Die Haltung von Arbeitspferden in der Landwirtschaft ist umweltschonend und kann ein Lebensmodell sein, das sich auch ökonomisch lohnt.von Sonja Korspeter, erschienen in Ausgabe #38/2016
Der Hof Laas liegt auf 1150 Metern Höhe im Berner Juragebirge auf einem großen Plateau mit blumenbewachsenen Wiesen und einzelnen Getreidefeldern. Von Frühling bis Herbst sind die 22 Milchkühe auf den Weiden. Die Milch wird an eine kleine Käserei im Dorf geliefert und zu hochwertigem Gruyère verarbeitet. Der Verkauf von etwas Kalbfleisch, Dinkel und Kartoffeln sowie gelegentliche Kutschfahrten sorgen für ein Zusatzeinkommen. Emanuel und Ursina haben sich vor 15 Jahren nach Ausbildung und Arbeit in der Landwirtschaft entschieden, selbst einen Biobetrieb mit Arbeitspferden – schwere Warmblüter der Rasse Alt-Oldenburger – aufzubauen.
Schritt für Schritt In den ersten Jahren wurde ein Großteil der landwirtschaftlichen Aufgaben mit dem Traktor erledigt. »Wir brauchten Zeit, um Erfahrungen in der Pferdearbeit zu sammeln und zu verstehen, dass mit Arbeitspferden sehr vieles möglich ist.« Der Milchtransport zur Sammelstelle, das Schleppen der Wiesen und auch die Getreidesaat wurden von Anfang an mit den Pferden erledigt. Bald kamen auch das Eggen, Pflügen und Miststreuen sowie Setzen, Häufeln, Hacken und Graben der Kartoffeln dazu. Bei der Futterernte kommt ein Kreiselheuer mit Aufbaumotor zum Einsatz. Emanuel und Ursina möchten den Anteil des Pferdeeinsatzes auf dem Hof weiter erhöhen. Deshalb haben sie im letzten Jahr die siebenjähre Stute Dunja gekauft und arbeiten nun bei der Heuernte mit zwei Gespannen. Emanuel: »Wir haben außerdem eine neue Maschine angeschafft, einen Sternradschwader zum Aufrechen mit Vorderwagen für Pferdezug. Da der neue Schwader eine größere Arbeitsbreite als der alte, traktorbetriebene hat, wird das langsamere Tempo der Pferde über die größere Effizienz des Geräts fast ausgeglichen.« Ihren Zweittraktor haben die ZwickySchmids kurz darauf verkauft. So wie viele ihrer Kollegen hatten sie die Erfahrung gemacht, dass – wenn die Wahl besteht – unter Zeitdruck häufig der Traktor den Pferden vorgezogen wird. Um dies zu verhindern, haben sie die meisten landwirtschaftlichen Geräte nur noch entweder für den Pferdezug oder für den Traktor.
Ein anderer Rhythmus Für landwirtschaftliche Arbeiten braucht man im Normalfall mit dem Pferd mehr Zeit. Klaus Strüber vom Hof Hollergraben in Schleswig-Holstein hat die Erfahrung gemacht, dass Pferde bei einigen landwirtschaftlichen Arbeiten, etwa beim Pflügen, für dieselbe Fläche rund dreimal so lange brauchen wie ein kleiner Traktor. Doch Langsamkeit ist nicht immer schlecht. Emanuel meint: »Unsere Nachbarn arbeiten bei der Heuernte von morgens bis abends durch. Mit den Pferden kommen wir gar nicht erst in Versuchung, pausenlos zu arbeiten. Sie würden dies kräftemäßig gar nicht schaffen. In Spitzenzeiten kann es vorkommen, dass die Pferde bei uns sechs Stunden schaffen. Das führt dazu, dass wir auch als Menschen in einem gleichmäßigen Arbeitsrhythmus bleiben.« Ursina erläutert, dass der Einsatz von Pferden deshalb auch mehr Planung nötig macht: »Es ist nicht möglich, morgens in den Himmel zu schauen und spontan eine Arbeit mit den Pferden anzusetzen, die viel Kraft erfordert oder viele Stunden dauert. Wir müssen im Vorfeld schon im Kopf haben, welche Arbeiten wann anstehen, und die Pferde entsprechend trainieren.« Kontinuität ist das Stichwort. Maschinen können aus der Remise geholt, benutzt und wieder zurückgestellt werden. Pferde dagegen brauchen regelmäßiges Training, um den Aufgaben auf dem Hof gewachsen zu sein. Da die Pferdearbeit in der Landwirtschaft sehr ungleichmäßig über das Jahr verteilt ist, sollte auch aus letzterem Grund über zusätzliche Einsatzbereiche für die Tiere nachgedacht werden. Emanuel und Ursina bieten Kutschfahrten an, fahren selbst mit den Pferden aus oder genießen einen schönen Ausritt. Doch auch Waldarbeit, Reitplatzpflege, Schneeräumen, Fahrsport oder therapeutisches Reiten können gute Möglichkeiten sein, die starken Tiere fit zu halten.
