesgeschichte: bei- spielsweise über den ornithologischen Sinngehalt der berühmten Dialogzeile »Es war die Nachtigall, nicht die Lerche« aus Shakespeares »Romeo und Julia«. Dabei erfahren die Autoren, dass alles in der Natur seine Zeit und seine Stunde hat: »Man muss lernen, zu warten, bis die Dinge sich zeigen. Man kann es nicht wollen. Wollen hilft nichts.«
Die Sprache wirkt zunächst alltäglich, fast beiläu- fig, erst allmählich entfaltet sich eine zarte Poesie. Ähnlich wie die Halme, Blätter und Blüten auf Alb- recht Dürers Aquarell »Das große Rasenstück«, das den Umschlag der Taschenbuchausgabe ziert, umgibt die naturkundlich exakten Betrachtungen im Inneren eine schlichte, anrührende Schönheit. Mitunter, etwa im fulminanten Finale mit Taube, atmen sie gar den Hauch des Erhabenen und schwingen sich in ätheri- sche Höhen auf. Dabei verlieren die Autoren jedoch nie die Bodenhaftung: »Bullau« ist Heimatkunde im besten Sinn. Wer es gelesen hat, wird Kleiber, Eisvogel, Haubentaucher, Zilpzalp, Frauenflachs, Eh- renpreis, Birnbaum oder Bärlauch mit anderen Augen sehen. Vielleicht werden sie einem seltsam vertraut vorkommen, so wie Erinnerungen, bei denen man nicht mehr zu sagen weiß, ob sie selbst Erlebtem, Erzähltem oder Geträumtem entspringen – ähnlich wie der Wiedehopf, der einem nach der Lektüre wie ein alter Bekannter erscheint, obwohl er sich den Autoren nie in natura, sondern nur im Traum zeigte. 


Bullau
Versuch über Natur.
Andreas Maier und Christine Büchner Suhrkamp, 2008, 127 Seiten
ISBN 978-3518459478
6,50 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #4

Gärtnern & Landwirtschaftvon Monika Frank

Transition Towns: Geht es ohne Erdöl?

Die junge Pflanze der Transition-Town-Bewegung schlägt langsam aber sicher auch in Deutschland Wurzeln. Monika Frank, Mitbegründerin einer der ersten Transition-Gruppen in Berlin, erklärt, wie »Städte im Übergang« in die Zukunft weisen.

(Basis-)Demokratievon Johannes Heimrath

Die Selbst­ermächtigung des Wir

Was müssten wir tun, um die Demokratie zu retten? Wie könnte die ­Verfasstheit eines zukünftigen Gemeinwesens aussehen? Und können wir nicht schon heute damit anfangen?
Gandalf Lipinskis ursprünglicher Beitrag zu einer sich selbst ermäch­tigenden Zivilgesellschaft forderte Oya-Herausgeber ­Johannes Heimrath zu kontrapunktischen Anmerkungen heraus. Es entstand ein Duett für Singstimme und Alarmglocke.

Gesundheitvon Beate Küppers

Solidarisch gesund

Artaban heißt der Held in der Erzählung »Der vierte Weise« von Henry Van Dyke. Wie die Heiligen Drei Könige macht er sich auf die Reise nach Bethlehem. Er kommt aber nie dort an, weil er auf seinem Weg immer wieder Menschen trifft, die in Not sind und seine Hilfe brauchen. Er ist Namensgeber von Artabana, einem Netzwerk von Solidargemeinschaften, in denen Menschen sich gegenseitig unterstützen, gesund zu bleiben. Der Impuls, eine eigenverantwortliche Alternative zu den herkömmlichen Versicherungen zu entwickeln, kam aus der Schweiz, wo vor über zwanzig Jahren die ersten Artabana-Gemeinschaften entstanden.

Ausgabe #4
Zumutung

Cover OYA-Ausgabe 4Neuigkeiten aus der Redaktion