von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #3/2010
Mit einigen Förderpreisen wurde Susanne Neuffer bereits ausgezeichnet. Für die meisten Leserinnen und Leser wird sie dennoch eine Neuentdeckung sein – und was für eine. In ihren Erzählungen steigt sie immer direkt ins Geschehen ein und erzielt mit minimalen sprachlichen Mitteln eine maximale Wirkung. Wenn ihre Heldinnen im Grab liegend auf bessere Zeiten warten, sich in europäischen Groß- städten verlieren oder die Möglichkeiten und Unmög- lichkeiten der Liebe erkunden, bleiben die näheren Umstände zunächst vage, und doch spiegeln sich im Innenleben ihrer Figuren unverkennbar Ereignisse des Zeitgeschehens wider. Ob Holocaust, Heißer Herbst oder »Krieg gegen den Terrorismus« – mit kleinsten Andeutungen stellt Neuffer historische Bezüge her. Ähnlich wie die namenlose Hutmacherin aus der titelgebenden Erzählung, die angesichts der Endzeitstimmung im September des ersten Jahres nach der Jahrtausendwende bekennt: »Ich habe kein apokalyptisches Talent«, setzt auch die Autorin auf Lakonie, anstatt mit Pathos und überzogener Drama- tik aufzuwarten. Ihre Protagonistinnen wirken meist leicht depla- ziert, sie umgibt der Hauch einer vergangenen Welt. Fast scheint es, als hätte es sie aus einem Landgut der Jahrhundertwende – ähnlich jenem, aus Ingmar Bergmanns Film »Das Lächeln einer Sommernacht« – mitten in eine Großstadt zu Beginn des 21. Jahr- hunderts verschlagen. Dabei ist Neuffers Sprache ganz zeitgemäß und hat nichts Manieriertes oder An- tiquiertes an sich. Ihre Heldinnen scheinen in einem Kokon aus gefühlten Erinnerungen zu leben. Dieser hat etwas Erschreckendes und Tröstendes zugleich – die Erinnerungen an eine nicht näher benannte Idylle sind darin ebenso präsent wie die Schatten der Ver- gangenheit. Bietet er ihnen Schutz vor einer aus den Fugen geratenen Welt, so scheint er ihnen manchmal auch die Luft abzuschnüren. Als Leser folgt man ih- nen trotzdem gerne in die dunkle Enge ihres Kokons, schon alleine um zu rätseln, welcher Falter daraus noch schlüpfen wird. Unter dem Gespinnst aus Zeit, das sie umhüllt, erscheinen sie verletzlich und würdevoll zugleich – ähnlich den Modellen der seltsam berührenden Akt- bilder des britischen Malers Lucien Freud. Ähnlich wie dieser, porträtiert auch Neuffer ihre Figuren im Inneren des Ko- kons: Bis auf die Haut entblößt, ohne sie je bloßzustellen.
Frau Welt setzt einen Hut auf Susanne Neuffer Maro Verlag, 2009 184 Seiten ISBN 978-3875122800 14,00 Euro