Buchtipps

Care Revolution (Buchbesprechung)

von Elisabeth Voß, erschienen in Ausgabe #37/2016
Photo

Die Hamburger Professorin Gabriele Winker analysiert in »Care Revolution« zum einen die Krise der Sorgearbeit und zeigt zum anderen, wie das Sich-umeinander-Kümmern in einer Gesellschaft besser, nämlich solidarischer, organisiert werden könnte.
Unter »Care« oder »Sorgearbeit« versteht die Autorin »das Erziehen, das Pflegen, das Betreuen, das Lehren, das Beraten« – unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten gegen Entgelt oder unbezahlt erledigt werden. Es sind vor allem Frauen, die unter der Sparpolitik und den zunehmenden Anforderungen am Arbeitsplatz, aber auch im familiären Bereich leiden – bis zu Erschöpfung und Burnout. Sie beschreibt vier familiäre Bewältigungsstrategien, die je nach finanziellen Möglichkeiten von der Beschäftigung migrantischer Hausarbeiterinnen bis zur mühsamen Existenzsicherung unter Armutsbedingungen reichen.
Der theoretische Hintergrund ihrer ausführlichen Krisenanalyse ist ein feministisch-marxistischer Ansatz, dem Gabriele Winker eine intersektionale Perspektive hinzufügt: Sie betrachtet unterschiedliche Formen der Diskriminierung nach Geschlecht, sozialer oder ethnischer Herkunft, Bildung und beruflicher Tätigkeit oder körperlicher Leistungsfähigkeit – und deren Zusammenwirken. Die Anhäufung von immer mehr Kapital, das nach profitabler Anlage drängt, ruft zunehmende und vielfältige soziale Widersprüche hervor, die in einer solidarischen Gesellschaft aufzuheben wären.
Das Buch ist gut strukturiert, und die Autorin ist sichtlich darum bemüht, die Lesenden auch bei komplexen Sachverhalten mitzunehmen. Statt autoritär zu behaupten, was welche Begriffe bedeuten, erläutert sie, was sie jeweils darunter versteht und wie sie zu ihren Schlussfolgerungen kommt. Die formale Strenge führt jedoch auch dazu, dass sich das ohnehin recht theoretisch abgefasste Buch manchmal etwas sperrig liest.
»Care Revolution« ist ein flammendes Plädoyer für eine andere, menschlichere Gesellschaft, in der die Arbeit der Erfüllung von Bedürfnissen und nicht der Profitmaximierung dient. Die Autorin stellt neun Gruppen vor, die sich für die Verbesserung der Arbeits­bedingungen von Care-Beschäftigten oder für die Belange geflüchteter Frauen einsetzen oder die in Selbstverwaltung eigene Arbeitsbereiche aufgebaut haben, zum Beispiel die Assistenzgenossenschaft Bremen oder die Tagespflege Lossetal in der Kommune Niederkaufungen. Die abschließenden Überlegungen zu einer Transformationsstrategie werfen eine Reihe von Fragen auf, die in dem von Gabriele Winkler initiierten Netzwerk »Care Revolution« diskutiert ­werden.

Care Revolution
Schritte in eine solidarische Gesellschaft.
Gabriele Winker
transcript, 2015
208 Seiten
ISBN 978-3837630404
11,99 Euro


Zum Netzwerk: www.care-revolution.org

weitere Artikel aus Ausgabe #37

Photo
von Anke Caspar-Jürgens

Wer sein Kind liebt … (Buchbesprechung)

Franziska Klinkigt nimmt es mit geläufigen Redensarten wie auch mit den Beziehungen zwischen uns Menschen genau. Als Psychologin und Mutter von zwei Kindern hat dies bei ihr zur Folge, dass sie sich mit tief verankerten Glaubenssätzen – wie der im Buchtitel angedeuteten, an

Photo
von Johannes Heimrath

Selbstkritik

Nach allem, was ich heute weiß, sollte ich die Zeit, die ich mit dem Schreiben dieses kleinen Texts zubringe, besser unserem Acker widmen. Bäume schneiden, Pflanzlöcher für eine Hecke ausheben, die Maulwurfshügel glattziehen, Gerätschaften nachsehen – solche

Photo
Bildungvon Tabea Kratzenstein

Kochen kam zuerst

Vom Grundschulalter an war ich siebeneinhalb Jahre nicht in der Schule. In ­dieser Zeit hatte ich die Muße, heraus­zufinden, was mir wirklich wichtig ist. Ab der 8. Klasse bin ich den normalen Weg an staatlichen Schulen gegangen und habe mein Abitur gemacht – also ganz klassisch. Wie viele andere bin ich jetzt auf Orientierungssuche.

Ausgabe #37
Die große Illusion

Cover OYA-Ausgabe 37
Neuigkeiten aus der Redaktion