Widerstand gegen die Lobby der Bioökonomie setzt gut informiertes zivilgesellschaftliches Engagement voraus.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #35/2015
Kevin Anderson, Wissenschaftler am »Tyndall Centre for Climate Change Reserach« an der Universität Manchester, veröffentlichte diesen Oktober in der Zeitschrift »Nature Geoscience« einen Kommentar zum Sachstandsbericht der 5. Klimakonferenz des »Intergovernmental Panel on Climate Change« (IPCC) in Paris. Der Bericht verkündet, es sei ökonomisch durchaus machbar, das angestrebte Ziel von nicht mehr als zwei Grad Erwärmung zu erreichen, es sei sogar »kosteneffektiv« zu bewerkstelligen – was für eine gute Nachricht! Das globale ökonomische Wachstum werde durch Klimaschutzmaßnahmen nicht gefährdet. Anderson nimmt diese befremdliche Aussage unter die Lupe und weist darauf hin, dass von den 400 Zukunfts-Szenarien in der Datenbank des IPCC, die eine optimistische Prognose von nicht mehr als zwei Grad Klimaerwärmung stellen, 344 voraussetzen, dass die Menschheit in allernächster Zukunft Techniken entwickeln wird, um das in die Atmosphäre entwichene CO2 wieder herauszusaugen. Die Emissionen selbst wären damit kein Problem mehr, sie ließen sich sozusagen mit einem Staubsauger wieder aus der Luft schaffen. Wie könnte das funktionieren? Zum Beispiel, indem auf großen Flächen »Biomasse« angebaut wird – idealerweise Gräser, die genetisch so manipuliert wurden, dass sie der Luft möglichst viel CO2 entziehen und in ihren Zellen abspeichern. Diese hilfreichen biologischen CO2-Speicher würde man dann in Fabriken – die wohlgemerkt noch niemand erfunden hat – transportieren, wo sie auf so raffinierte Weise verbrannt oder anderweitig entsorgt werden, dass ihr CO2 eben nicht wieder in die Atmosphäre gelangt. »Bioenergy with Carbon Capture and Storage« (Bioenergie mit CO2-Abtrennung und Speicherung) ist der Fachbegriff für diese Science-Fiction-Idee, zu der ernsthaft geforscht wird.
Technikfolgen und Machstrukturen unter der Lupe
Den Hinweis auf Kevin Andersons Veröffentlichung gab mir die Geografin Lili Fuhr. Sie ist für die Heinrich-Böll-Stiftung tätig und Co-Autorin des neuen Buchs »Kritik der Grünen Ökonomie«. »Der fünfte IPCC-Bericht war für mich ein Weckruf«, sagt sie. »Radikale Annahmen über einen Rückgang des Energieverbrauchs spielen immer weniger eine Rolle, stattdessen alle möglichen Emmissionsminderungs-Szenarien, die teilweise den Einsatz äußerst riskanter Techniken voraussetzen.« Lili Fuhr engagiert sich in der »ETC Group«, die es sich zum Ziel gesetzt hat, sowohl die Politik als auch die Zivilgesellschaft über derlei Risiken aufzuklären. Dabei stehen vor allem solche Techniken im Zentrum, die den Menschen im globalen Süden besonders zusetzen würden. Gründer der ETC Group ist der Aktivist Pat Mooney, Träger des Alternativen Nobelpreises, der wohl zu den ersten gehört, die sich schon im vorigen Jahrhundert der Gefahren einer wuchernden »Bioökonomie« bewusst waren. Seit Ende der 1970er Jahre hat er die Saatgutkonzerne im Blick, und der Titel seines ersten in deutscher Sprache erschienenen Buchs aus dem Jahr 1988 »Saat-Multis und Welthunger. Wie die Konzerne die Nahrungsschätze der Welt plündern« wirkt, als sei es gerade erst geschrieben worden. Im Jahr 2010 veröffentlichte der oekom-Verlag Mooneys Buch »Next Bang! Wie das riskante Spiel mit Mega-Technologien unsere Existenz bedroht«, und fünf Jahre später ist es dann so weit, dass die Methoden, vor denen Mooney warnte – Geoengineering, Nanotechnik und synthetische Biologie – in den Förderprogrammen der Regierungen als Selbstverständlichkeiten auftauchen. Geoengineering – in diesem Feld werden Ideen diskutiert, wie mit künstlichen Vulkanen die Atmosphäre abzudunkeln oder mit Dünger das Algenwachstum in den Ozeanen anzuregen sei – ist im vergangenen Jahr tatsächlich erstmals vom IPCC als mögliche Klimaschutzmaßnahme aufgezählt worden und verließ damit das Feld der unseriösen Science Fiction. Mooney ist fast blind – vielleicht sind seine Sinne deshalb so geschärft, dass er in seinem Denken stets fünf Jahre weiter zu sein