Gemeinschaft

Anders weiterwachsen

In der Gemeinschaft Schloss Blumenthal drehte sich fast alles um Gäste. Das könnte sich jetzt ändern.
von Annika Mayer, erschienen in Ausgabe #38/2016
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© Christian Krinninger

Wir waren froh und stolz über die Einladung zu dem Treffen und diskutierten ausgiebig, wer von uns mitfahren würde. Bis vor Kurzem steckten unser Austausch und die Kooperation mit anderen Gemeinschaften noch in den Kinderschuhen. Der Aufbau unserer Betriebe – das Gasthaus und das 80-Betten-Hotel –, die Baustellen und all die damit verbundenen Themen haben wenig Raum für anderes gelassen.

Was wir gut können
Blumenthal ist eine Gemeinschaft, aber es ist auch ein Wirtschaftsunternehmen. Das Schloss nahe Augsburg war immer schon ein wichtiger Wirtschaftsstandort im Wittelsbacher Land und auch ein öffentlicher Platz. Generationen von Menschen aus den umliegenden Dörfern haben einen Bezug zu Blumenthal, weil ihre Eltern und Großeltern dort einst ihren Lebensunterhalt verdienten, weil sie selbst als Kinder im Schlosspark getobt oder den Biergarten besucht haben. Das Deutschherrenorden-Wasserschloss und das Fuggerschloss, das wir zum Hotel ausgebaut haben, sind Orte mit einer langen Geschichte. Schloss Blumenthal war jahrhundertelang ein Gutshof mit viel Land und einer Gastronomie, und so gab es von jeher eine große Anzahl an Angestellten aus der Umgebung. Die erste Generation der Neu-Blumenthaler bestand aus sechs Unternehmerfamilien – von Anfang an war klar, dass Arbeit und Gemeinschaft vereint werden sollten.
Mittlerweile sind wir auf 40 Personen gewachsen. Wir üben uns in dem ­Spagat, auf die Menschen in unserem Umfeld zu­zugehen und unserem Anspruch an Gemein­schaft und Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Besonders unser Gasthaus mit dem wunderschönen Biergarten ist der Ort, an dem die unterschiedlichsten Lebenswelten zusammenkommen. Der konventionelle Bauer aus dem Nachbarort, der seinen sonntäglichen Krustenbraten bei uns in Bioqualität bestellt, die vegane Yogalehrerin aus den USA und der BMW-Betriebsleiter, der sich bei uns in Personalentwicklung schult, treffen hier aufeinander. Tagtäglich versuchen wir, unterschiedlichste Bedürfnisse unter einen Hut zu bekommen. Seit diesem Jahr gibt es in unserem Restaurant nur noch Biofleisch – in einer Gegend, wo der Krustenbraten traditionell unter 10 Euro zu kosten hat, ist das eine echte Herausforderung. Umso schöner ist es, wenn die Bereitschaft wächst, auch mal 2,50 Euro mehr zu bezahlen oder eines der vegetarischen Gerichte zu probieren.
Der Versuch, Vielfalt an unseren Ort einzuladen, ist die eine Seite, die Verantwortung als Arbeitgeber eine andere. Je nach Saison beschäftigen wir zwischen 40 und 70 externe Angestellte – Menschen aus der Umgebung und aus der ganzen Welt. Hier gilt es, die Waage zu halten zwischen den Idealen der Gemeinschaft und der Realität in einem kapitalistischen Umfeld. Nicht jeder externe Mitarbeiter kann mit Ansätzen wie »alle entscheiden gemeinsam« oder »Konsens« etwas anfangen; manche fühlen sich von der Dynamik unserer Entscheidungsfindung überfordert. Andererseits gibt es in der Gemeinschaft manchmal Unverständnis für Entscheidungen, die aus betriebswirtschaft­lichen und organisatorischen Notwendigkeiten heraus entstehen. Vor der Eröffnung des Hotels musste z. B. stets einem guten Teil der Mitarbeiter nach der Sommersaison gekündigt werden, und auch die Umsetzung eines Bio-Restaurants ließ sich nicht sofort verwirklichen. Während in den ersten Jahren noch alle mitredeten, gibt es nun eine feste Projektgruppe, die das Tagesgeschäft leitet. Betrieb und Gemeinschaft noch weiter voneinander zu trennen, ist wohl eine Notwendigkeit, die – ob beliebt oder nicht – in der nächsten Zeit auf uns zukommen wird. Das gastronomische Unternehmen könnte als Goldesel bzw. »Cashcow« für die Entwicklung der Gemeinschaft dienen.

