Titelthema

Die Liebe zum Lehm

Maria König porträtiert die Lehmputzfachfrau Petra Kreuzer.von Maria König, erschienen in Ausgabe #36/2016
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Berlin Westkreuz: Ein Gewirr aus Bahnsteigen und Treppen. ­Petra und ich sind hier verabredet, wollen uns ein gemütliches Café suchen. Ich bin etwas eher da, gehe schon mal auf die ­Suche. Ein verglaster Gang führt auf einen kleinen Parkplatz. Schräg hinter mir klafft das Tal der S-Bahn-Gleise, eine schmale Zufahrtsstraße führt mich zu einer gewaltigen, mehrspurigen Straße, in deren Hintergrund sich schon die Auffahrt zur Stadtautobahn erhebt. Rechts ragen zwei riesige Betonbauten kalt und abweisend in die Höhe. Ich sehe keine anderen Menschen, Geschäfte oder gar Cafés in der Nähe. Welch ein Un-Ort! Ich rufe Petra an und verlagere unseren Treffpunkt zur nächsten Station. Am Kaiserdamm begegne ich schließlich einer kleinen, zierlichen Frau, die mich mit ihrem einnehmenden Lachen sofort gewinnt. Ihre entspannte Art, gepaart mit einem leichten bayerischen Akzent, lässt schnell eine warme Atmosphäre entstehen, in der sich unser Gespräch im gedämpften Licht eines mexikanischen Restaurants entfaltet.

Die uns umgebende städtische Megastruktur Berlins war für eine kurze Zei auch Petras Betätigungsfeld. Während ihres Architekturstudiums an der Technischen Universität arbeitete sie für eine konventionelle Baugesellschaft. Sie erinnert sich: »Das waren alles so fürchterliche Stahlbetonbauten. Wenn wir ein Bürogebäude fertiggestellt hatten, war ich unzufrieden mit meinem Werk. Was hatten wir erreicht? Wer wollte dort arbeiten? Dieser Job war für mich die letzte Bestätigung dafür, dass ich definitiv kein Interesse am konventionellen Baugewerbe habe.« Stattdessen entdeckte sie unter anderem über einen engagierten wissenschaftlichen Mitarbeiter an der Uni ihre Leidenschaft für den Lehmbau.
Petra ist in München aufgewachsen. Die Neigung zum praktischen Tun zeigte sich schon früh. Mit der Schule konnte sie wenig anfangen; sie machte Abitur, weil ihr nichts anderes einfiel, und wusste zunächst nicht, in welche Richtung sie beruflich gehen sollte. Ihre Versuche, die eigenen Koordinaten in dieser Welt zu bestimmen, reichten von einer Bewerbung für ein Fotopraktikum bis zu einem Ethnologiestudium. Fremde Kulturen faszinieren Petra bis heute, doch das Studium brach sie ab, weil es ihr zu theoretisch war. Schmunzelnd erzählt sie, wie sie dann völlig ungeplant zu ihrer ersten Ausbildungsstelle kam:
»Zu der Zeit, als ich das Studium gerade abgebrochen hatte, meinte eine Freundin zu mir: ›Ich mache jetzt eine Tischlerausbildung! Machst du mit?‹ Ich sagte spontan zu.« Mit 24 Jahren begann sie die Lehre. Ihre Freundin, Auslöserin und Wegbegleiterin auf der dazugehörigen Berufsgrundschule, verließ diesen Weg allerdings bald wieder, während Petra dabeiblieb. Sie fasst die Wendung in ihrem Leben zusammen: »Etwas Handwerkliches zu machen, passte viel besser zu mir als das Studium. Statt so lange zu denken, wollte ich meine Zeit lieber nutzen, um etwas Schönes und Nützliches entstehen zu lassen.«
Die Suche nach einem geeigneten Ausbildungsbetrieb ließ sie außerdem die Fühler nach einem ganz neuen Zuhause und Lebens­umfeld ausstrecken. Der Umstand, dass in den konservativen Strukturen Bayerns die Vorstellung von einer jungen Auszubildenden unter einem Altgesellen zu jener Zeit noch einige Skepsis auslöste, gepaart mit Petras immer stärker erwachendem Drang nach wildem, buntem Leben, führte sie 1989 in das quirlige Berlin, wo sie in einem Handwerkskollektiv zu arbeiten begann. Voller Begeisterung blickt sie auf diese Phase in ihrem Leben zurück: »Die Wendezeit war so aufwühlend – eine starke Ablenkung vom üblichen Trott! Es gab so viele spannende Initiativen, ich bewegte mich in der linken Szene, verfolgte fasziniert die vielen Hausbesetzungsprojekte. Es war großartig!«

