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Die Kraft der kollektiven Weisheit (Buchbesprechung)

von Dieter Halbach, erschienen in Ausgabe #5/2010
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Kosha Joubert ist ein kleines, beinahe weises Gemeinschafts-Buch mit einem weiten Blick gelungen: Der mögliche Weg zur kollektiven Weisheit wird darin erkennbar. Kosha Joubert ist den Oya-Leserinnen- und Lesern als Vorsitzende des Global Ecovillage Network (GEN) und durch zahlreiche Artikel bekannt. In ihrer biografischen Erzählung »Die Weltenwanderin« (Oya Ausgabe 2) hat sie ihren Weg von der Isolation als Jugendliche im südafrikanischen Apartheidsregime zur globalen Vernetzerin beschrieben. Dieser Weg bildet auch den Rahmen des Buchs »Die Kraft der kollektiven Weisheit«. Es erhält dadurch den roten Faden einer intimen Erzählung, welche die verschiedenen Bewusstseinsetappen der Autorin nachvollziehbar macht und Brücken zu weitergehenden Reflexionen bildet. Kosha Joubert schreibt in einer angenehmen Sprache. Mal schlägt sie poetische, mal wissenschaftliche Töne an, bleibt aber immer erfahrungsbezogen und menschlich.
Das große Verdienst dieses Buchs ist es, dass es erstmals die Sicht einer Praktikerin auf gemeinschaft- liche Prozesse darstellt und zugleich einen großen evolutionären Blick auf das menschliche Bewusstsein wirft. Kosha Jouberts Denken bezieht sich nicht nur auf einzelne Erfahrungen und Gemeinschaften, sondern bindet sich in die ganze Gesellschaft ein.
»Die Evolution zieht uns jetzt in Richtung Verbun- denheit.« – Dieser Gedanke ist Ausgangspunkt des Buchs und wird von Denkern wie Ken Wilber, Teilhard de Chardin, Thich Nhat Han, Peter Russel, Thomas Hübl, David Bohm, Paul Hawken und anderen unter- mauert. Hintergrund dieser Sichtweise bietet das Modell der »Spiral Dynamics« von Clare W. Graves und Don Beck. Es beschreibt eine Landkarte von Be- wusstseinswellen, den sogenannten Memen, die un- sere gesamte Menschheitsgeschichte wiedergibt und ständig zwischen den Polen »Ich« und »Wir« pendelt. Demnach befinden wir uns heute, nach einer Zeit der wissenschaftlich-rationalen Ich-Bildung, im Übergang zum grünen Meme, mit dem sich wahrscheinlich auch viele Oya-Leser identifizieren können. Es hat das gemeinschaftliche Wohl zum Mittelpunkt: Frieden, Empathie und Ökologie. Wie jedes Meme, erschafft auch das Grüne in sich Spannungen, die zu Weiterent- wicklung und Wachstum führen. Im darauffolgenden gelben Meme möchte wieder mehr Individualität in einem größeren gesellschaftlichen Spielfeld zuge- lassen werden. »Persönliche Freiheit im Denken wird zusammen gebracht mit einer Wertschätzung für die Vielfältigkeit des Gesamtsystems.« Dies ist auch die Geburtsstunde und das Experimentierfeld für kollek- tive Weisheit, die uns wiederum in das holistische, türkise Meme eines »neuen Wir« führen kann. Da sich die Bewusstseinswellen natürlich ständig durchdrin- gen, ist diese Aufwärtsentwicklung weder linear noch widerspruchfrei.
Die Autorin scheut sich nicht, neben die mögli- che kollektive Weisheit auch die Gefahr kollektiver Dummheit zu stellen. Dabei bezieht sie sich haupt- sächlich auf den Nationalsozialismus und die heutige Konsumgesellschaft. An dieser Stelle fehlt mir der selbstkritische Blick auf revolutionäre Bewegungen und Gemeinschaften (beispielsweise Osho oder Otto Mühl), die sich von ersten emanzipatorischen Impul- sen zu totalitären Strukturen entwickelten. »Was sind die Bedingungen für kollektive Dummheit?« – Eine systematische Erforschung dieser Frage wird hier nur begonnen. Im Sinn eines Frühwarnsystems wäre es sinnvoll, die hier angerissenen gefährdenden Bedin- gungen kollektiver Prozesse weiter zu kristallisieren.
Im Zentrum des Buchs stehen die sieben Schritte zu kollektiver Weisheit. Kosha Joubert hat sieben förderliche Bedingungen ihrer Entstehung heraus- gearbeitet: gemeinsame Ausrichtung, individuelle Autonomie, Vielfalt einladen, Nichtwissen zulassen, intime Verbundenheit, gemeinsame Praxis und Reflexion. Diese Mustersprache soll Gemeinschaften ermöglichen, nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache zu entdecken. Das dafür erforderliche Handwerkszeug bietet der anschließende Methodenteil, den es als nützliche Sammlung erfolgreichen Gemeinschaftswissens bis- her noch nicht in veröffentlichter Form gegeben hat. Es folgen konkrete Ausblicke in die gesellschaftlichen Bewegungen, in denen Ansätze kollektiver Weisheit wirksam sind.
In diesem Kontext wird auch der notwendigen Diskussion um Führung im Rahmen gemeinschaft- licher Prozesse nicht ausgewichen. Der indianische Älteste Manitonquat meint dazu: »Letztlich bedeutet das Einsteigen in Leitung nichts anderes als die Übernahme von Verantwortung. Wenn es in einem Kreis keine Leitung gibt, bedeutet es, dass letztlich keiner die Verantwortung trägt.« Auch hier braucht es noch weitere Arbeit, um die Bedingungen integraler und gemeinschaftsfördernder Leitung zu erforschen und gesellschaftlich umzusetzen. Das Modell der Holarchie – einer geschichteten Ordnung – bietet da- für einen ersten Ansatz jenseits von Befehlshierarchie und flacher Basisdemokratie.
Das Buch lässt keinen Zweifel daran, dass eine neue Einheit nur aus bewusster Vielfalt entstehen kann. »Die Kreativität der einzelnen ist das verborgene Gold der Gruppe, der innere Schatz, den es gemeinsam zu heben gilt.« Freundschaft als Grund- haltung ist für Kosha Joubert eine Kraft, die uns hilft, dieses Potenzial gegenseitig zu entfalten. Niemand drückt das in ihrem Buch schöner aus, als ein seit 80 Jahren miteinander glücklich verheiratetes Ehepaar: »Jeden Tag eine kleine Auseinandersetzung – das hält uns zusammen.« 

Die Kraft der kollektiven Weisheit
Kosha Anja Joubert
Kamphausen Verlag, 2010
210 Seiten
ISBN 978-3899013542
18,95 Euro

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