scheint als alle anderen. »Vor einem Jahr war ich bei der ETC Group auf einem Strategietreffen zum Thema synthetischer Biologie«, erzählt Lili Fuhr. »Damals wusste ich noch kaum etwas über diese ›extreme Gentechnik‹, bei der Organismen nicht nur verändert, sondern im Labor neu zusammengesetzt oder sogar neu generiert werden. Das Treffen war ein bewegendes Erlebnis, aus dem ich ziemlich verändert wieder herausgegangen bin – mit einem ganzen Kabinett an gruseligen Zukunftsszenarien im Kopf. Seitdem habe ich noch besser verstanden, warum sich Pat Mooney und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter so intensiv für Technikfolgenabschätzung einsetzen.« Es sind nur etwa zwei Handvoll Leute, die in der ETC Group zusammenarbeiten; sie wirken vor allem in Kanada, den USA, Nigeria, Mexiko und auf den Philippinen. Ihre Arbeit besteht zu einem Großteil aus Recherche: Wer steckt sein Geld in welche Forschung? Wie verflechten sich die Machtstrukturen von Technik-Konzernen und Politik? Wer meldet wofür neue Patente an? Vor allem setzen sie sich dafür ein, dass auf UN-Ebene transparente, partizipativ gestaltete Institutionen für Technikbewertung entstehen. »In letzter Zeit haben wir uns speziell die extraktiven Industrien wie die Öl- und Gasförderung vorgenommen«, berichtet Lili Fuhr; dazu wird demnächst eine Veröffentlichung erscheinen. »Viele Unternehmen aus dem Bereich der synthetischen Biologie pflegen das Image, eine Alternative zur Nutzung fossiler Rohstoffe aufzubauen. Wie sehr sie in Wirklichkeit mit der Ölindustrie unter einer Decke stecken, wird daran deutlich, dass sie synthetisch erzeugte Organismen einsetzen, um die letzten Gas- und Ölreste aus den Bohrlöchern zu holen. Sie profitieren auch unmittelbar vom Fracking: Neuerdings wird dazu experimentiert, wie die Bakterien im Labor statt mit Zucker mit dem günstig aus Fracking gewonnenem Methan gefüttert werden können.«
Vom Agrarkraftstoff zur Verkehrswende
Was geht in Forscherinnen und Forschern vor, die an derartigen Techniken arbeiten? Gibt es auch solche, die nach dem Sinn fragen und aussteigen? Ja, zum Beispiel der Verkehrswende-Aktivist Bernhard Knierim. Er studierte Biophysik und arbeitete am kalifornischen »Lawrence Berkeley National Laboratory« und dem »Joint Bio-Energy Institute« im Bereich Elektronenmikroskopie, wobei er auch für die Forschung an Agrarkraftstoffen tätig war. »Als Student hatte ich die Idee, später im Feld der Bionik zu arbeiten – also Technik nach dem Vorbild der Natur zu gestalten. Nach meiner Promotion interessierte mich aber die Forschung an Alternativen zu fossilen Kraftstoffen, und so bin ich im Jahr 2008 an nach Berkeley gegangen.« Dort wird heftig an der Zukunft der Agrarkraftstoffe gebastelt. Für den handelsüblichen Biosprit der ersten Generation werden derzeit nur die Früchte der geernteten »Biomasse« verwendet, bei Mais zum Beispiel nur die Kolben. In der nächsten Stufe soll die gesamte Pflanze aufgeschlossen und mit Hilfe künstlich erzeugter Bakterien zu Ethanol umgewandelt werden. In der dritten Generation bilden Algen den Ausgangsstoff. »Im ersten Moment klingt es positiv, dass man sich bemüht, die gesamte Pflanze zu verwenden«, gibt Bernhard Knierim zu bedenken. »Die Klimabilanz fällt aber absolut desaströs aus. Fasern haben den Zweck, stabil zu sein. Sie mit viel Aufwand umzuwandeln, ist angesichts der geringen Energieausbeute unsinnig.« Nur wenige Kollegen hatten für die zunehmenden Zweifel von Bernhard Knierim an seiner Arbeit ein offenes Ohr. »Eine kritische Diskussion konnte ich eher außerhalb der Forschergemeinde führen«, erinnert sich der Biophysiker. »Je mehr Literatur ich zum Thema las, desto fragwürdiger erschien mir meine Arbeit.