Vom Holz zur Erde
Die Erfahrung, dass die Arbeit als Tischlerin auf Dauer sehr anstrengend ist, ließ Petra einen erneuten Studienversuch im Bereich Architektur wagen. Dabei geriet sie schnell ins Schwingungsfeld eines ganz besonderen und für die TU Berlin eher unüblichen Forschungsfelds. »Als ich an die Uni kam, hatte ein älterer Professor, Klaus Dierks, gerade den alten Baustoff Lehm für sich neu entdeckt«, erzählt Petra. »Er war mit Herzblut dabei, das Thema in die Forschung zu integrieren, und fand in Christof Ziegert einen enthusiastischen wissenschaftlichen Mitarbeiter, der es schaffte, uns Studierende für diesen wundervollen Baustoff zu begeistern. Das war mein großes Glück, da die sonst an der Uni übliche Fokussierung auf technisch umgesetzte Ökologie mich weniger interessierte.«
Petra wählte bald alle ihre Referats- und Hausarbeitsthemen aus dem Bereich Lehmbau. Zusammen mit anderen Studierenden reiste sie nach Mexiko; in kleinen Dörfern bauten sie Gemeinschaftshäuser aus Lehm. »Es war spannend, zu sehen, wie andere Kulturen mit diesem Baustoff umgehen«, schwärmt Petra von diesen Unternehmungen und ergänzt dann mit ein wenig Bedauern: »Ernüchternd war es, dass solche Häuser in anderen Ländern häufig als Armutszeugnisse gelten und folglich abgelehnt werden. Unsere Aufgabe bestand auch darin, zu zeigen, wie großartig die Lehmbauweisen sind, um damit vor Ort wieder mehr Wertschätzung für die eigenen, vor der Tür liegenden Ressourcen entstehen zu lassen.«
Neben dem Studium jobbte Petra nun nicht mehr für kon­ventionelle Baufirmen, sondern arbeitete zunehmend als Lehmputzerin. Als sie im Jahr 2000 ihr Diplom machte, entschied sie sich für die Mitarbeit bei einem ökologisch orientierten Architekten. »In das Arbeiten mit Lehm bin ich hineingewachsen, im Architekturbüro bestätigte sich für mich, dass ich dieses haptischere, naturverbundene und erdige Bauen liebe, aber Schreibtischarbeit einfach nichts für mich ist.« Somit verabschiedete sie sich vom Architektinnendasein und lebt und arbeitet nun seit 15 Jahren selbständig als Lehmputzerin. Dabei ist sie vernetzt und im Austausch mit anderen Lehmbauern. Allein setzt sie kleine bis mittelgroße Projekte um und findet sich für größere mit anderen zusammen. Petra liebt dieses Leben, in dem sich Unabhängigkeit und sinnvolles Tun miteinander verbinden.

