Eine Reise in die Welt der Obstbrände mit dem Kleinbrenner Daniel Kehret.von Leonie Sontheimer, erschienen in Ausgabe #39/2016
Auf einer schmalen Landstraße, mitten in der vegetationsarmen Weite Süd-Namibias, entdecke ich eine Dattelpalmen-Plantage. Am Straßenrand steht unter ein paar Bäumen eine Scheune. Sie sieht aus wie eine Raststätte, und mein Reisegefährte und ich wollen dort einen Kaffee trinken. Anstelle eines Restaurants betreten wir jedoch eine Brennerei. Hinter der Theke empfängt uns Daniel, und für die nächste Stunde zieht er uns in seinen Bann. Er zeigt uns die Brennanlagen, lässt uns hochprozentigen Alkohol riechen und schenkt uns einen neu kreierten Gin ein. Daniel brennt fürs Brennen, und der Funke springt leicht über.
Der 19-jährige Daniel Kehret absolviert bei der namibischen Brennerei »Kristall« ein Praktikum. Er stammt aus Deutschland; in einem Tausend-Einwohner-Dorf im Badischen nahe Straßburg führt sein Vater nebenberuflich eine Kleinbrennerei. Sein Handwerk hat in der von kleinbäuerlichem Obstbau geprägten Region Tradition. »Früher war Schnaps nicht Schnaps, sondern konserviertes Obst«, erklärt Daniel. Eine Obsternte sei viel zu groß, um gleich konsumiert oder eingekocht zu werden. Das Brennen basiert auf einem recht einfachen Grundprinzip, das sich ins Unendliche verfeinern lässt. »Am Anfang wird gutes Obst eingemaischt, also zerkleinert und mit Hefe versetzt«, beginnt Daniel. »Dabei ist ›gut‹ nicht gleichbedeutend mit ›hübsch‹, sondern meint, dass das Obst einen hohen Zuckergehalt hat und geeignete Aromen enthält.« Um 10 Liter Alkohol herzustellen, werden mehr als 150 Liter Maische benötigt. Deswegen verwenden selbst kleine Brennereien für das Einmaischen große Mixmaschinen. Die fertige Maische wird für etwa zwei Wochen in einen luftdichten Behälter gefüllt. Bei der richtigen Temperatur beginnen die Hefen und andere Mikroorganismen, die auf dem Obst natürlicherweise vorkommen, mit der Gärung. Sie wandeln Zucker in Ethanol (Trinkalkohol) und Kohlenstoffdioxid um. Je nach Volumen der Maische verwenden Daniel und sein Vater 1000-Liter-Tanks aus Edelstahl oder 120-Liter-Fässer aus Plastik von den Firmen Speidel und Graf. Speidel wirbt für seine Edelstahl-Behälter mit »spiegelglatten Oberflächen« und »fugenlosen Schweißnähten«, an denen kein Schmutz haften bleibe. Früher gärte die Maische in Holzfässern, doch heute unterliegen die Tanks den Vorschriften des Zolls. Eine davon besagt, dass an der Oberfläche kein Schmutz haften bleiben darf – ein Kriterium, an dem jedes Holzfass scheitert. Das Ende des Gärprozesses lässt sich am Gärröhrchen ablesen, das aus dem Deckel des luftdicht verschlossenen Tanks ragt. In dem zweifach gebogenen Rohr steht Wasser. Wenn das Kohlenstoffdioxid entweicht, blubbert es darin. Sauerstoff hingegen kann nicht eindringen. Das ist wichtig, denn sonst würde sich der Zucker der Maische in Essig statt in Alkohol umwandeln. Ist der Gärprozess beendet, sind keine Bläschen mehr im Wasser des Gärspunds zu sehen. Um dem Obstbrand eine feine Note zu verleihen, kann er nach der Gärung gelagert werden. »Mirabellenkerne geben zum Beispiel einen Mandelgeschmack, wenn man die Mirabellenmaische etwa zwei Monate lang lagert«, erzählt Daniel. Im Betrieb seines Vaters werden Brände aus Äpfeln, Birnen und Mirabellen von den eigenen Streuobstwiesen hergestellt, ebenso Liköre. »Liköre kann man super selber machen«, sagt Daniel. »Man kauft neutralen Alkohol und setzt den dann in einem großen Glas mit entsteinten Kirschen oder anderem Obst an.« Nach drei Wochen Ziehzeit gibt man nach Gusto Zucker hinzu, filtert das Gemisch, und dann: zum Wohl!
