Titelthema

Selbstkritik

Auch Oya dient dem megatechnischen Pharao.
von Johannes Heimrath, erschienen in Ausgabe #37/2016
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Nach allem, was ich heute weiß, sollte ich die Zeit, die ich mit dem Schreiben dieses kleinen Texts zubringe, besser unserem Acker widmen. Bäume schneiden, Pflanzlöcher für eine Hecke ausheben, die Maulwurfshügel glattziehen, Gerätschaften nachsehen – solche wesentlichen Sachen wären jetzt dran. Warum tue ich es nicht?

Schuld hat der megatechnische Pharao! Er zwingt mich ­unter sein Joch, genauso wie er es mit Ihnen, liebe Leserin, lieber ­Leser, tut. Von außen sieht er aus wie das schöne, wohlständige, umweltbewusste Leben in unserer hart erkämpften Demokratie. Er schmückt sich mit grünen Bändern, auf denen goldgestickt steht: »Energie­wende!«, »Nachhaltiges Investment!«, »Gesundes Alter!«, »Die ­Armut besiegen!«, »Frieden schaffen durch intelligente Waffen!«, »Zwei Grad höchstens? Kein Problem!« Doch unter dieser Hülle hungert eine nimmersatte Maschinerie, die unser stetes Opfer fordert. Wie narkotisert arbeiten wir unter der Fron gebeugt, als wären wir alle auf ein Netzkabel gefädelt, das mitten durch unsere fühlenden Herzen geht und uns ständig die 3D-Illusion übermittelt, es würde am Ende alles gut werden. Zu süß singen die Sirenen des Pharaos, als dass wir die Kraft fänden, uns die Markenleibchen vom Leib zu reißen und uns für die Zukunft unserer Enkel zu erheben.
Ich bin keine Ausnahme. Obwohl ich mich anstrenge, dem megatechnischen ­Pharao so wenig wie möglich zu opfern, gelingt mir das nur jämmerlich: Ich besitze kein Smartphone, keine elektrische Zahnbürste, keine Musikanlage und keinen Fernseher, ich trage keine Shirts, auf denen »Dreamland« oder »No Future« steht.
Aber ich sitze vor einem MacBook Pro und »arbeite« an einem Produkt der ressourcenfressenden Medienindustrie. Auch wenn der Computer schon ein paar Jahre alt ist, ist er eines der Produkte, die mich zum Sünder machen: Nur die heutige Globalwirtschaft mit all ihren längst irreversiblen Schadwirkungen auf die Biosphäre macht es möglich, über so ein Werkzeug zu verfügen – und eine Zeitschrift wie Oya herzustellen. Geschickt hat der megatechnische Pharao sein Maschinenwerk so konstruiert, dass nicht das kleinste Teil daraus weggelassen werden könnte, ohne massive Funktions­störungen zu erzeugen, die auch meinen Handlungsspielraum schmälerten. Allein – statt am Bildschirm zu layouten – zu gemütlich geklebten Seiten zurückzukehren, ist ganz und gar unmöglich geworden. Vorwärts, von Innovation zu Innovation peitscht uns der Pharao in wuchernde Rebound-Effekte hinein! Wie der Blitz sind die Daten der fertigen Seiten quer durch das Land zur Drucke­rei gebeamt, und keine 24 Stunden später wirft der Kurier nach 900 Autobahn­kilometern, vielen Förderbändern, Kaffeeautomaten, Sanifair-Klobrillen und MP3-Songs den Andruck auf unseren Tisch.
Geld ist das Öl, das alles schmiert. Ginge ich jetzt in den Garten, um das Wesentliche zu tun, würde dieses Heft nicht fertig werden, würden unsere Lohnabhängigen kein Gehalt bekommen, würde dem Drucker das Einkommen fehlen, auch dem Papiermacher, dem Holzerntemaschinenfahrer. Will ich schuld sein an der Arbeits­losigkeit des Fernfahrers und des Karosseriebauers? Will ich schuld sein daran, dass die Informationen in diesem Heft – von ­denen manche glauben, sie seien für ein gutes Leben essenziell – die ­danach dürstenden Menschen nicht erreichen? Und somit die vielbeschworene (R)Evolution wieder nicht zustande kommt?