« Auch die universitären Machtstrukturen wurdem ihm unheimlich. An der University of California in Berkeley forschte der Mikrobiologe Ignacio Chapela. Im Jahr 2001 hatte der in der Zeitschrift »Nature« seine Forschungen zur Ausbreitung von Genen aus manipuliertem Mais in die freie Natur im Hochland von Mexiko publiziert. Daraufhin ging die Pro-Gentechnik-Fraktion der industriefinanzierten Wissenschaft derart auf die Barrikaden, dass »Nature« das erste und einzige Mal in seiner Geschichte einen Artikel zurückzog. »Kurz bevor ich nach Berkeley kam, ging es darum, ob Chapelas Vertrag verlängert würde«, erinnert sich Bernhard Knierim. »Hätte er nicht seinen Schreibtisch demonstrativ vor das Büro des Kanzlers der Uni gestellt und die Presse aktiviert, wäre er seinen Job losgewesen. Das hat mich sehr beeindruckt!« Bis Ende 2010 hat es Bernhard Knierim in Berkeley ausgehalten. Dann stieg er aus und tat, was er für sinnvoll hielt: Er engagierte sich für alternative Verkehrspolitik und schrieb ein Buch mit dem Titel »Essen im Tank: Warum Biosprit und Elektroantrieb den Klimawandel nicht aufhalten.« Auch wenn inzwischen fünf Jahre ins Land gegangen sind, steckt die Forschung zu den Agrarkraftstoffen der zweiten und dritten Generation noch immer in den Kinderschuhen. »Technisch funktioniert die Herstellung, aber sie erfordert so viel Energie und Chemie, dass sie nicht wirtschaftlich ist. Den großen Durchbruch habe ich noch nicht beobachtet, und mir ist schleierhaft, wie das je mit weniger Aufwand möglich sein soll«, meint Bernhard Knierim. »Das Energieministerium der USA steckt aber unverdrossen Millionen in diese Forschung – nicht aus ökologischen Gründen, sondern um energetisch von Ländern wie Saudi Arabien unabhängig zu werden und eine ›grüne‹ Wachstumsbranche zu fördern. Vernünftigen, guten Lösungen steht so oft der Wachstumszwang im Weg.«
Biologische Minifabriken ersetzen Landwirtschaft
Kann sich die Minderheit, die sich anstelle einer biotechnisierten grünen Wachstumsökonomie ein »gutes Leben für alle« wünscht, solchen globalen Dynamiken entgegenstellen? Organisationen wie die ETC Group versuchen nach Kräften, ihrer Aufklärungsarbeit eine möglichst große Öffentlichkeit zu verschaffen. Vielleicht gelingt das am ehesten über das Thema »Ernährung«. Gerade arbeiten Silvia Ribeiro und Jim Thomas von ETC an einem Artikel über synthetisches Stevia. »Der Lebensmittelkonzern Cargill hat ein neues Produkt namens ›Eversweet‹ herausgebracht«, berichtet Lili Fuhr. »Ein synthetisch hergestelltes Süßungsmittel, dessen Inhaltstoffe der südamerikanischen Steviapflanze entsprechen. In Las Vegas wurde die Markteinführung in einem Casino groß als Null-Kalorien-Vergnügen gefeiert. Indem der Öffentlichkeit erzählt wird, Eversweet sei mit Hilfe von speziell angefertigter Bäckerhefe hergestellt, entsteht der Eindruck eines ganz und gar natürlichen Produkts.« »Speziell angefertigt« heißt, dass die in den Dienst genommenen Organismen aus dem Labor der Firma Evolva, dem Biotech-Partner von Cargill, stammen. Nicht nur, dass die künstlich hergestellten Bakterien – sozusagen biologische Minifabriken – ein unkalkulierbares Risiko darstellen. Solche Entwicklungen haben auch massive Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Mitglieder der ETC Group haben Anfang dieses Jahres Stevia-Bäuerinnen und -Bauern in Kenia besucht. Würde der weltweite Steviabedarf zukünftig in Fabriken gezüchtet, ginge deren wirtschaftliche Basis verloren. Bereits heute ist die synthetische Biologie ein großer Landräuber. Um ausreichend Futter für ihre Labortierchen zu sichern, betreiben eine Reihe von Biotechnik-Unternehmen Zuckerrohrplantagen und kaufen Felder für den Anbau auf. »Gentechnik extrem und grünes Wachstum? Nein danke!« Es ist bewundernswert, dass kleine Netzwerke wie die ETC Group ihre Lobbyarbeit betreiben und das Thema Technikfolgen in die Foren der Vereinten Nationen einbringen. Sie bräuchten aber die Unterstützung einer weltweiten Bürgerbewegung, die zu diesem Wahnsinn deutlich »Nein!« sagt. •
Literatur • Thomas Fatheuer, Lili Fuhr, Barbara Unmüßig: Grüne Ökonomie. Zauberformel oder Irrweg? oekom, 2015 • Bernhard Knierim: Essen im Tank. Warum Biosprit und Elektroantrieb den Klimawandel nicht aufhalten. Promedia, 2013 • Pat Mooney: Next Bang! Wie das riskante Spiel mit Mega-Technologien unsere Existenz bedroht. oekom, 2010
Film Bertram Verhaag: Gekaufte Wahrheit. Gentechnik im Magnetfeld des Geldes. Denkmal-Film, 2010; www.gekauftewahrheit.de