Im Brennkessel Im nächsten Schritt kommt die Maische in den kupfernen Brennkessel. Dieser Teil ist für Daniel der Schönste: »Alle Arbeiten drumherum sind Aufwand.« Als er noch zur Schule ging, schwänzte er oft den Französischunterricht, um mit seinem Vater am Kessel zu stehen, wo das Obst – wie er sagt – veredelt wird. »Die Maische wird in der Brennblase erhitzt. Weil Wasser bei 100 Grad Celsius, Ethanol aber bei 78 Grad siedet, steigt der Alkoholdampf als erstes auf«, erklärt Daniel. Durch ein »Geistrohr« entweicht er in den Kühler, wo er zu flüssigem Alkohol kondensiert. Die erste Flüssigkeit, die aus dem Hahn kommt, wird Vorlauf genannt. Dieser enthält giftiges Methanol und wird daher nicht aufgefangen. Danach kommt das goldene Stück, der Mittellauf. Da die meisten Aromen im Obst einen ähnlichen molekularen Aufbau besitzen wie das Ethanol, verdampfen sie zur gleichen Zeit. Den richtigen Geschmack einzufangen, ist eine Kunst, die gelernt sein will. Erfahrene Brennerinnen können den Übergang vom Vorlauf zum Mittellauf riechen und schmecken. Daniel zeigt uns, wie: Er streicht mit dem Finger über den Hahn und hält ihn sich vor die Nase. Der hochprozentige Mittellauf wird vor der Weiterverarbeitung mit Wasser auf Trinkstärke verdünnt. Daniel kann bei jeder Frage in seiner heiklen Kunst auf Experten zurückgreifen. Er besucht Seminare der Brennerverbände und fragt ihm wohlgesonnene Brenner nach ihren Betriebsgeheimnissen. Kürzlich hat er bei der Prämierung »Baden Best Spirits« mit einem reinen Apfelbrand Silber gewonnen. Allerdings möchte Daniel zunächst studieren und nur nebenbei brennen.
Strenge Kontrollen Das Brennrecht befindet sich seit etwa 100 Jahren in seiner Familie und ist an den Ort der Brennerei gebunden. Als sogenannte Abfindungsbrennerei darf der Betrieb im Jahr 300 Liter reinen Alkohol herstellen. Die Branche wird streng kontrolliert – die Branntweinmonopolverordnung zählt über 230 Paragraphen. Jeder Vorgang, der in einer mehr als 0,5 Liter fassenden Brennblase geschieht, muss beim Zollamt gemeldet werden. Bisher wurden alle Anträge, die Daniel gestellt hat, genehmigt. Manchmal kommt ein Zöllner zur Kontrolle. »Ich wäre natürlich froh, wenn es nicht so viele Auflagen gäbe«, sagt Daniel. Andererseits werde durch die kleinliche Erfassung ein besserer Steuersatz für die kleinen Brennereien ermöglicht, die sich sonst ihr Handwerk aufgrund der hohen Alkoholsteuer nicht leisten könnten. Abfindungsbrennereien zahlen für 100 Liter Alkohol 1022 Euro, große Betriebe knapp 300 Euro mehr. Obwohl das Brennen strenger Kontrolle unterliegt, boomt die »Craft-Szene«. Überall sprießen Mikrodestillen aus dem Boden. Auf der Internetseite des Berliner Craft-Spirit-Festivals »Destille«, das im April zum fünften Mal stattfand, heißt es dazu: »Craft Spirits: handgemacht in Kleinproduktion, regional verankert, mit Rücksicht auf die Umwelt produziert, ausschließlich aus natürlichen Zutaten.« Wird auf Veranstaltungen wie der Destille Berlin Wissen geteilt, das für eine Postwachstumsgesellschaft relevant ist? Die handwerklich produzierten Spirituosen werden in gleißendem Licht vor einer Jury und potenziellen Käufern präsentiert: urbanen Menschen im Alter von 30 bis 40 Jahren, die sich den Eintritt von 10 Euro geleistet haben und mit jeder Stunde angeschwipster werden. Es geht um schicke Designs und smarte Marketing-Strategien. Die Ausstellerinnen bilden dennoch eine Wissensgemeinschaft. Man kennt sich und teilt die Leidenschaft für guten Alkohol. Die wachsende Nachfrage nach Craft-Spirits bewertet Daniel positiv: »Dadurch kommt mehr Qualität ins Spiel.« Für eine Postwachstumsgesellschaft können wir seiner Meinung nach jedoch noch besser von alten Familienbrennereien lernen: »Diese Betriebe produzieren über Jahrzehnte ohne Steigerung der Produktion und erhalten mit Streuobstwiesen die Flora und Fauna vor ihrer Haustür.« Viele von Daniels Freunden wollen das ihnen vererbte Brennrecht nicht nutzen. Sie verkaufen ihre Kontingente an Betriebe aus den Nachbardörfern. Dies kann auch Neueinsteigern einen Start ins Obstbrand-Handwerk ermöglichen. Das private Brennen ist in Deutschland verboten. Nur wer Brennblasen mit einem Volumen unter einem halben Liter verwendet, muss nicht jeden Brennvorgang anmelden, wenngleich er nicht von den Steuern befreit ist. Sollte uns das aber davon abhalten, Wissen über die alte Technik zu erfragen und zu teilen? Wie lange werden Zollämter noch in ihrer heutigen Funktion existieren? Bauanleitungen für handgemachte Brennanlagen findet man im Internet oder bei der netten Brennerin aus der Nachbarschaft. Haben Kleinbauern früher erfolgreich Brennereien aufgebaut und betrieben, so wird dies in einer lebenswerten Zukunft auch möglich sein. •
Leonie Sontheimer (24) engagiert sich in gesellschaftspolitischen Initiativen und studiert in Berlin Philosophie und Biologie.