Leidenschaft unerlässlich Pferdearbeit in der Landwirtschaft ist nur möglich, wenn man das Zusammensein und -arbeiten mit Pferden liebt. Selbstverständlich brauchen die Tiere einen sauberen Stall, Auslauf und Weide, Pflege und Fütterung. Ihre Ausbildung und gegebenenfalls Aufzucht benötigen Zeit. Kein Tag ist dabei wie der andere; man muss sich immer wieder neu auf das Lebewesen Pferd einlassen. Nur wenn die Mensch-Tier-Kommunikation gelingt, kann die Arbeit erfolgreich sein und Freude machen. Ich schaue Emanuel und Ursina beim Kartoffelsetzen zu und spüre ihre feine Verbindung mit den Pferden. Lord bekommt ein ruhiges Kommando, er stellt sich daraufhin langsam an die Maschine und lässt sich gelassen anspannen. Am Feldende dreht das Pferd auf engstem Raum und zieht wiederum zentimetergenau die Kartoffel-Setzmaschine bis zum anderen Ende des Feldes zurück. Emanuel, Ursina, aber auch die beiden Töchter Anna und Flurina verbringen eine Menge Zeit mit den Tieren – Zeit, in der nicht nur ökonomischer Mehrwert, sondern auch Familienerlebnisse und Zufriedenheit entstehen. Den 13-jährigen Sohn Gian-Luca interessieren die Pferde aktuell eher weniger. Er freut sich darauf, bald die Traktorprüfung machen zu dürfen.
Traktorgeräte Man findet sie immer wieder: alte landwirtschaftliche Geräte für den Pferde- zug. Manchmal funktionieren sie noch gut und sind sogar günstig zu haben. Die Beschaffung von Ersatzteilen und die Reparatur von Geräten aus den 1950er Jahren können sich jedoch schwierig gestalten. Interessanter mag es deshalb sein, den Einsatz von Arbeitspferden mit moderner Gerätetechnik zu kombinieren. Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste sind Vorderwagen für den Pferdezug, welche die Nutzung von Geräten ermöglichen, die für den Traktor entwickelt wurden. Allerdings müssen die Pferde bei dieser Lösung zusätzliches Gewicht ziehen; das ganze Gespann wird zudem länger und weniger wendig. Einige dieser Vorderwagen verfügen über Hilfsmotoren, um das zusätzliche Gewicht auszugleichen oder um Spezialgeräte – etwa eine Rundballenpresse –, bei denen die Zapfwelle auch im Stand laufen muss, zu betreiben. Die Nutzung eines Hilfsmotors muss in puncto Ressourceneffizienz freilich kritisch gesehen werden. Immerhin ist der Dieselverbrauch bei Vorderwagen mit Aufbaumotoren – je nach Art und Zustand der Geräte – aber noch um 60 bis 90 Prozent geringer als beim Traktoreinsatz.
Moderne Pferdezuggeräte Praktischer und effektiver als die Umnutzung von Traktorgeräten ist der Einsatz von Geräten, die mit dem heutigen technischen Wissen speziell für die Pferdearbeit entwickelt wurden. Die Gemeinschaft der Amischen in den USA setzt aus religiö-sen Gründen ganz auf Pferdekraft. Sie ist bei der Entwicklung und Erprobung neuer Geräte führend. Die Interessengemeinschaft Zugpferde (IGZ) organisiert einmal jährlich den Transport eines Containers mit Pferde-geräten nach Deutschland. 6000 Franken hat Stefan Moser aus der Schweiz für einen Miststreuer gezahlt. Das ist nicht mehr als man für ein traktorgezogenes Gerät ausgeben würde – aber immer noch eine Stange Geld, wenn man zusätzlich noch all die anderen Spezialgeräte für die Grünlandbewirtschaftung braucht: Mäher, Schwader, Walze, Transportwagen etc. Die Geräte aus den USA sind mitunter auch für das Flachland und große Flächen konzipiert und deshalb nicht unbedingt für den Gemüsebau oder den Einsatz in Bergregionen geeignet. Auch in Europa gibt es kleinere Firmen, die sich um Entwicklung und Vertrieb von Pferdegeräten bemühen. In Frankreich ist dies beispielsweise »Prommata«. Ihre Spezialität sind Kleingeräte für den Gemüsebau, die auch in afrikanischen Ländern guten Anklang finden. Sie sind einfach aufgebaut, lassen sich gut reparieren und verfügen über viele Module. So benötigt man nur ein Grundgerät und die entsprechenden Aufsätze. In Deutschland gibt es das Unternehmen »Schmitz Pferdezugtechnik«, das seit vier Jahren moderne Pferdegeräte entwickelt. In Luxemburg engagiert sich der Verein »Schaff mat Paerd« bei der Entwicklung und beim Vertrieb von Geräten. Berater Klaus Strüber sieht die Zukunft in leichten Vorderwagen, kombiniert mit modernen, bodenangetriebenen Pferdezuggeräten. Eine sehr gute Gelegenheit, die ganze Bandbreite traditioneller und moderner Geräte des Pferdezugs kennenzulernen, ist die von der IGZ alle zwei Jahre organisierte Veranstaltung »Pferdestark«.
