Titelthema

Kapitel 7

von Der Schwarm, erschienen in Ausgabe #40/2016
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© Privat

Drei veranstaltungsfrustrierte Menschen haben sich auf eine Parkbank geflüchtet. Es ist heiß, und einer erjagt bei der Volxküche drei kalte Fritz-Colas. Die drei sind sich einig darin, dass solche Weltrettungskongresse bei allem hippen Bemühen immer fragwürdiger erscheinen: Die Welt wird uneinholbar komplexer, und sich ständig vorzubeten, was man »in die Gesellschaft einbringen« müsste, um die Probleme – obwohl niemand über reale Macht verfügt – am besten noch heute zu verändern, das macht auf Dauer keinen Spaß. Da ist es doch viel stimmiger, wenn junge Leute ein schönes Fest organisieren, auf dem sie feiern, Musik machen, tanzen, zusammen kochen und essen und dabei ernsthaft darüber nachdenken, wie sie ganz persönlich aus dem Wachstumsgetriebe ausscheren und ein gutes, enkeltaugliches* Leben führen könnten. – »Enkel­tauglich«? Das ist mal ein Wort! Endlich ein Begriff, der die vielfach missbrauchte »Nachhaltigkeit« beerben könnte. Man spürt sofort, was gemeint ist, und es ist warm, herzenswarm. Es wird eine Zeit dauern, bis die Megamaschine* sich dieses Worts bemächtigen kann: Zu sehr bindet es uns Menschen in die Generationenkette ein, direkt, unmittelbar menschlich. Danke! Das werden wir in Zukunft verwenden, verbreiten, ernsthaft nach dem guten Leben* strebenden Menschen anempfehlen – »enkel­tauglich«, wunderbar!

Es ist schon ein paar Jahre her, dass wir gemeinsam mit Harald Welzer die Sommerbank gedrückt haben – seitdem hat das Wort »enkeltauglich« Einzug in die Sprache des guten Lebens gehalten. In parallelem Schwung haben Harald und wir Ausschau nach Geschichten des Gelingens gehalten – in Oya und bei »Futurzwei«, und die Geschichten sind angekommen. Und jetzt? Verlangt die Zeit nicht nach mehr – mehr Bekenntnis, mehr politischem Anspruch? Haben die positiven Geschichten nicht auch eine sedierende Wirkung? Die wir nicht wollen – sondern wir wollen die Wahrheit sagen, die hart und schmerzhaft ist und die den guten Geschichten doch erst den Kontext gibt, so dass sie dringend werden. Über die Wahrheit sprechen wir jetzt, wo wir im »Adelehaus«, das die offene ­Küche von Klein Jasedow beherbergt, mit Dana Giesecke und Harald Welzer bei Kuchen, Kaffee und Tee über synchrone Prozesse in unseren jeweiligen Feldern nachdenken.