Freilich nicht! Und so nutze ich das gesamte superproduktive, superbequeme Arsenal, das mir der megatechnische Pharao wie ­Zuckerberg, pardon: Zuckerbrot, zur Verbreitung dieser Gedanken – zur Produktion dieser Oya-Ausgabe – anbietet, um mich die Fesseln meines Eingebundenseins in den weltzerstörerischen Machbarkeitswahn weniger hart spüren zu lassen. – So meint er. Doch ich spüre seine Peitsche hart. Mit ­jedem Tag brennt sich der Schlag tiefer in mich ein: Wie, wie, wie nur muss ich handeln, um den Pharao zu entmachten, zu stürzen, um ihn endgültig in den Staub der Geschichte sinken zu lassen? Mir Einzelnem gelingt das nicht. Dazu bedarf es vieler, vielleicht zehn Prozent der heutigen Menschheit, vielleicht zehn Prozent der deutschen Gesellschaft – das wären schon an die acht Millionen Sklaven, die sich gemeinsam mit mir an die Demontage des Pharaos ­machen müssten. Aussichtslos?
Der »megatechnische Pharao« – eine brillante Metapher, die der Philosoph Jochen Kirchhoff gefunden hat – ist mir ein lieberer ­Begriff als der von Lewis Mumford geprägte und jüngst von Fabian Scheidler glänzend entstaubte Begriff der »Megamaschine«. Beides meint zwar dasselbe, doch der megatechnische Pharao entblößt die Vergötzung der Megamaschine, deren Gier nach Geld- und ­Gütervermehrung wir durch immer »bewussteres« Shopping, mit jedem zur Produktion von »nachhaltiger« Technik verheizten Tropfen Öl, jeder elektronisch kommunizierten Wichtigkeit zu stillen verurteilt sind – und das befeuert meine Emotio­nen mehr, als es die bloße Maschine tut: Die könnte man einfach abschalten. Ein gött­liches Wesen hingegen knipst man nicht so einfach aus.
Der megatechnische Pharao ernährt sich vom menschlichen Ingenium. Er spiegelt denen, die das Kapital immer schneller bei sich akkumulieren, vor, sie seien die gottgesandten Entscheider des Universums, denen es nun sogar zustünde, Staaten zu lenken. Und er raubt denen, die das Kapital schaffen, die Zeit, dar­über nachzudenken, wie ein gutes Leben ohne besagtes Netzkabel gelingen könnte. Was muss ich unterlassen, damit in mir der Raum entsteht, über das Wesentliche auch dieser Zeitung nachzudenken? Denn wenn ich schon nicht auf den Acker gehe, um das Wesentliche zu tun, so will ich wenigstens so weit gehen und Oya als Medium begreifen, dem ebenfalls ein Wesen eignet – zumindest das Wesen eines von Menschen für Menschen geschaffenen Werks. Es ist auch nicht tot, das Papier, das Sie da vor sich sehen! Jede Faser des Blatts vor Ihnen war ­länger ­lebendig, als Sie an Lebensjahren zählen – und sollte denn in den Atomen des Stoff­lichen kein Erinnern an frühere Stoffwechsel – an etwas »Wesent­liches« – ­leben? Diese Frage stelle ich oft, doch der ­Pharao lacht: »Selbstverständlich bist du mit dem Stahl meiner ­Maschinen verwandt und auch mit dem Kohlenstoff­atom, das soeben durch den Schlot des Kraftwerks, das den Strom für deinen Computer liefert, in die Luft wirbelt! Bück dich, du Aufmüpfiger, damit ich dir eins überziehen kann!«
Doch halt – ist das nicht schon wieder ein Trick, mit dem der Pharao seine Existenz sichert: pflanze den Sklaven Friedfertigkeit ein, ächte den Zorn, preise das Bewusstsein der Verbundenheit!? Ist Oya mit all ihrem guten, sanften und ermutigenden Inhalt womöglich auch nur eine Pille, mit der uns der Pharao betäubt? Auf dass wir den Wert der Information höher schätzen als den offensichtlichen Beitrag, den auch dieses Heft wieder zur Ausbeutung von Welt und Mensch leistet? Gehört etwa der Gedanke, auch Dissidenten müssten doch irgendwie in der Welt vernehmbar sein, ebenfalls zum schlauen Erhaltungsmechanismus der Maschine? Oder geht der Pharao noch perfider vor und schürt die Wut der­jenigen, die den freien, aufrechten Gang hassen, treibt sie grölend auf die Straße, so dass feinsinnigere Menschen vor Abscheu verstummen? Schon hat er »Empörung« als Option ­seinen willigsten Sklaven zugeteilt und jenen Menschen entrissen, die es aufgrund ihrer humanistischen Beiß­hemmung bisher nicht gewagt haben, die Kabel zu kappen, durch die der Lebenssaft des Pharaos fließt. – Mist!

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