Arbeitspferde sind gut für die Umwelt Der Einsatz von Arbeitspferden ist nicht nur wegen der besonderen Mensch-Tier-Beziehung sowie der Ressourcen-Effizienz – Heu und Hafer statt Diesel – von Vorteil. Die Bodenverdichtung durch Traktoren und schwere Geräte ist in der heutigen Landwirtschaft ein großes Problem. Mit jeder Überfahrt wird der Boden ein Stück mehr zusammengestaucht, was seine Fähigkeit, Wasser und Nährstoffe zu speichern und zu transportieren, herabsetzt. Es kommt dann zu Staunässe oder zu Trockenrissen, das Bodenleben geht zurück, und die Erträge werden nach und nach geringer. Im Ökolandbau sind übrigens aufgrund des Verzichts auf chemische Schädlings- und Unkrautbekämpfungsmittel häufig besonders viele Traktordurchfahrten nötig, um die Kulturen zu pflegen. Beim Einsatz von Arbeitspferden ist die Krafteinwirkung auf den Boden nicht nur geringer, sondern auch punktueller. Dort, wo die Hufe den Boden berühren, findet Verdichtung statt. Doch in den Zwischenräumen sind die Bodenlebewesen weiterhin sehr aktiv und können nach und nach den Boden an den relativ kleinen verdichteten Stellen wieder lockern. Beim Einsatz des Traktors dagegen bleibt es nicht aus, dass durch das hohe Gewicht und die Fläche der Reifen breite Streifen des Bodens stark verdichtet werden. Pferde können durch Heu und Kraftfutter von den eigenen Flächen ernährt werden. Hierzu werden nach Charlie Pinney zwischen 11 und 18 Prozent der bewirtschafteten Fläche benötigt. Der Dung der Tiere steht dem Boden wieder zur Verfügung. Pferdemist verrottet zwar langsamer als Rindermist und muss sorgfältiger kompostiert werden – doch dann ist er für Bodenlebewesen von großem Wert, denn die Fruchtbarkeit und die Ertragsfähigkeit des Bodens werden gefördert. Auch die größere Nähe des Menschen zum Boden bei der Arbeit mit Pferden ist von Vorteil. Wer hinter dem Pferd her geht oder maximal einen Meter über ihm sitzt, kann Bedürfnisse und Probleme des Bodens besser wahrnehmen.
Lohnt sich Pferdearbeit? Die Familie Zwicky-Schmid kann von ihren Einnahmen leben. Alle Schulden sind bezahlt, und sie fahren auch mal in die Ferien. In diesen Zeiten kümmern sich ehemalige Lehrlinge um die Tiere auf dem Hof. Die Pferde kommen dann allerdings wenig zum Einsatz, wie Emanuel erkärt: »Es gibt kaum Leute, denen ich die Leinen in die Hand drücken kann. Das ist mit dem Traktor einfacher, den kann fast jeder fahren.« Aus diesem Grund plädiert Klaus Strüber in seinen Kursen für Hofgründer und Pferdearbeit auch dafür, dass der Verantwortliche für die Arbeit mit den Pferden durch weitere Personen, die die entsprechenden Aufgaben auszuführen wissen, ersetzt werden kann. Die Arbeit mit Pferden in der Landwirtschaft kann wirtschaftlich aufgehen. Investitions- und Unterhaltskosten sind deutlich geringer als beim Einsatz von herkömmlichen motorisierten Maschinen. Die Lohnkosten hingegen fallen aufgrund des größeren Zeitaufwands höher aus. Ob sich Pferdearbeit rentiert, hängt von vielen Faktoren ab: Betriebsgröße, Flächenlage, Gerätequalität, Pferdeausbildung, (un-)passender Boden oder Kulturen für den Einsatz von Arbeitspferden – und Kunden, die bereit sind einen fairen Preis zu zahlen. Entscheidende Fragen, die sich jeder vor dem Einstieg oder Umstieg auf Pferdearbeit stellen sollte, sind: Habe ich ein tragfähiges Konzept? Bin ich gut ausgebildet und körperlich fit? Und ganz zentral: Habe ich genug Herzblut für das Arbeiten mit Pferden? •
Sonja Korspeter (40) studierte Soziologie und ist freie Journalistin. Aktuell baut sie eine Internetseite für den Austausch bäuerlichen Erfahrungswissens auf. www.terrABC.org