Wider die Widrigkeiten
Petra zeigt mir Fotos ihrer Wohnung. Die buntbewegten Jahre Berlins haben sie geprägt – ich meine, etwas von diesem leicht chaotischen und künstlerischen Leben an den selbstgestalteten Wänden ihrer Altbauwohnung wiederzuerkennen. Sie ist kulturkreative Überlebenskünstlerin im Berliner Großstadtdschungel geblieben und strahlt dabei eine tiefe, geerdete Ruhe aus.
Dennoch klingt auch ein Hauch von Melancholie und Bedauern an, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Neben der Schönheit ihres Baustoffs stehen die oft ernüchternden Arbeitsbedingungen. Noch immer ist der Lehmbau eine Nische, die erst heute ein wenig Aufwind bekommt, auch durch den Strohballenbau. Petras Kundschaft entstammt fast ausnahmslos dem Bildungsbürgertum. Zum Einsatz kommt Lehmputz nahezu nur in Eigentumswohnungen und -häusern; während das in der Stadt zu sanierende Altbauwohnungen sind, geht es auf dem Land um Denkmalschutz und die besagten Strohballenhäuser. Eine dritte Kategorie sind Häuser im Speckgürtel der Städte, wo der Lehmputz das Innenklima neu gebauter Passivhäuser reguliert. Nicht alle Auftraggeber haben ein besonderes Bewusstsein für den vielfältigen Wert des sanften Baustoffs. Petra hat erfahren, dass es manchen im Prinzip egal ist, was an ihren Wänden klebt. Manchmal sei es Zufall, dass Lehm verwendet wird, und mittlerweile sei es auch einfach schick.
Das Wissen aus ihrem Architekturstudium hilft ihr manchmal, sich besser auf der Baustelle mit anderen Akteuren zu verständigen, ansonsten findet sie dafür kaum Anwendung. Planung und praktische Umsetzung im eigenen Tun gleichwertig miteinander zu verknüpfen, ist schwierig. Manchmal wünscht sie sich mehr intellektuelle Herausforderungen und Austausch.
Als Lehmputzerin hat sie sich für ein bescheidenes und körperlich anstrengendes Leben entschieden. Zuweilen ist es eine einsame Arbeit, in der sie die Besitzer der liebevoll gestalteten Wände nie kennenlernt. Dennoch ist sie ihrem Fach treu geblieben. Sie spricht aus Überzeugung: »Selbst wenn ich die Menschen oft nicht kennenlerne, für die ich arbeite, und sie den Lehm nicht so zu schätzen wissen, wie ich es mir wünsche, weiß ich doch, dass ich eine nützliche und sinnvolle Arbeit tue. Richtig schön ist es, wenn ein Austausch mit den Bauenden über Gestaltung, Farben und Oberflächen stattfindet.«[Bild-4]

Lehm verbindet
Im Jahr 2014 hat Petra in Alt Jargenow in Vorpommern Bauwillige beim Verputzen eines Strohballenhauses mit Lehm angeleitet. In letzter Zeit entstehen mehr und mehr Projekte, in denen es darum geht, mit vielen Menschen zusammen an einem Haus zu arbeiten. Ganz neu und unerwartet ist diese Entwicklung nicht. Die Berliner Lehmbauszene, so erfahre ich von Petra, entwickelte sich aus dem Kontext sozialer Projekte. Lehm, der im Gegensatz zu anderen Baustoffen ungefährlich ist, ist geradezu prädestiniert für gemeinschaftliches Tun.
Petra gibt der Trend zu Gemeinschaftsbaustellen Perspektive: »Für mich ist es schön, im Zusammenspiel mit vielen anderen tätig zu sein. Dass Menschen sich an ihrem eigenen Haus beteiligen, ist ein Akt der Selbstermächtigung. Sie treten in Beziehung zum Lehm, zum Haus, zu ihrem Umfeld. Das verändert ihr Selbstverständnis. Bei den bisherigen Projekten waren immer alle sehr begeistert von diesem Mitprägen, und mir machte es viel mehr Spaß. Das möchte ich unbedingt vertiefen!«
Als wir das Restaurant verlassen und uns auf den Rückweg zur S-Bahn machen, ist es knackig kalt, der Wind streift eisig durch die Häuserschluchten. In den letzten zehn Jahren ist Berlin hektischer geworden und verwandelt sich zur Einheitsgroßstadt. Doch wenn es darin auch nur als ­winziges Fünkchen erscheint: Es ist schön, dass ­Petra der fantasielosen Standardarchitektur in sanfter Beharrlichkeit eine natürliche, ­heimelige Alternative entgegensetzt. •


Maria König (29) lebt in Berlin, steht kurz vor dem Absprung aus dem Lehramtsstudium und engagiert sich in der Berliner Gemeinschafts­initiative »Taram«.

Die Lehmbauerin im Netz besuchen
www.lehmbauberlin.de

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