Johannes Heimrath Harald, jetzt, wo du eine gewisse Berühmtheit erlangt hast, erwartet man von dir, dass du das, was man von dir kennt, immer wieder nachlieferst, dass du deine Erkenntnisse – interessant variiert – wiederholst. Wie bewahrst du für dich die Unmittelbarkeit deines Anliegens?
Harald Welzer Weiß ich nicht. Seit einiger Zeit habe ich das gespenstische Gefühl, dass das, was ich bislang an historischen Gegenständen untersucht habe und was in mir viel Bedrückung ausgelöst hat, gerade geschieht, live und in Farbe. Damit habe ich so nicht gerechnet – dass zum Beispiel mit der AfD Menschenfeindlichkeit diskursfähig wird und dass man mit Autokraten schlimmster Sorte amoralische Flüchtlingsdeals macht. So etwas verändert auch die Geschäftsgrundlage unserer Kommunikation. Erfolgreiche Graswurzelstrategien setzen freiheitliche Staatlichkeit voraus. Das wird einem jetzt erst klar.
Dana Giesecke Die Frage nach der Wieder­holung der Inhalte betrifft auch unsere Identität als Stiftung. Obwohl die Projekte und Menschen, die wir vorstellen, alle toll und unterschiedlich sind, entsteht in der Quantität leicht der Eindruck des Immergleichen – für Uneingeweihte ist ein Urban Garden wie der andere.
HW Das geht allen erfolgreichen Projekten so. Erfolg führt immer zu der Frage: Wie weiter?
JH Wenn wir ein Thema durchdrungen haben, wollen wir uns den Konsequenzen widmen, und da tauchen auch widersprüchliche Aspekte auf, an denen wir wachsen und die uns andere Perspektiven eröffnen. Warum sollten wir dann monothematisch etwas wiederholen, dem wir bereits entwachsen sind?
DG Mir hat vor kurzem Sarah Wiener auf diese Frage geantwortet, warum sie genau das tut – auf Podien performativ wiederholend für die Themen Ernährung und Landwirtschaft zu kämpfen: Damit es wieder und wieder in die Welt kommt! ­Darüber habe ich nachgedacht. Vielleicht gibt es die Aufgabe der Ruferin, des Schreiers, ­Botschafters.
HW Mein Vorname: Harald, der Verkünder!
DG Mein Nachname Giesecke bedeutet auch: Botschafter!
HW Die Wiederholung und das Verkünden – beides ist wichtig. Das merke ich bei meinen Büchern. Die Leute schreiben mir: »Ich habe das schon die ganze Zeit gedacht, konnte es aber nicht sagen.« Das ist die Welzer-Kunstfigur-Funktion, den Leuten ein argumentatives Vertrauen in sich selbst zu geben, ihnen Argumente zu liefern. Deshalb ist die Funktion von Oya oder Futurzwei ­extrem wichtig. Das kannst du wiederholen, so lange du willst. Es wird wichtiger, weil viele Selbstverständlichkeiten sich auflösen werden. Diese außenkommunikative Funktion muss man ja nicht damit verwechseln, wie man selbst die Dinge weiterentwickeln will. Ich werde jedenfalls den Deibel tun, mich selbst mit meiner Kunstfigur, die ich der Öffentlichkeit hinstelle, zu verwechseln!
JH Dennoch entdecke ich in mir diesen Überdruss am Schon-mal-Gesagten. Wenn sich das neu Erfahrene zu einer Sache entwickelt, die von nun an – weil wir möglichst viele Menschen ebenfalls zum Aufsuchen dieser Erfahrung anregen wollen – wiederholt vorgetragen werden muss, wird das zu einer bloßen Funktion. Das treibt mich weg von mir und hemmt mein Lernen.
HW Das führt zu offenen Fragen. Was ­Futurzwei angeht, haben wir seit längerem das Bedürfnis, andere Geschichten zu erzählen, die weit über das engere Nachhaltigkeitsthema hinausgehen und eine größere politische Schärfe in den Diskurs bringen. Am Ende geht es um das Leben in Freiheit und nicht lediglich um den CO2-Fußabdruck. Viele Themen sind auserzählt, und das ist gut. Jetzt brauchen wir eine andere gesellschaftspolitische Schärfe. Es ist ein Defizit in vielen Ökobereichen, dass die Leute total unpolitisch sind. Viele Konzepte, die ich ansonsten schätze, tragen dazu bei – zum Beispiel die Vorstellung, man könnte als semiautarke Community losgelöst vom Rest der Gesellschaft überleben. Wenn ich mit Studierenden über das Thema »Befreiung vom Überfluss« diskutiere, kriegen sie ganz süße Fantasien vom Gründen kleiner Gemeinschaften, in denen alles gut ist. Da frage ich immer wieder: Ihr habt das alles schön geregelt, nachhaltig, kreisläufig, und in der Community im Nachbarort haben sie beschlossen, die Frauen zu schlagen und die Kinder zu missbrauchen – was macht ihr dann? Da wird ihnen klar, dass die Bedingungen unserer Existenz ganz andere sind als die, die man aus einem Fantasie-Bio-Acker zieht. – Wir hatten neulich die Idee, mal ein Magazin zu machen, in dem nur die Wahrheit drinsteht. Warum nicht sagen »Hört mit dieser 2-Grad-Scheiße auf, hört auf, zu behaupten, es gäbe irgendeinen Weg, auf dem man Wohlstand mit Nachhaltigkeit in Einklang bringen könnte«? Wo wir einfach mal klarstellen: »Es ist alles ­gelogen, bitte konfrontiert euch mal damit, was wirklich Sache ist!«

