Noch ist Postwachstum ein Expertenthema – ähnlich wie damals das Thema Globalisierung, als vor zwölf Jahren der erste von der Zeitschrift »Le Monde diplo- matique« herausgegebene »Atlas der Globalisierung« erschien. Heute ist dieser Begriff in aller Munde. Auch »Degrowth« wird in absehbarer Zeit zum Lehrkanon der Schulen gehören. Höchste Zeit also, sich schon heute damit auseinanderzusetzen! Der neue Band des »Atlas der Globalisierung« liefert unter dem Titel »Weniger wird mehr« vielfältige Informationen, Grafiken und Karten zum Thema Post- wachstum. Die Aufsätze des umfangreichen Lese- buchs (!), das bei Erwerb auch als pdf-Datei herunter- geladen werden kann, sind in vier Kapitel gegliedert. Zunächst geht es um eine Analyse des gegen- wärtigen Systems und darum, wie tief die Logik des Wirtschaftswachstums in die Strukturen unserer Gesellschaft eingeschrieben ist: Der Wohlfahrtsstaat sei ohne Wachstum undenkbar; Frieden in Europa sei nicht zuerst durch Demokratie oder soziale Markt- wirtschaft möglich geworden, sondern durch den zunehmenden Massenkonsum. Der Kapitalismus sei ein instabiles System, das stetig wachsen müsse, um nicht zusammenzubrechen. Anschließend wird das »grüne« oder »nachhal- tige« Wachstum thematisiert. Es stelle sich zuneh- mend als illusorisch heraus, die Gesellschaft ökolo- gischer und sozialer zu machen und zugleich Profite zu maximieren. Auch energiesparende bzw. effiziente Technik reiche dazu nicht aus – hier mache der Rebound-Effekt alle Optimierungen wieder zunichte . Das dritte Kapitel macht deutlich, dass viele gesellschaftliche Missstände systemisch durch die Wachstumslogik angelegt sind: Das Bruttosozialpro- dukt Chinas und Indiens mag wachsen, aber damit verbessern sich nicht automatisch die Arbeitsbedin- gungen der Menschen. Um den Absatz zu steigern, werden elektrische Geräte so konstruiert, dass sie schnell kaputtgehen; seit Ende der 1990er Jahre sind kaum mehr Ersatzteile zu bekommen. So werden Res- sourcen verschwendet und Müllberge vergrößert. Das letzte Kapitel stellt alternative Denkansätze und bereits gelebte Praxis vor – von Solidarischer Landwirtschaft, Sharing Economy und Open Design bis hin zu einer Gleichstellung von bezahlter Erwerbs- tätigkeit und unbezahlter Sorgearbeit. Wachstums- kritikerinnen und -kritiker wie Adelheid Biesecker, Alberto Acosta, Hartmut Rosa und Barbara Muraca kommen hier zu Wort. Laut den Herausgebern überwiegen »die großen Fragen« bei »kleinen Antworten«. Wäre es daher nicht an der Zeit, viel mehr Förderprogramme und Orte für interdisziplinäre Postwachstumsforschung zu schaf- fen? Für uns – und die Schülerinnen und Schüler der Zukunft...
Atlas der Globalisierung Weniger wird mehr. Le Monde diplomatique (Hrsg.) Taz-Verlag, 2013, 176 Seiten. Mit Download, über 300 Karten und Infografiken. ISBN 978-3937683577 16,00 Euro