Krustenbraten – und was sonst?
»Hier geht es ja nur um Geld und Business«, mag der eine oder andere kritische Leser denken. Gibt es überhaupt noch weitere Themen, die von Bedeutung sind?
Die gibt es, und sie gewinnen Tag für Tag an Raum. Schloss Blumen-thal ist ja noch eine relativ junge Gemeinschaft – nächstes Jahr feiern wir unser zehnjähriges Jubiläum. Das Gemeinschaftstreffen in Tempelhof brachte neue Anregungen: Dass wir eher zu den Neulingen gehören, wurde uns dort bewusst, als sich die Gemeinschaften in der Reihenfolge ihres Bestehens vorstellten. Was also könnten neue Entwicklungsimpulse sein?
Der Fokus lag in den letzten Jahre tatsächlich sehr stark auf dem Unternehmen. Es galt, ein riesiges Schiff zu bauen und dieses im stürmischen Meer der unterschiedlichen Ansprüche auf Kurs zu halten. Nun endlich fühlt es sich so an, als seien wir Kapitäne auf dem Schiff. Wir haben ein stabiles Mitarbeiterteam, die Umsätze stimmen, und die Abläufe werden mehr und mehr zur Routine. Jetzt, wo die ökonomische Basis steht, werden Kapazitäten für neue Projekte und das, was wirklich wichtig ist, frei. Spontan haben wir etwa einen Hilfstransport nach Lesbos samt Spendenkonzept auf die Beine gestellt und Mitte Januar fünf Gemeinschaftsmitglieder nach Griechenland geschickt. Neben dem Verteilen von Schuhen, Decken und Winterjacken war es uns ein großes Anliegen, uns mit den Prozessen und dem Alttag auf der Insel künstlerisch auseinanderzusetzen. Die Idee bestand darin, durch ästhetische Fotografien und mittels Interviews mit unterschiedlichsten Menschen auf ­Lesbos neue Aspekte der Flüchtlingsthematik sichtbar zu machen.
Außerdem verbringen wir gerade viele Stunden mit der Überarbeitung unserer Ziele. In den letzten Jahren ist zu unseren Grundsäulen »Soziales«, »Ökologie«, »Ökonomie« sowie »Kunst und Kultur« die fünfte Säule »Gesundheit« hinzugekommen. Das sind unsere Eckpunkte – aber ist das auch schon eine Vision?
Welche Rolle könnte eine gemeinsame Vision bei dem Wunsch nach Neuorientierung spielen? Beim Gemeinschaftstreffen in Tempelhof meinten einige, dass manchmal auch die »heilige Kuh der Vision« geschlachtet werden dürfe – ebenso wie der Anspruch der gleichberechtigten Führung, mit dem wir immer wieder zu kämpfen haben. Sogar das Konsensprinzip durfte auf dem Treffen in Frage gestellt werden. Das hat unsere Blumenthaler Delegation erleichtert und beflügelt: Wir können uns weiterentwickeln, ohne den Anspruch an Perfektion haben zu müssen – selbst konkrete Ergebnisse sind kein Muss! Sogar das Scheitern von Vorhaben ist okay und hat einen Wert für die Gemeinschaft, wenn wir es in Verbundenheit erleben und uns nicht in gegenseitigen Schuldvorwürfen verlieren. Das Wahrnehmen des gemeinsamen Innenraums und der ehrliche Austausch darüber scheinen wichtiger als äußere Konzepte zu sein. Diese Erkenntnisse müssen nun verdaut und auch für die zu Hause gebliebenen Gemeinschaftsmitglieder zugänglich gemacht werden. Klar ist für uns, dass wir einen neuen Fokus auf die Vernetzung mit anderen Gemeinschaften legen wollen. Der Austausch über Erfahrungen und spe­zielle Qualitäten erscheint möglich und für alle Seiten lohnenswert. Blumenthal hat viel betriebliche Erfahrung, wir haben schon aus vielen Fehlern gelernt.
Man könnte sagen: Business ist unsere Stärke, und in anderen Bereichen haben wir noch Defizite. Wenn es gelingt, den Erfahrungsschatz von anderen Gemeinschaften zu nutzen, wird es uns möglich sein, große Dinge mit relativ geringem Energieaufwand umzusetzen – denn wir haben noch viel vor: Im nächsten Jahr wollen wir eine Landwirtschaft mit Gärtnerei und Ziegenherde aufbauen, und vor allem wollen wir weiter wachsen.
Weil es uns aber zunächst darum geht, einige neue Familien in unsere Gemeinschaft zu integrieren, haben wir für die nächste Zeit einen Aufnahmestopp beschlossen. Einzige Ausnahme sind Menschen, die mehrjährige Erfahrung in der Landwirtschaft mitbringen. Für die neuen Menschen brauchen wir weiteren Wohnraum, und so gelangt gerade eine Passion Blumenthals wieder in den Mittelpunkt: Nach einer fast einjährigen Baupause geht es endlich weiter mit einem Dachausbau und der Komplettsanierung eines der letzten unrenovierten Gebäude im Schlossareal. Endlich gibt es wieder etwas zu tun! •


Annika Mayer (39) lebt seit vier Jahren auf Schloss Blumenthal. Dort ­leitet sie die Administration und sieht sich als Schnittstelle zwischen Gemein­schaft und Betrieb. Neben der Bürokratie kümmert sie sich gemeinsam mit ihrer sechsjährigen Tochter um die Blumenthaler Esel.


www.schloss-blumenthal.de

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