In Oya machen wir das immer wieder. Wir halten uns die planetaren Grenzen* vor Augen, entmystifizieren die grüne Technik, machen uns bewusst, dass für ein so einfaches Werkzeug wie eine Gartenhacke die ganze Industriewelt, die wir heute haben, nötig und kein rascher Ausweg aus diesem Verhängnis zu finden ist. Die Wahrheit über den Klimawandel steht sogar im Weltbankbericht. Es scheint, dass selbst große Teile unseres eigenen Publikums die Erkenntnis, dass wir bereits im Kollaps leben, nicht an sich heranlassen wollen. Kann das alles mit dem »unrealistischen Optimismus« entschuldigt werden, von dem eine Studie behauptet, dass 80 Prozent der Menschheit davon befallen seien? Anders denken, anders leben – warum erregt die Idee, es könnte sinnvoll sein, sich bereits heute auf die Schaffung der Voraussetzungen für ein gutes Leben in der wie auch immer sich gestaltenden Post-Kollaps-Gesellschaft zu konzentrieren, zwar bedächtiges Kopfnicken, aber kaum ernsthafte gesellschaft­liche Bewegung?

DG Ich werde oft gefragt: »Sie ganz persönlich, glauben Sie, dass wir das Ruder herumgerissen bekommen?« Da muss ich schlucken! Um Futurzwei weiterzumachen und unsere Geschichten Woche für Woche zu erzählen, muss ich doch daran glauben!
HW Ich oszilliere zwischen Zynismus und Hoffnung. Hoffnung gibt mir, dass das Leben gut ist. Ich führe ein wahnsinnig tolles Leben – großartig! Was gäbe mir das Recht, hoffnungslos zu sein? Das andere ist: Sag die Wahrheit, dass die Bundesregierung eiskalt alles kassiert, was in der Klimaschutzpolitik bis 2030 notwendig ist – das haben die einfach gekillt. Das Primat der Ökonomie killt sowieso alles, wir sind ganz hinten am Arsch mit allen Nachhaltigkeitsstrategien – das ist politisch das Unwichtigste, was es auf der Welt gibt. Ich finde es ganz in Ordnung, dazwischen zu oszillieren; daraus entstehen eine Spannung und ein politisches Motiv.
JH Das kommt mir wie ein intellektuelles Verfahren vor, das dich vor Verletzung schützen soll. All das greift nach dir und verletzt dich. Können wir unsere Verletzlichkeit nicht auch offen zeigen? Würde uns das nicht näher an die wirklichen Menschen bringen?
HW Mich regt zur Zeit vor allem das intellektuelle Durchblickertum auf, das ich im Zusammenhang mit meinem Buch über die »smarte Diktatur« erfahre. Ich sage: Da sind gefährliche Prozesse, da werden Freiheit und Privatheit zerstört, und jetzt müssen wir um sie kämpfen, um die Freiheit und die Demokratie. Das gehobene Feuilleton empfindet das als Zumutung: Wie, da meint jemand etwas ernst? Da macht sich jemand angreifbar, weil es um etwas geht? Das zieht dann starke Affekte auf sich, und dagegen wird dann der alte Durchblickerscheiß gesetzt. Aber dass es um etwas geht, dass jemand sich verletzlich macht – genau das bringt Leute dazu, das Buch zu kaufen. Je mehr sich die Dinge in die falsche Richtung verändern, desto politischer muss man werden, desto sichtbarer. Verletzlichkeit ist wichtig. Bei Futurzwei kam das bisher nicht vor. Es kann sein, dass das alles zu nett war.

Sichtbar werden, das ist das Gegenteil von Transparenz. Wir wollen nicht transparent – durchsichtig – sein, sondern sichtbar und daher verletzbar. In der transparenten Gesellschaft hören alle auf, zu existieren. Alle sind durchsichtig, nicht mehr zu greifen und darin völlig gleich. Auch gleich vereinsamt: Du, der Andere, kannst mir nicht mehr wehtun, du bist gar nicht mehr da – du bist ein virtuelles Datenpaket. Aber wir brauchen den Anderen unmittelbar, wir wollen uns in ihm spiegeln, an ihm wachsen, uns gegenseitig herausfordern und im Erkennen des Andersseins lieben. In einer Gesellschaft der gleich Durchsichtigen geht die Nähe verloren. Das ist der Kapitalirrtum der dauerkommunizierenden Gesellschaft. Indem man sich ständig mitteilt und alle sich gegenseitig mit den gleichen Apparaten, in die gleichen Konsumkokons eingehüllt, versichern, wie außerordentlich individuell sie seien, löst sich die Individualität – die Erkennbarkeit – auf. Ist es nicht die Aufgabe von uns als Menschen, die sich öffentlich bewegen, hier sperrig zu sein? Uns derart in den Weg zu stellen, dass die Durchsichtigen aus dem Tritt kommen, stolpern? Indem wir die Wahrheiten nicht nur sagen und ­schrei­ben, sondern uns auch als Amboss zur Verfügung stellen, auf dem unsere Wahrheiten unter dem Hammer der Wirklichkeit zu brauchbaren Werkzeugen des guten Lebens geschmiedet werden? Ist es dann noch wichtig, davon zu erfahren, was wir bewirken?

HW Untergangsrhetorik tut niemandem weh. Seit Jahren wird uns mitgeteilt, die Welt ginge unter, doch daraus folgt rein gar nichts für den laufenden Betrieb. Es folgt sehr wohl etwas daraus für viele Menschen, Tiere und Landschaften andernorts, aber nichts für die hier Handelnden. Uns geht es gut, wir haben den Arsch an der Wand – nur andere sterben. Die Untergangsrhetorik ist ein großartiges Narrativ, um alles so weiterlaufen zu lassen wie bisher. Stattdessen müssten wir über Gerechtigkeit sprechen; das hat Sprengkraft, denn Menschen haben ein Gefühl für Gerechtigkeit – auch historisch gesehen hatte dieses Thema immer die größte Kraft. Darüber denke ich nach.
Ich glaube, wir müssen uns immer wieder bewusstmachen, wie stark Geschichten wirken. Sie sind das Stärkste, was es gibt. Sicherlich können sie auch einschläfern, wenn sie immer nur nett und harmlos sind, eia popeia. Wir sollten die Geschichten erzählen, die notwendig sind.
JH Geschichten des Gelingens werden durch ihren Kontext brisant. Wenn wir uns fragen, warum das gute Gelingen eine Seltenheit ist, führt uns das zum Schrecklichsten auf der Welt, so dass wir uns damit auseinandersetzen müssen.
HW Ich denke, den zerstörerischen Hyperirrsinn dieser Zeit können wir noch stärker bloßstellen, indem wir betonen: Niemand hat etwas davon. Es ist nicht sinnvoll, Promoter ­eines Zerstörungsprozesses zu sein, der nicht ­einmal die angeblichen Gewinner glücklich macht. Das ist ein dramatischer Befund, über den sich die Leute aufregen können: »Ich mache Scheiße – und hab nicht mal was davon?«
JH Welche Instanz in dir kann sagen, was über dich hinaus notwendig ist? Beim ­guten Gelingen gibt es so etwas wie einen »objektiven« Maßstab. Aber wie ist es mit dem Notwendigen? Sind es auch Geschichten, die die Not wenden?
HW Ich sehe da keinen Unterschied, man ist immer vor sich selbst legitimierungs­bedürftig. Die Geschichten des Gelingens sind alle so schön, die notwendigen nicht. – Ich sehe zwei Pole: Gegenwärtig geht es im Politischen darum, die Voraussetzungen, die uns heute ein weitgehend selbstbestimmtes Handeln erlauben, zu sichern – in einer Diktatur könnten wir unsere politische Kommunikation gar nicht nach außen tragen. Der andere Pol ist die Erfahrung von gelingendem Leben, von guten Beispielen, aus denen sich Kraft schöpfen lässt. Mir wird immer klarer: Aus der Spannung zwischen diesen Polen könnte eine gesellschaftliche Bewegung entstehen. Ohne Bewegung entsteht keine Dynamik, machen zu wenige mit. Wenn es weitergehen soll, brauchen wir etwas Mitreißendes, in dem sich die Menschen erleben können.
DG So sehe ich die Rolle von Futurzwei – weniger als Steuermann von Bewegungen, sondern auf der Suche nach solchen Erfahrungen, die Menschen in die Lage versetzen, Bewegung auszulösen.
HW Bei Futurzwei arbeiten wir mit dem Begriff der Flaschenpost – es ist völlig gleichgültig, ob die Sachen jemand liest. Das knüpft an die politische Haltung der Verletzlichkeit an. Wir sagen: Wir haben da mal einen Vorschlag, den können wir auch begründen. Den könnt ihr völlig ignorieren, drauf herumtrampeln, bekämpfen – egal, das ist unser Vorschlag. Diese Haltung löst etwas aus.
JH Zu sagen, ich möchte euch etwas verkaufen, ist eine andere Haltung. – Auch unser Gespräch ist nur ein Reigen von Gedanken-Vorschlägen …
HW … die man aufnehmen oder auch ignorieren kann. Aber das hält uns als sozia­le Wesen am Leben: das Vorschlagswesen. Ich finde, das ist ein ganz guter Punkt, von dem aus man operieren kann.

Das Vorschlagen – damit hängt eine Unverletzlichkeit zusammen. Ich halte etwas für einen guten Vorschlag, deshalb präsentiere ich es. Oya war bisher für uns ein Mittel, selbst zu lernen – so ähnlich fühlt sich auch Futurzwei an. Jetzt haben wir unsere Vorschläge geäußert und möchten weitergehen, wollen die Trennung zwischen dem, was wir tun, und dem, was wir sind, die sich nach so vielen Vorschlägen aufzutun droht, vermeiden. Können wir in der Rolle der Erzählenden bleiben? Was wäre dann das zu Erzählende? Wovon wir erzählen, das ist umsonst – geschenkt. Aber es kostet Interesse, Engagement, Begeisterung, Anstrengung und Aufrichtigkeit, den Geschichten zuzuhören, sie nicht bloß anzuhören, sondern ihnen so zu lauschen wie der Botschaft des Waldwasserläufers, der Stare, der Gänse, der Bienen: Absichtslos und bereit, den nächsten Lebensschritt im Einklang mit dem Notwendigen zu tun. Mit dem, was die Not wendet. •••

 

Dana Giesecke (42) war bis 2011 Leiterin der Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und ist seitdem wissenschaftliche Leiterin der Stiftung »Futur­zwei«. Sie studierte Soziologie, Kunstgeschichte sowie Kommunikationswissenschaft und erwarb einen Master in Wissenschaftskommunikation und Management.

Harald Welzer (58) Soziologe, Sozialpsychologe und Autor. Er ist Direktor der »Futurzwei. Stiftung Zukunftsfähigkeit« zur Förderung alternativer Lebensstile und Wirtschaftsformen sowie Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg. Zuletzt erschien sein Buch »Die smarte Diktatur«. www.futurzwei.org

 

 

Unrealistischer Optimismus
Eine Studie belegt, dass bei 80 Prozent der Menschen die vorderen Stirnlappen im Neokortex, dem Teil des Gehirns, mit dem wir logisch denken und urteilen, ihre Arbeit einstellen, sobald sie problematische oder unangenehme Eindrücke empfangen. Die schlechte Nachricht wird nicht verarbeitet. Stattdessen erhält das Gehirn die Illusion einer wohligen Welt aufrecht, in der am Ende alles gutgeht, das Unmögliche möglich wird und sich Probleme in Luft auflösen. Diese fatale Eigenschaft unserer Spezies wird »unrealistischer Optimismus« genannt. Er führt beispielsweise dazu, dass die meisten Befragten der Untersuchung es eher für möglich halten, den Jackpot im Lotto zu gewinnen, als an Krebs zu erkranken – die Realität spricht massiv dagegen.
Es wird spekuliert, welchen evolutionären Nutzen diese Fehlfunktion des Gehirns ­haben könnte, da sie offenbar seit jeher das kognitive Verhalten des Menschen bestimmt. Die Fähigkeit, unerwünschte Informationen bezüglich der Zukunft auszublenden und stattdessen auf die berühmte Fee mit den drei Wünschen zu hoffen, kann vor dem Zeitalter des Wohlstandsproletariats den Sinn gehabt haben, in einer überwältigend stressigen Welt proaktiv nach Nahrung zu suchen und die Kraft zu mobilisieren, sich immer wieder aus den mannigfaltigen Fährnissen des simplen Überlebens angesichts jagender Säbelzahntiger und durch ein paar paläolithische Speere gereizter Mammuts herauszuwühlen. Aber heute?

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